Voigtschule und Baptistenkirche

Wenn der Preis entscheidet
von am 26. Juni 2013 veröffentlicht in Kultur, Rotstiftmilieu, Titelstory

Objekte der Begierde: Ehemalige Baptistenkirche und Voigtschule

Kommt nun das „Art Center Göttingen“, oder wird der Kulturverbund das Rennen machen? In geheimer, nicht-öffentlicher Sitzung soll der Rat der Stadt heute über den Verkauf der Voigtschule und der Baptistenkirche entscheiden. Der Kaufpreis, nicht das Nutzungskonzept könnte letztendlich entscheidend sein.

„Ich bitte Sie, bei Wortmeldungen den nicht-öffentlichen Teil zu respektieren“, sagt der Vorsitzende des Bauausschusses, Christian Henze (SPD), als es am vergangenen Donnerstag abermals um die Trennung öffentlicher und nicht-öffentlicher Inhalte geht. Die nicht-öffentlichen Inhalte des Bauausschusses, allen voran die Namen der Bieter, sollen nicht erwähnt werden. Gemeint sind die anwesenden PolitikerInnen, Bürgerinnen und Bürger und natürlich auch die Medien. Die Bitte konnte nur noch protokollarischen Charakter haben, denn der Name des Favoriten der Verwaltung beim Verkauf der ehemaligen Baptistenkirche und der Voigtschule in der Bürgerstraße war der Öffentlichkeit schon längst bekannt.

„Art Center Göttingen“ heißt der Favorit, der unter anderem im GT schon als Sieger gehandelt wird, wenn der Verkauf heute im nicht-öffentlichen Teil der Ratssitzung beschlossen werden soll. 13 Nutzungskonzepte wurden für die ehemalige Voigtschule und die Baptistenkirche beim Baudezernat eingereicht. Die Verwaltung arbeitete eine Bewertungsmatrix aus: 50 Prozent sollte der Kaufpreis entscheiden, 40 Prozent das Nutzungskonzept, 10 Prozent die Freiflächennutzung. Die höchste Bewertung erhielt das Konzept Nr. 3, das „Art Center Göttingen“.

Das sollte nicht öffentlich werden

Egal wer am höchsten bewertet wird, alle Konzepte bleiben bis zum Schluss im Rennen, versichert die Verwaltung. Die Vorstellung der Bewertung wird zwar im Bauausschuss Anfang Juni überwiegend positiv aufgenommen, manche Kriterien werden aber als subjektiv kritisiert. Und offenbar empfiehlt die Verwaltung das „Art Center Göttingen“ der Politik. Die Verwaltungsempfehlung sei den Ratsfraktionen in geheimer Sitzung mitgeteilt worden, deutet Gerd Nier von der GöLinke an. Ein normaler Vorgang, beschwert sich der Ausschussvorsitzende Henze, auch von der CDU kommt Kritik an Nier. Doch nun ist die erste Katze aus dem Sack: Der Favorit der Verwaltung aus dem nicht-öffentlichen Teil ist nun öffentlich.

Der Eindruck, dass die Würfel schon gefallen sein könnten, scheint sich in der Bauausschuss-Sitzung vom 20. Juni zu verfestigen. Abermals bringt Gerd Nier seine Kritik an einer vermeintlichen Festlegung der Verwaltung auf das „Art Center Göttingen“ zum Ausdruck. Das auf ein „Art Center“ in Bielefeld zurückgehende Konzept sei in der Kulturszene und bei der Kulturdezernentin Bielefelds wenig bekannt, kritisiert Nier. Als politischer Befürworter des Göttinger Kulturverbunds findet Nier es auch schade, „dass der potentielle Käufer zwar mal ein Schreiben an den Kulturverbund geschrieben hat, aber keine Kooperationsangebote an die Göttinger Initiativen geschickt hat.“

Eine Diskussion entbrennt. Christian Henze erklärt für die SPD-Fraktion, er könne die Bewertung der Verwaltung nachvollziehen.  „Das höchstbewertete Konzept ist auch eine kulturelle Nutzung,“ erklärt Henze, „man kann inhaltlich auch darüber streiten, aber es ist ein kulturelles Konzept.“ Hans Otto Arnold von der CDU ist bei den Bewertungskriterien skeptischer. Es seien teilweise sehr hohe Bewertungen herausgekommen, die mit anderen Bewertungen nicht in Relation stünden. Gerd Niers Einschätzung, das schon alles in Stein gemeißelt sei, teilt Arnold aber nicht. Wird der Ausschuss also von der Empfehlung der Verwaltung abweichen und eventuell für ein Konzept des Kulturverbunds stimmen?

Zwischen den Zeilen liegt der Kaufpreis

Nun beginnt das Lesen zwischen den Zeilen. Horst Roth von den Grünen lässt ungewollt die zweite Katze aus dem Sack. „Der Preis ist immer noch der ausschlaggebende Faktor“, sagt Roth im Ausschluss, als es um die Vorlage der Verwaltung geht. Dann fragt er den Ausschuss rhetorisch: „Ist es uns politisch das Wert, auf die maximale Erlösung des Kaufpreises zu verzichten?“ Auf den Publikumsrängen wird getuschelt: „Hat er gerade indirekt gesagt, dass der Bieter mit dem Konzept „Art Center Göttingen“ den höchsten Kaufpreis bietet?“

War der Preis also ausschlaggebend bei der hohen Bewertung des Art Center Konzepts? Soll der Ausschuss also einem Nutzungskonzept mit niedrigerem Kaufpreis, zum Beispiel vom Kulturverbund, den Vorzug geben? Politisch geht es im Bauausschuss nämlich auch um die Frage: Geben wir der Göttinger Kulturszene den Zuschlag oder bevorzugen wir ein nach Ansicht der Verwaltung etabliertes Konzept aus Bielefeld? Am Ende der Ausschusssitzung wird die Vorlage der Verwaltung mit den Stimmen von Rot-Grün zustimmend zur Kenntnis genommen, wie es im Amtsdeutsch heißt. Einer Entscheidung im Rat scheint nichts mehr im Weg zu stehen.

Der Verwaltungsakt wird torpediert

Die Ratsentscheidung könnte aber im Nachhinein hinfällig werden, sollte sich das Vergabeverfahren auf Grund vermeintlicher Mängel als fehlerhaft herausstellen. Einige Tage vor der Bauausschuss-Sitzung zieht der Kulturverbund nochmal alle Register. In einer neunseitigen Pressemitteilung, die zum Rundumschlag ausholt, wird abermals für das Nutzungskonzept (Proberäume, Konzert- und Kinosaal, ein Café Inklusion, ein Tonstudio, Kindergarten der deutsch-russischen Gesellschaft) des Kulturverbunds geworben. Die Stadt solle nicht verkaufen, sondern an den Kulturverbund verpachten, der für 10 Jahre eine kulturelle Nutzung zum Selbstkostenpreis bereitstellt. So könne die Stadt das Geld für die Entschuldungshilfe erhalten, ohne „Tafelsilber“ zu verscheuern.

Nach den versöhnlichen Tönen hagelt es dann aber massive Kritik. Geradezu penibel wird jedes einzelne Wort, jedes Argumentationsmuster der Verwaltung kritisiert. Es seien Gebote nach Ende der Abgabefrist angenommen worden. Das Bewertungssystem der Verwaltung sei nicht nachvollziehbar. Bei der Kommunalaufsicht in Hannover sei Beschwerde eingereicht worden, um das Verfahren zu prüfen.

Schließlich wird die Vorstellung der Verwaltung, das favorisierte Konzept des Art Centers aus Bielefeld sei in der nordrhein-westfälischen Stadt etabliert, stark angezweifelt. Bielefelder Lokalzeitungen, dem Kulturamt, selbst einer Musikschule in 300 Metern Entfernung vom Art Center soll diese Kulturinstitution unbekannt sein. Manche der Vorwürfe zeigen sich aber nach kurzer Recherche unberechtigt. So existiert eine Homepage deutlich länger, als der Kulturverbund glauben machen will und trägt anders als behauptet durchaus ein Impressum. Der Kulturverbund versucht unter Hinweis auf ein neues Schild aus dem April dieses Jahres den Eindruck zu erwecken, das Art Center in Bielefeld bestünde erst seit kurzem – tatsächlich mag das Schild neu sein, eine schnelle Recherche ergibt aber, dass mindestens seit 2008 ein großes entsprechendes Banner am Art Center Bielefeld prangte. Die lokalen Zeitungen berichten entgegen den Behauptungen der Pressemitteilungen vereinzelt sowohl über das Art Center wie auch über Aktivitäten der Mieter, beispielsweise Ausstellungen der dort ansässigen Galerie. Die skandalisierte Miete von 10 Euro pro Quadratmeter bewegt sich für die Bielefelder Innenstadtlage im üblichen Rahmen für die wohl auch ins Auge gefassten gewerblichen Mieter.

Politik und Verwaltung weisen zurück

Im Bauausschuss bestreitet Peter Friele vom Fachdienst Immobilien jegliche Verfahrensfehler. Bei einigen PolitikerInnen scheint das umfangreiche Schreiben des Kulturverbunds die gegenteilige Wirkung zu erzielen. Ulrich Holefleisch von den Grünen kocht vor Wut. „Ich habe selten so viele Briefe gelesen, wo so übereinander hergezogen wurde, Bieter gegen Bieter,“ schäumt Holefleisch. „Ich verbitte mir das!“ Die ständigen Einwände des Kulturverbunds gegen das Verfahren scheinen die Nerven von Politik und Verwaltung zu strapazieren.

Im Ausschuss herrscht weitgehend Einigkeit, dass die Verwaltung gute Arbeit geleistet hat und das Verfahren wie geplant fortgesetzt werden soll. CDU und FDP haben allerdings Zweifel an den Kriterien der Verwaltung. Hans Otto Arnold möchte das Verfahren zwar fortsetzen, mahnt aber, „aus den Fehlern die hier in dem Verfahren aufgetreten sind“ zu lernen und „zu einem Verfahren kommen, wo der Entscheidungsbaum überschaubar und nachvollziehbar ist.“

Aus Sicht der CDU ist das Verfahren also fehlerhaft, was aber kein Grund sei, es auszusetzen. Die Verwaltungsvorlage nehmen CDU und FDP, gemeinsam mit der GöLinke, am Schluss nicht zustimmend zur Kenntnis – es bleibt an Rot-Grün mit ihren Stimmen das Verfahren nun vor der Sommerpause im Rat zu einem Ende zu bringen.

Beschluss trotz Verfahrensfehlern?

Die Idee einer kulturellen Nutzung für die Gebäude in der Bürgerstraße geht auf den Verein Filmkunstfreunde zurück. Anfang das Jahres hatten sie sich für die Baptistenkirche stark gemacht. Dort sollte das Programmkino Cinema eine neue Bleibe finden. Im Zuge des Entschuldungshilfeprogramms wurde allerdings festgelegt, die Baptistenkirche nur zusammen mit der Voigtschule zu verkaufen. Nach langem Tauziehen zwischen Politik und Verwaltung auf der einen und Göttinger Kulturschaffenden auf der anderen Seite wurde im Bieterverfahren schließlich die Möglichkeit eingeräumt, auch für eines der beiden Gebäude zu bieten.

Marianne Mühlenberg von den Filmkunstfreunden ist zwar erfreut über die vielen Bieter, die ein Kino in ihrem Konzept vorsehen. Dennoch stehe die Baptistenkirche in vielen Konzepten nur hinterm Komma, kritisiert sie im Bauausschuss. „Was spricht dagegen, die Baptistenkirche rechtlich möglich abzutrennen und die Voigtschule in einem anderen Verfahren veräußern?“, fragt Mühlenberg. Christian Henze gibt eine erstaunliche Antwort, und lässt möglicherweise die dritte Katze aus dem Sack: „Wenn wir jetzt einem der beiden Bieter für die Baptistenkirche den Zuschlag geben, müssen wir den anderen sagen, dass ihre Angebote hinfällig sind.“

Sind die Bieter für die Baptistenkirche also im Nachteil, weil die anderen Bieter für beide Objekte bieten und somit im Sinne des EHP für Politik und Verwaltung attraktiver sind? Das wäre ein gravierender Verfahrensfehler, die Gebote wären nicht gleichberechtigt. Christian Henze teilt diese Einschätzung nicht, er vertraut hier der Verwaltung. Auf Anfrage von MoG erklärt er, dass die SPD-Fraktion davon ausgehe, „dass die Verwaltung uns ein Vorgehen vorgeschlagen hat, welches rechtlich nicht zu beanstanden ist und dass auch keine Verfahrensfehler begangen worden sind.“ Dieser Vorwurf sei von außenstehenden Personen pauschal erhoben worden. Sollte die Kommunalaufsicht das Verfahren aber bemängeln, wäre in einem weiteren Schritt zu prüfen, „ob Fehler so erheblich sind, dass sie das Ergebnis des Verfahrens beeinflusst haben,“ erklärt Henze. Aus Sicht von Rot-Grün steht der Entscheidung in der heutigen Ratssitzung nichts im Weg.

Der Kulturverbund fordert Verwaltung und Politik auf, die Sorge und Nöte der Göttinger Kulturschaffenden Ernst zu nehmen. Mehr Proberäume sind eine Forderung. Tatsächlich lässt sich der Proberaummangel bei Musi-Kuss und andernorts nicht von der Hand weisen, auch wenn die Stadtverwaltung das bestreitet. Die Nachfrage bei der Musa übersteigt das Angebot bei weitem, wie Tina Tiedemann gegenüber MoG bestätigt: „Auf der Warteliste stehen allerdings ca. 50 Interessenten von denen wir im Durchschnitt max. zwei pro Jahr einen Raum geben können, so dass wir seit längerer Zeit davon absehen, neue Bands auf die Warteliste aufzunehmen und damit falsche Hoffnungen zu wecken.“ Einen eklatanten Mangel will Tiedemann aber nicht erkennen.

Es ist mehr als ungewiss, ob der Kulturverbund sich nach allen Höhen und Tiefen mit seinen Konzepten durchsetzen wird. Genauso so ungewiss ist, welches rechtliche Nachspiel die vermeintlichen Verfahrensfehler haben werden.

Nachtrag: Der Rat hat sich für das Konzept des ArtCenters entschieden.

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Ein Kommentar auf "Wenn der Preis entscheidet"

  1. […] vorgestellte Konzept die Einrichtung von Proberäumen und einem Programmkino vorsah. Damit ist der umstrittene Prozess um die zukünftige Nutzung vorerst am Ende. Insbesondere der Göttinger Kulturverbund, der mit […]

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