Hardcore am rechten Rand

Zwischen Rollback und neonazistischer Adaption
von am 28. August 2012 veröffentlicht in gelesen, Musik

EIne Buchstabenkombination, die man sich merken sollte. NSHC = National Socialist Hardcore (Foto: MoG)

Dass die Neonazi-Szene sich seit Jahren kulturell modernisiert, indem sie Ästhetik und Lifestyle-Aspekte mehr oder weniger subversiver Jugendkulturen bewusst in ihrem Sinne umdeutet, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Die Dresscodes und musikalischen Ausdrucksformen linker und alternativer Jugendlicher haben längst Eingang in das Repertoire der braunen Bewegung gefunden, und selbst Hiphop, der als musikalische Stimme der schwarzen Jugendlichen in den Ghettos der US-Großstädte entstand, ist nicht vor der Vereinnahmung sicher. Die Neonazis von heute, so scheint es, sind mit etwas Verspätung in der Postmoderne angekommen, und haben die angesagte Kulturtechnik der Aneignung gelernt. Was nicht passt wird passend gemacht, und was folgt ist eine Verwirrung der Zeichen.

Im Fall von Hardcore ist die Sache allerdings etwas anders, wie Ingo Taler im vorliegenden Buch zeigt. Dass Hardcore schon immer den Anspruch erhob „more than music“ zu sein, ist wohl hinlänglich bekannt. Indes dürfte weniger bekannt sein, dass Versatzstücke rechten Gedankenguts in der Hardcore-Szene bzw. Teilen davon seit ihren Anfangstagen um 1980 immer wieder eine Rolle gespielt haben – und dass es immer wieder Protagonisten und ganze Strömungen gab, die sich etwa gegen Abtreibung, für Krieg und Gewalt gegen Minderheiten oder für Menschen- statt Tierversuche aussprachen, von Misogynie und genereller Gewaltaffinität gar nicht erst zu sprechen.

Kenntnisreich klopft Ingo Taler die für den Laien schier unüberschaubaren verschiedenen Subgenres, Szenen und Strömungen des Hardcore ab, um die versteckten wie offen rechten Tendenzen herauszuarbeiten. Dabei arbeitet er mit verschiedensten Materialen: Songtexte, Interviews und andere Quellen wie Plattencover und Liner Notes relevanter Tonträgerveröffentlichungen von Ende der 1970er Jahre bis in die Gegenwart machen seine Darstellung plastisch und lebendig. Er zeichnet dabei nicht nur szeneinterne Diskursverläufe nach, sondern benennt auch Entwicklungen wie die Entpolitisierung der Hardcore-Szene aufgrund ihrer Vermischung mit der Metal-Szene, die er als ein frühes Einfallstor für Elemente rechter Ideologie ausmacht. Dabei vollzieht er unterschiedliche Entwicklungen in Europa und den USA nach und kritisiert die immer wieder zutage tretende Unfähigkeit, sich von Chauvinismus, Homophobie, Männlichkeitswahn und Mackertum abzugrenzen.

Out of Step ist spannende Geschichtsstunde und politisches Plädoyer zugleich. Taler ruft letztlich letztlich dazu auf, das „more“ am „more than music“ nicht dem rechten Rand zu überlassen, und will die progressiv denkenden Teile der Szene mit dem Buch dazu ermuntern, letzterem und der dazwischen liegenden Grauzone verstärkt den Kampf anzusagen. Dabei kann und soll ihnen das Buch helfen, indem es das notwendige Geschichtsbewusstsein vermittelt. Daher ist es vor allem für den Szenenachwuchs spannend, dürfte aber auch für viele Alteingesessene den einen oder anderen Aha-Effekt bereithalten. Pflichtlektüre für jedwedes Szenepersonal.

Ingo Taler
Out of Step. Hardcore zwischen Rollback und neonazistischer Adaption.
ca. 350 Seiten
Unrast Verlag 2012
18,00 €

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