Unterbewertet oder vergessen – Aus John K.’s Plattenkiste. Teil 2: Abhinanda.
von am 20. April 2007 veröffentlicht in Gespräche, Musik, Platten, Texte

Heute:
Abhinanda „Rumble“

Die meisten Leute die ich kenne, die mit einer umfangreicheren Plattensammlung gesegnet sind, die stellen meistens einen Teil ihrer Platten gesondert ab. Das was mehr als zweimal im Jahr die kosmische Ehre erhält, auf den Plattenteller zu gelangen, wird einer besonderen Kaste zugeordnet. Hier muss man sich nicht die Hände waschen, aber doch die Platte mal abwischen vorm abspielen. Bei mir befindet sich diese besondere Plattenkaste lehnend an meinem Regal. Es sind die besseren Platten. Die besseren Platten des letzten Vierteljahres. Momentan steht ganz vorne die LP „Enter“ der Band „Russian Circles“. Dazu jedoch irgendwann anders mehr.
1998 stand bei den allermeisten Leuten eine Platte ganz weit vorne. Die Platte hieß „The Shape of Punk to Come“, die Band hieß Refused, sie kam aus einer Stadt im Norden Schwedens, die den wenig klangvollen Namen Umeå trägt. Umeå ist wirklich ein Scheißkaff! Eine Höllentour mit dem Auto. Wer fliegt, der steigt irgendwo, vielleicht im Süden, in einen SAS-Flieger, und in der Kälte wieder aus. Die Winter sind lang, kalt und vor allem dunkel. Man möchte sich, und alle anderen Idioten erschießen. Die Sommer sind angenehm warm, man muss sich nicht erschießen, denn wer über einen knappen Bluthaushalt verfügt, der kann sicher sein von tausenden kampf- und stechlustigen, verfluchten Mücken zu Tode gestochen zu werden. Es gibt schönere Plätze auf unserem geplagten Planeten – aber auch deutlich schlechtere wie man sich erzählt. Auf der lächerlichen Landkarte des Hardcore werden Zentren seit je her ohne System verteilt. Und so komisch es klingt, ausgerechnet ein Scheißkaff wie Umeå war Mitte der 90er Tarnhosen tragenden, blondierten Hardcore-Kids so sehr Begriff, wie Matthäus für Fußball oder Beethoven Fans. Was man sich damals nicht alles über Umeå erzählte. Damals war man noch nicht zum Bratwurst-Kommunismus übergegangen, man war Vegan, und am besten auch noch Straight Edge. In Umeå soll es angeblich keine Fleischer mehr gegeben haben. Im Scheißkaff hatte sich eine überdurchschnittlich große Hardcoreszene entwickelt, die zu diskutieren kaum bereit gewesen war. Den Fleischern war angeblich die Glaserrechnung irgendwann zu teuer. Die Angaben über Circle-Pits tendierten zwischen 500 bis gefühlte 5000 Teilnehmer. Ein Paradies. Eine Legende. Ein Scheißkaff.
Um seinen Ruf zu verteidigen, verfügte die Stadt über eine ansehnliche Zahl von Hardcore Bands, die alle gleich aussahen und mehr oder weniger gleich klangen. Zumindest kannte man die Speerspitze Umeås: Abhinanda und Refused. Aus irgendeinem Grund nahm ich von Refused nie wirklich Notiz. Der Sound gab mir nichts. Ich fand Refused langweilig – bis 1998! Anhinanda hingegen ballerten direkt in mein damals gepirctes und demzufolge gerne entzündetes Ohr – von Anfang an. Für mich waren sie einfach gefälliger. Aber sie waren keine der Bands, die Platten machten, die selbstverständlich an meinem Regal lehnen durften – bis 1998!
Abhinandas erste LP„Senselessness“, die 1994 erschien , war wenig überraschend – aber gut. Die Band bot diesen typischen treibenden Sound, der zwischendrin moschen will, und ausreichenden Gelegenheit dazu erfährt. Die Gitarren geizten nicht mit Obertönen. Die Texte sind schnell gelernt, mitsingen die leichteste Übung. Manchmal greift man in die Mitte der 80er Jahre zurück, und kombinierte schön mit Mid-90’s Hardcore. Schubladen sind dazu da aufgezogen zu werden. 1996 legten Abhinanda nach – die Band war viel wuchtiger, irgendwie lauter und fordernder. Der erste Song der Platte „Illumination“ ballerte derart durchs Gelände, dass die Erzählungen der Circle-Pits plötzlich ganz plastisch wurden. Ich kann es nicht beschreiben, aber irgendwie waren Abhinanda noch die Band, deren Jugendlichkeit von 94 noch durchzuhören war – aber irgendwie war die Band auch eine andere geworden. „City of Hope“ – was für ein Knallersong! In kurzen Momenten deutete sich eine winzig kleine Vertracktheit an. Die Platte stand plötzlich lehnend an meinem Regal.
1998 war ich genötigt im Rahmen einer Tour mit der Band Enfold die gesamte verdammte Tschechei zu Umfahren, wobei ich fast die gesamte Zeit genötigt war die Aufnahmen dieser anderen Umeå-Band zu hören. „The Shape of Punk to Come“, die Band hieß: Refused. Und zur Hölle nochmal, was für eine Platte. Hardcore? Auf einmal eine Band, die es tatsächlich wagte einen eigenen Sound entwickeln. Einen EIGENEN Sound! Die geistigen Väter waren nicht zu überhören, nicht zu übersehen und zu überlesen. Man orientierte sich an der Coolness von Bands wie Nation Of Ulysses oder Born Against. Das Cover klaute man von der 1994 erschienenen „Teenage Dance-Session“ 7“ von Rye Coalition. Nur der Sound, der war einfach anders. Und meiner Ansicht nach, hat kein Refused-Klon es je geschafft diesen vernünftig nachzuahmen. Schön und gut – nur habe ich gelogen. Die Genialität von „The Shape of Punk to Come“ wollte ich erst nicht zugeben. Refused gingen mir nach kurzer Zeit einfach auf den Sack. Auf einmal hatten alle schwarze Haare und Pollunder (ich auch), und jeder Hornochse sprach sich über Größe und Genialität der neuen Hardcore Superstars aus. Refused hatten mit ihrer Genialität jedoch nicht nur eine tolle Platte gemacht, sie hatten auch begonnen ihr eigenes Grab auszuheben.
1998 kaufte ich aus Gewohnheit, denn ich war Abhinanda Fan, „Rumble“. Die Band lehnt auf dem Cover reichlich gestylt an einem Lowrider und glotzt ins Leere. Waren das wirklich Abhinanda? Ich hatte Angst, dass Abhinanda einen ähnlichen Weg gingen wie ihre Kumpels Refused. Vielleicht einen zu ähnlichen? Ja und Nein. Ja – sie gingen einen anderen Weg, und Nein – sie waren nicht der überflüssige Refused-Aufguß. Eine gewisse Experimentierfreude ist auf „Rumble“ erkennbar, nur ging Abhinanda nicht diesen „technischen“, etwas offeneren Weg wie Refused. Abhinanda entwickelten ihren Sound konservativer, und legten eine Rockplatte hin, die in der Betrachtung dessen, was wir heute in dieser Richtung vor die Ohren geschmiert bekommen, innovativ war und voller Energie. Die Band experimentierte eher mit Streichern, und mit ausgefeilten Gitarrenriffs. Man ließ den klassischen Stop and Go Sound hinter sich – und bewieß Mut zur Ballade. Abhinanda stoppte nicht mehr, auf „Rumble“ gibt es nur eine Richtung – nach Vorne! Mich hielt nichts auf dem Sitz nachdem ich „Rumble“ das erste mal gehört hatte. „Rumble“ ist ein Dampfhammer, der deutlich vorweg nimmt, was Bands wie Comeback Kid heute erfolgreich verkaufen. Und das ganz ohne Klischees! Der Titelsong „The Rumble“ überrascht durch Melodie und Bruch zugleich. Die Band lässt dich für einen Sekundenbruchteil stehen – und nimmt dich sofort wieder mit. Niemand wird im Stich gelassen. Die Melodien sind auf dem Punkt, die Breaks genau da wo sie sein sollen. Die Streichsätze passen perfekt, nie aufgesetzt. „Rumble“ ist für mich bis heute nur rund! Mit „Easy Digestion“ ist Abhinanda eine Nummer gelungen, die ihres Gleichen sucht. Eine perfekte Melodie, mit einem Hauch Dissonanz, traurig aber doch immer ganz oben. Es ist für mich einer der ganz wenigen Hardcore-Songs der bis heute einfach perfekt erscheint. Wie Ambivalent, gewaltig, zerbrechlich – und das mit Singalongs! „La Musica Continua“ ein perfekter Abschluss, der alles gesagte vereint. Besser hätten Abhinanda sich nicht verabschieden können. Leider nahm von „Rumble“ kaum Jemand Notiz, so kam es mir wenigstens vor. Der Schatten von Refused war wohl einfach zu groß. Und ganz ehrlich, ich fand „Rumble“ wirklich besser als „The Shape of Punk to Come“. Refused machten einen innovativen Sound, aber sie verliefen sich in ihrem eigenen Grab. Übrig blieb eine mittelmäßige Band, The International Noise Conspiracy, und eine ganz guter, aber verwirrender Film. Als ich The International Noise Conspiracy auf einer ihrer frühen Shows im Kopenhagener Loppen sah, fragte ich mich was aus der Innovation wohl geworden war. Sie spielten mit The Make-Up (passenderweise hervorgegangen aus der Asche von Nation Of Ulysses), und sie waren nur eine armer Schatten dieser wirklich einzigartigen Band.
Abhinanda verschwanden einfach. Ich weiß nicht was aus ihnen geworden ist. Diesen Sommer werden Abhinanda wieder spielen. Ein einziges Konzert. Im Scheißkaff.

P.S.: aufs Mixtape kommt: Easy Digestion! Keine Frage!

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5 Kommentare auf "Unterbewertet oder vergessen – Aus John K.’s Plattenkiste. Teil 2: Abhinanda."

  1. peter sagt:

    …waren grossartig!!!

  2. kaa sagt:

    da kommen erinnerungen hoch !
    war eine tolle zeit im akku und forellenhof
    mit prema, 108, abhinanda und konsorten 😎
    bin schon auf die nächste band gespannt…

  3. John K. Doe sagt:

    108 fand man natürlich auch so ein bissl scheiße wegen krshna und so, hahahaha. ich erinnere mich noch, wie ich mit ein paar anderen idioten bei dieser peinlichen band von der frau (glaube ich) von ray cappo auf einem konzert in immenhausen ärger deswegen gesucht habe. hahahaha, wie sinnlos.

  4. subwave sagt:

    @john k.doe: du meinst „baby gopal“? peinlich indeed, aber auf der anderen seite auch ultra-sweete musik, wenn man von den krshna texten abstrahiert…

  5. John K. Doe sagt:

    genau, baby gopal. meine güte – die waren live aber, naja….schlecht.

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