Rote Straße bleibt: Ein Interview über den aktuellen Konflikt mit dem Studentenwerk
von am 3. November 2017 veröffentlicht in Diskussion, Soziale Bewegungen, Titelstory

Zu Beginn des Wintersemesters wird die Wohnraumfrage erneut zum Gravitationszentrum der Göttinger Tagespresse. In einer aktuellen Auseinandersetzung beklagen sich die BewohnerInnen der Roten Straße 1-5/ Burgstraße 52 über Schimmelbefall, ausfallende Heizungen und die Einsturzgefahr der Häuser. Die Kosten für die anstehenden Sanierungen sollen von den BewohnerInnen getragen werden.

Monsters hat in einem Interview mit einem Vertreter der BewohnerInnen gesprochen.

Nach den zwei Jahre andauernden Verhandlungen mit dem Studentenwerk werfen die BewohnerInnen diesem nun „Misswirtschaft“ vor und dass es den Beginn der dringend notwendigen Sanierungsmaßnahmen blockiere. Das Studentenwerk habe die Sanierung der Häuser, so hieß es in einer Pressemitteilung der BewohnerInnen, über Jahrzehnte vernachlässigt. Die Kosten der Baumaßnahmen in Höhe von geschätzten 5,5 Millionen Euro sollen nun von den BewohnerInnen getragen werden. Das Studentenwerk weist die Kritik zurück.

In dem folgenden Interview schildert ein Vertreter der BewohnerInnen der Roten Straße den Verlauf der Verhandlungen mit den Studentenwerk.

Bereits im August 2015 wurde ein bauliches Gutachten des Studentwerks angefertigt, das die Sanierung der Häuser in der Roten Straße 1-5/ Burgstraße 52 vorsah. Die Verhandlungen um die Sanierungen laufen jetzt seit mehr als 2 Jahren. Wie ist der aktuelle Zustand der Häuser?

„Ich würde sagen, da gibt es zwei Perspektiven drauf. Da gibt es einmal die Perspektive des Baugutachtens, das ist die formelle Perspektive. 2015 hat das Studiwerk diese Baugutachten gemacht und laut Aussage dieses Baugutachtens sind unsere Häuser mindestens mittelfristig grundlegend sanierungsbedürftig. Also dementsprechend ist der Zustand der Häuser heute recht schlecht. Die zweite Perspektive wäre unsere Erfahrung als BewohnerInnen der Häuser. Wir sind keine Experten in der Hinsicht, aber wohnen seit geraumer Zeit in den Häusern. Man kann da wohnen und es ist nicht so, als müssten wir jederzeit fürchten, dass die Decke einbricht. Alte Häuser haben ja auf eine gewisse Art ihren Charme. Gleichzeitig nervt es aber natürlich, wenn im Winter mal wieder die Heizung ausfällt. Sowas ist bei uns gerade eher die Regel als die Ausnahme. Es ist beunruhigend wenn Handwerker kopfschüttelnd meinen, das irgendetwas mal dringend gemacht werden müsste. Also aus der Perspektive der BewohnerInnen scheint der Zustand der Häuser alles andere als in Ordnung zu sein.“

Damals wurde dem Studentenwerk eine „Politik des (baulichen) Verfalls“ vorgeworfen um auf diese Weise die „(…) unliebsamen Selbstverwaltungsstrukturen (…)“ loszuwerden. Wie kam es dazu und wie gestalteten sich die Verhandlungen seitdem?

„Diese Aussage „(…) die Politik des Verfalls (…)“, die haben ja strenggenommen nicht wir getroffen, sondern die Wohnrauminitiative, die uns schon damals unterstützt hat. Das bezieht sich vor allem darauf, dass das Studentenwerk dieses Baugutachten damals gemacht hat, es aber zunächst nicht herausgerückt hat. Gleichzeitig hat das Studiwerk aber auch über Jahre und Jahrzehnte hinweg – wenn überhaupt – die nötigsten Arbeiten gemacht. Das betrifft nicht nur die Rote, das betrifft verschiedene zum Studiwerk gehörende Häuser in Göttingen. Wir sind damals an die Presse gegangen und haben das öffentlich gemacht. Erst auf den öffentlichen Druck hin wurde das Gutachten herausgerückt und damit wurde die Dringlichkeit der Sanierungen erst bekannt. Und in gewisser Weise ist das beispielhaft für den Fortgang der Verhandlungen. Diese sind auf Seiten des Studiwerks von einer Hinhaltetaktik und leeren Versprechungen geprägt. Wenn etwas passiert ist, dann ist das vor allem auf unseren Druck hin passiert oder durch die kritische Stimme der Öffentlichkeit. Und, im Anschluss daran, deshalb jetzt nochmal unser Schritt an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir stehen seit über 2 Jahren in Verhandlungen mit dem Studiwerk und an der Sanierungsbedürftigkeit der Häuser hat sich nichts getan, eher im Gegenteil. Von unserer Seite könnte und sollte es jederzeit mit den Bauarbeiten losgehen. Aber es scheint, so als ob das Studiwerk wieder einmal die Sache aussitzen möchte.“

In der aktuellen Pressemitteilung werft ihr dem Studentenwerk „Misswirtschaft“ vor. Was meint ihr damit?

„Die Situation ist so: Wie auch in unserer Pressemitteilung geschrieben wurde, hat das Studiwerk die Häuser in den 70er Jahren geschenkt bekommen. Danach haben sie über all die Jahrzehnte die Miete von uns bekommen und trotzdem sollen wir die Sanierungskosten alleine tragen, obwohl das Studiwerk neben der von uns gezahlten Miete noch Zugriff auf diverse Fördertöpfe und Rücklagen in Millionenhöhe hat. Wir sehen ein, dass 40 Jahre Wohnen die Häuser nicht gerade neuwertiger gemacht haben. Trotzdem scheint an dieser Rechnung ja irgendwas faul zu sein. Deswegen der Vorwurf der Misswirtschaft. Gleichzeitig sehen wir ein, dass das Studiwerk nicht unbegrenzt finanzielle Mittel hat und es liegt dann auch in der Verantwortung von der Lokalpolitik und dem Land Niedersachsen dafür Sorge zu tragen, dass genug Geld zur Verfügung gestellt wird. Vor einigen Monaten hatte ja bereits der AStA in einer Pressemitteilung darauf hingewiesen, dass das Land insbesondere in der Verantwortung ist. Es ist aber nicht Aufgabe der BewohnerInnen für die Finanzen des Studiwerks Sorge zu tragen, das müssen die schon selber hinbekommen.“

Das Studentenwerk ist in den letzten Monaten wiederholt  in der regionalen und überregionalen Presse in Missgunst geraten. Wie ist euer Eindruck von dem Studentenwerk als Verhandlungspartner?

„Das stimmt auf jeden Fall. Ich würde auch sagen, das Studiwerk ist nicht gerade Liebling der Göttinger Öffentlichkeit. Man munkelt ja auch, dass das Studiwerk extra eine Pressestelle eingerichtet hat, nachdem es von der Wohnraumini 2014 geradezu vorgeführt worden ist in der Auseinandersetzung um die Humboldtallee 9. Wir würden sagen, es ist schön und gut, dass sich das Studiwerk um sein Image sorgt. Uns ist das Image des Studiwerks herzlich egal und es wäre uns lieber, wenn es sich für eine sozial-gerechte Wohnraumpolitik in Göttingen stark macht. Ein gutes Image kommt dann von ganz allein. Dementsprechend ist das Studiwerk ein anstrengender Verhandlungspartner. Das Studiwerk rührt sich nur wenn der öffentliche Druck kommt. Unsere Forderung wäre, dass das Studiwerk dem eigenen Anspruch der sozialen Förderung der Studierenden gerecht wird.“

Seit kurzem verzieren nun Plakate mit der Aufschrift „Rote Straße bleibt!“ den Eingang des Studentenwerks. Was ist der Hintergrund der Plakate und wen sollen diese Plakate erreichen?

„Wir haben uns gefreut, dass die Plakate in der letzten Woche am Studiwerk und in der ganzen Stadt aufgetaucht sind. Wir glauben, dass ihr Titel „Die Rote Straße bleibt!“ auf zwei Bedeutungspunkte hinweist. Das ist erstens die Bedeutung der Roten Straße in Göttingen. Die Häuser der Roten Straße in der Innenstadt haben Generationen von Studierenden als Anlaufpunkt gedient um dort mit Freundinnen und Freunden, Genossinnen und Genossen zum einen in einem selbstverwalteten Kollektiv zu wohnen und zum anderen auch Politik und Kultur in der Stadt zu gestalten. Das soll auch zukünftig so sein. Die Forderung „Rote Straße bleibt!“ ist also tatsächlich wörtlich zu nehmen. Wie bleiben dort wo wir sind und wir werden auch in Zukunft in die Göttinger gutbürgerliche Gemütlichkeit intervenieren. Das ist der eine Punkt. Der zweite ist, dass wir glauben, dass der Konflikt in der Roten Straße auf eine verfehlte Wohnraumpolitik in Göttingen insgesamt hinweist. Gerade wird ein Hotel nach dem anderen gebaut. Gerade in der Innenstadt und in Campusnähe gibt es kaum mehr bezahlbaren Wohnraum. Das gilt nicht nur für Studierende; gerade auch Lohnarbeitende, prekär Beschäftigte, Familien und Geflüchtete werden an den Stadtrand verdrängt und dagegen regt sich zunehmend Widerstand. Das ist ja in den letzten Jahren auch durch die Arbeit der Wohnrauminitiative und im Besonderen auch durch das Bündnis Wohnheime gegen Mieterhöhung klar geworden. Vor ein paar Tagen gab es ja auch die Besetzung im ehemaligen pädagogischen Institut in der Baurat-Gerber-Straße. Es gibt also schon vielfältigen Widerstand gegen die Mieterhöhungen und Verdrängung und im Rahmen dessen würden wir auch das Auftauchen dieser Plakate sehen.“

„Rote Straße bleibt“ – Bild von redstreet.noblogs.org

Das Studentenwerk fordert die Übernahme der Sanierungskosten für die Bauarbeiten in der Roten Straße 1-5/ Burgstraße 52 von den BewohnerInnen. Wie steht ihr dazu und was ist euer Gegenentwurf?

„Wir sagen klar, dass wir die Sanierungskosten nicht übernehmen werden. Wir haben unseren Vermieter in den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass Sanierungsbedarf besteht und wir werden die Kosten der Verschleppungstaktik des Studiwerks nicht tragen. Unser Ziel ist es dagegen, den langfristigen Erhalt der Häuser zu sichern. Das Studiwerk hat über die letzten Jahre und auch zuletzt wieder gezeigt, dass es dafür ein mehr als fragwürdiger Partner ist. Deswegen sieht unser Fahrplan wie folgt aus: Wir fordern vom Studiwerk die Häuser wieder in Stand zu setzen, sie wieder bewohnbar zu machen. Danach kaufen wir die Häuser und gehen damit auf einen Vorschlag des Studiwerks ein. Anschließend kümmern wir uns eigenverantwortlich um den Fortbestand der Häuser als sozialem Wohnraum. Für uns ist die Rote mehr als ein weiteres Investitionsobjekt. Sie ist unser Zuhause und wir glauben, dass wenn uns die Rote gehört, dem Erhalt der Häuser damit langfristig gedient ist, weil wir unsere Kapazitäten in den Erhalt der Häuser und andere sozial-politische Projekte stecken können. Dann müssen wir uns nicht mehr mit unserem Vermieter herumschlagen, weil er sich mal wieder daran stört, dass Transparente aus dem Fenster hängen.“

Noch ein Frage an dich persönlich: Was mach für dich kollektives und selbstverwaltetes Wohnen aus?

„Ich würde sagen, kollektives und selbstverwaltetes Wohnen bedeutet für mich zum einen, dass man gemeinsam und basisdemokratisch entscheidet, wie man wohnen will und sich auch gemeinsam darum zu kümmern. Also sowohl der Punkt des kollektiven, als auch des selbstverwalteten Wohnens. Gleichzeitig geht es aber auch darüber hinaus, denn es ist auch politisches Wohnen. Dass heißt, dass man sich auch in Auseinandersetzungen in der Stadtpolitik einbringt, dass man Anlaufpunkt ist für alle, die auch eine Kritik und Politik in ihren Alltag tragen wollen. Und die Rote Straße ist ein Projekt, dass schon immer ein bisschen mehr war als gemeinsames Wohnen, nämlich ein Teil radikaler, emanzipatorischer und subversiver Politik in Göttingen.“

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