Jens Raschkes Reise in die Welt der sonderbaren Töne
von John K. Doe am 21. November 2007 veröffentlicht in gelesen, Rezensionen
William Shatner ist ein mutiger Mann. Nicht nur das er als mutiger Cop elegant und legendär wie kein anderer über die Motorhaube eines Ford LTD in Polizeiausführung schlidderte (Star Trek lassen wir ganz unerwähnt) – 1968 war er mutig genug eine Platte aufzunehmen, die den klingenden Titel „The Transformed Man“ trug.
Wing Han San ist eine mutige Frau. Die Hong Kong-Chinesin im Neuseeländischen Exil schaffte nicht nur in ihrem Job als Krankenschwester – sie besaß auch den Mut talentfrei Platten aufzunehmen, angefüllt mit höchst eigenen Interpretationen von den Carpenters oder AC/DC.
Johnny Bode ist ein mutiger Mann. Der Schwede ist ausgestattet mit einer durchweg hanebüchenen Biographie und einer ebenso hanebüchenen musikalischen Hinterlassenschaft. Bode schaffte es in der großen Zeit der beginnenden Pornoindustrie diese inhaltlich in Noten und Text zu fassen und auf Vinyl zu pressen.
Jens Raschke ist ein mutiger Mann. Jens Raschke ist im Grunde genommen die mutigste Persönlichkeit aller hier genannten. Irgendwann ist Jens Raschke in einen musikalischen Bereich geraten, der nicht zu unrecht mit „incredibly strange music“ umschrieben werden kann. Ein Bereich, über dessen Existenz inzwischen Samplerreihen wie „The Music of the Key of Z“ zeugen und für den verantwortlich unter anderem die oben genannten drei Interpreten sind. Denn sie haben nicht nur gemein, dass sie alle Platten aufgenommen haben. Gemeinsam ist ihnen auch, dass diese Platten einen grotesken Charme besitzen und zwar auf Grund ihrer Eigenart. Man könnte auch sagen – es sind ganz fürchterliche Platten. Von einem musikalischen Standpunkt aus.
Jens Raschkes Buch „Disco Extravaganza. Eine Reise ins Wunderland der sonderbaren Töne“ führt uns in diese Welt eigenartigster Musik. Und schnell merken wir, es geht eigentlich nicht so sehr um die Musik als viel mehr um das Drumherum, vor allem um diejenigen, die sich aus welchem Grund auch immer berufen fühlten, ihr vermeintliches Talent für die Nachwelt zu konservieren. Das schöne an Raschkes Buch ist, dass es die Leute an keiner Stelle vorführt und vor allem, auch darauf weißt Raschke im Vorwort hin, es geht nicht um das Erzeugen eines billigen Kultes des Trash. Kein ekelhaftes Abfeiern des Schlechten, das dann irgendwie wieder gut ist. Als ich das im Vorwort las, da ahnte ich, dass ich mich mit dem vor mir liegenden 260 Seiten gut anfreunden werden kann. Und nicht nur das, ich muss sagen, dass ich selten so gut unterhalten worden bin! Raschkes Reise an den Tellerrand der Musik (und manchmal auch den des guten Geschmacks) präsentiert eine illustre Schar eigenwilliger Talente. Die Bandbreite reicht von Prominenten, die diese Bezeichnung mehr oder weniger verdienen, von Schauspielern wie Shattner, die sich in ein Tonstudio verirren, bis hin zu einer Hausfrau, die eben AC/DC interpretiert. Dabei gibt es einige absolute Höhepunkte.
Zum Beispiel Bob Vido, der 1975 eine Platte veröffentlichte, von der es anscheinend auch nur zwei Exemplare gegeben hat. Vido verzierte die Platte selbst mit postkartenähnlichen Zeichnungen im Raumfahrtlook und mit handgeschriebenen, reichlich wirren Informationen zu sich selbst. Raschke zeichnet den bizarren Charakter treffend ab und recherchiert höchst unterhaltsam das Schaffen und Leben des Künstlers.
Wir erfahren die irgendwie tragisch anmutenden Geschichte von Anton Gustafson, der am heimischen PC in Kinna, fernab der ohnehin raren schwedischen Metropolen seiner Liebe zu Iron Maiden Rechnung trug – in dem er fleißig seine Helden mit Coversongs beschenkte. Dargeboten zu computergenerierten Interpretationen der Stücke, Anton mit entsprechender Pose und dünner Stimme. Dafür Erfolg! Antons Coverversionen geraten zum Kult im Internet und zum Hassobjekt beinharter Maidenfans. Anton bereist die Welt und führt ein irgendwie doch trostloses Leben, welches er am 1. November 2003 beendete.
Auch der Amerikaner Merrill Womach wird von Raschke mit einem Kapitel beschenkt. Womach nahm eine Platte auf mit dem Titel „Happy Again“. Die Botschaft hinter dem Titel erahnt man schnell, wenn man erfährt, dass Womach zuvor einen Flugzeugabsturz überlebt hat. Das flammende Inferno hinterlässt einen reichlich entstellten Familienvater, der angeblich bereits im Zustand eines quasi „verkohlten Steaks“ den Rettern eine Überraschung bietet. Nicht nur das Womach offenbar noch lebt – er fängt an zu singen! Noch bevor uns Raschke jedoch in Womachs höchst christlichen Soundtrack zur Genesung einführt, werden uns einige Kommentare seitens Womachs Ehefrau Virginia zum Unfall zitiert, welche von einer ganz eigenen Empathie zeugen: „Es gab keine Augen, keine Nase, kein Haar, keinen Mund, nichts, außer diesem verkohlten Schlamassel, der auf den Schultern meines Ehemannes hockte.“ Zur Erinnerung, Womachs Ehefrau beschreibt den Kopf ihres Ehemannes.
„Disco Extravaganza“ besticht durch diese in einem herrlich ironischen Ton nachgezeichneten Geschichten, die nie beleidigend oder gar verhöhnend wirken und sich genauso wenig anbiedern. Jens Raschke nimmt seine Künstler durchaus ernst und recherchiert sich so weit es eben geht in die Universen eigentümlichster Beweggründe, Überzeugungen und daraus resultierender Musik. Das gerät zu einem Potpourrii bizarrer Geschichten, die mich schwer losgelassen haben. Ein Buch, das mich so sehr unterhalten hat, dass ich selbst irgendwann den Drang verspürt habe, diesen musikalischen Ergüssen ebenfalls beizuwohnen. Und auch vor diesem Hintergrund bleibt Jens Raschke für mich ein mutiger Mann!
„Disco Extravaganza. Eine Reise ins Wunderland der sonderbaren Töne“ ist im Ventil Verlag erschienen.
Jens Raschke liesst im Rahmen der Monsters of Göttingen Party am 30.11. im Café Kabale! Das ganze ist mehr als nur Lesung, Raschke veranstaltet eine Sitzdisco!