Mew’s Platte mit dem langen Namen
von John K. Doe am 19. Oktober 2009 veröffentlicht in Musik, RezensionenEin dänischer Freund sagte mal zu mir “Wir haben es gut, wir haben unsere eigenen Radiohead!“ Starke Worte. Nebenbei, Radiohead konnte ich noch nie wirklich was abgewinnen. Kompositorisch durchaus interessant, wenn ich mich aber zwischen total toll und eher total scheiße entscheiden müsste, würden die Briten letzen Kommentar kassieren (mit Einschränkungen). So mancher Indie-Slacker wird sich jetzt ins Höschen machen. Bei Mew sieht alles völlig anders aus. In meiner kleinen Hierarchie genialer Bands stehen sie ziemlich weit oben. Die Band mit dem manchmal fragil gewagten Falsett-Gesang hat sich noch nicht einen dokumentierten Ausrutscher erlaubt. Da wäre vielleicht die zweigeteilte Live-Präsenz der Band, schön zu beobachten auf der Live in Copenhagen DVD. Der Kronprinz selbst war nickend in der Loge anwesend, während sich Sänger Jonas Bjerre damit abmühte, die Töne zu treffen. Jemand der singen muss wie Bjerre hat kaum Möglichkeiten was die Performance angeht. Was Mew jedoch Live auffahren ist nicht von dieser Welt. Phil Spector (Megaproduzent, verurteilter Mörder) hätte eine Neuinterpretation vom Wall of Sound nie besser hinbekommen. Das letzte Mew Album „And the glasshanded Kites“ bestach durch eine fette Produktion, die der Band allen Spielraum ließ. Danach war ziemlich lange Ruhe, auf Youtube konnte man zumindest Schnappschüsse von dem erhalten, was zwischen New York, Kopenhagen und Südfrankreich entstanden ist und wir nun endlich in den Fingern halten. Selten setzte ich dabei soviel Vertrauen in eine Band, trotz der Regel, dass wer konsistent ziemlich runde Alben hinlegt, irgendwann doch mal über die eigenen Fähigkeiten stolpern muss. Das darf man dann aber auch. Dieser Stolperfalle ist das Trio aus Dänemark gekonnt ausgewichen. Den Rezensenten wollte man es zumindest mit dem Plattentitel schon schwer machen. Den kann sich keine Sau merken und ich werde ihn auch nur einmal abtippen. Die neue Platte von Mew, sie heißt No more stories Are told today I’m sorry They washed away. No more stories The world is grey I’m tired Let’s wash away! Sie soll folgend „neue Platte“ heissen. Die neue Platte ist vor allem eine ziemlich interessante Schlagzeugplatte geworden. Selten hat sich Musik derart gebrochen und verlegt ohne die Melodie mit Füßen zu treten. Natürlich kann eine Band wie Mew sich nicht mit einem profanen Longplayer alter Schule abhandeln. Satte 17 Tracks, incl. standesgemäßer Interludes und Intros. Fulminant geht es los, „New Terrain“ heißt der Mew-typische Opener der eigentlich schon viel über die Band sagt. Dennoch, gleich „Introducing Palace Players“ ist ein etwas verstörender Song, Pop völlig ungerade. Zwischen dem reichlich fragilen Gitarrenspiel wirkt Bjerres Stimme erstmal wie ein Fremdkörper. Ein unglaublich gelungener Song! Und irgendwie schaffen es Mew auch hier, und bei vielen folgenden Songs auch, zum Ende das Ruder in eine andere Richtung zu reißen. Insgesamt geht es auf und ab. Natürlich bleibt der Kitsch nicht aus, dann nerven Mew zuweilen („Silas the Magic Car“). In „Cartoons and Macreme Wounds“ gerät das Falsett von Bjerre so hoch, dass man kurzzeitig unweigerlich an die BeeGees denken muss, was eigentlich kein besonderes Kompliment ist. Eigentlich ein ordentliches Mew-Meisterstück ist „Sometimes Life isn’t Easy“, dass dann durch den plärrenden Kinderchor der einstmals besuchten Grundschule in Hellerup gestört wird. Alles hält sich die Waage mit Songs, in denen Mew ihre Stärken komplett ausspielen („Tricks“, „Repeater Beater“, „Swimmers Chant“). Die Platte mit dem unglaublich langen Namen leidet letztlich etwas unter ihrer Länge. Zu viele Ideen, manchmal über das Ziel hinaus und zu wenig auf dem Punkt.
Trotzdem weiterhin herausragend, originell und unbedingt zu empfehlen.