Parteien in der Kürzungsdebatte

Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt
von am 23. April 2012 veröffentlicht in Lokalpolitik, Rotstiftmilieu, Titelstory

In der Auseinandersetzung um den Zukunftsvertrag wird deutlich, wie die Parteien zum Erfüllungsgehilfen von Oberbürgermeister und Verwaltung werden. Die Fraktionen übernehmen dabei die Funktion von Transmissionsriemen, um die Parteien auf Sachzwanglinie zu trimmen. Die parlamentarische Demokratie zeigt dabei ihr hässliches realpolitisches Gesicht.

Eine Bewertung der Vorgänge ist noch einmal in einem Gastkommentar zu lesen: „Empörend aber normal“.

Oberbürgermeister (OB) Meyer und die SPD-Fraktion im Rat werden aktuell vor die kniffelige Aufgabe gestellt, die eigene Partei (SPD) in die Entscheidung um den Zukunftsvertrag einzubinden, ohne sich von ihr wirklich rein reden zu lassen. Das ist insbesondere deshalb wichtig, weil die SPD in Göttingen zumindest noch in Ansätzen eine Volkspartei ist, also durchaus aktive Mitglieder in einzelnen Ortsteilen hat, die von den Kürzungen auch direkt betroffen sind – sei es weil sie in Weende wohnen und dort gern das Freibad nutzen; sei es, weil sie Eltern von schulpflichtigen Kindern, frauenpolitisch aktiv oder kulturell engagiert sind. Das birgt aus der Perspektive der Durchsetzung der Kürzungspläne zugleich Chancen und Risiken. Zum einen dienen diese Menschen als MultiplikatorInnen für die Akzeptanzbeschaffung, wenn sie in dem Prozess mitgenommen werden. Zum anderen könnten sie sich gegen die Kürzungen wenden und damit den demokratischen Legitimierungsprozess gefährden, weil sie oder ihr Umfeld von den Kürzungen betroffen sind. Diesen Hindernisparcours haben die politisch Verantwortlich bisher geschickt gemeistert.

Eine Chronik

Zunächst wird der SPD von ihrer Fraktion zugesagt, sie habe das letzte Wort für das Votum der Fraktion über die geplanten Kürzungen. Die Partei startet die Diskussion über den Zukunftsvertrag und die Kürzungen, mit dem Ziel auf einer Delegiertenversammlung ein Votum abzugeben, wie die Fraktion zu stimmen hat. Nun wird das erste Mal der Druck erhöht. Die Zeitplanungen werden immer enger. Sollte der Rat zunächst im Juni entscheiden, wird dieser Termin immer weiter vorverlegt, bis schließlich die Entscheidung mit dem 26. April fast 2 Monate früher ansteht. So wird eine intensive Diskussion erschwert. Trotzdem geht man in der lokalen SPD-Spitze weiter davon aus, Herr des Verfahrens zu sein. Auf einer Veranstaltung der ZukunftsvertragsgegnerInnen erklärt der Stadtverbandsvorsitzende noch am 22. März, über die Kürzungen sei noch nichts entschieden. Die Delegiertenversammlung der SPD werde am 17. April Entscheiden. Dies sei für die Fraktion bindend. Nach kurzer Funkstille ging dann jedoch alles ganz schnell. Am 12. April 2012 erklärten die Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD und Grünen in einer gemeinsamen Pressemitteilung fünf Tage vor der Delegiertenversammlung der SPD, sie hätten eine Einigung über die Kürzungen erzielt. Die Jusos, die für eine Ablehnung des Zukunftsvertrages plädieren, übten umgehend Kritik am Vorgehen ihrer Fraktion. Die hatte jedoch Fakten geschaffen.

Der SPD-Vorsitzende Horst Reinert versuchte sich noch im links blinken, indem auch er dieses Vorgehen kritisierte („ich bin geplättet“). Damit hatte er sich aber schon auf das rechts Abbiegen vorbereitet: Der Leitantrag des Partei-Vorstandes für die Delegiertenversammlung entsprach in den wesentlichen Punkten der Einigung der Fraktionen. Statt die Partei der Fraktion, hat so die Fraktion der Partei vorgeschrieben, wie sie abzustimmen hat. Denn die Diskussion um die Kürzungen auf der Delegiertenversammlung war nun von den geschaffenen Fakten der Fraktion geprägt. Es galt die „eigenen Leute“ – also die Fraktion – jetzt nicht zu beschädigen. Der Fraktionsvorsitzende Frank-Peter Arndt hatte auf Risiko gespielt und gewonnen. Ein Antrag der Jusos auf Nicht-Abschluss des Zukunftsvertrages wurde abgeschmettert. Auch die einzelnen Ortsvereine nahmen nun ihre eigenen Änderungsvorschläge nicht mehr ernst und stimmten im Wesentlichen den fraktionskonformen Antrag durch. Weder die – von der Basis intensiv diskutierten – Kürzungen beim Göttinger Symphonieorchester, noch ein echter Erhalt des Freibad Weende (die jetzige Lösung gilt als Tod auf Raten) wurde beschlossen. Trotzdem war die Basis beteiligt – die politische Führung hat ihr Ziel erreicht.

Dies war möglich, da OB und Fraktionsvorsitz über die Gestaltung der Rahmenbedingungen den Prozess an den wichtigen Stellen steuern konnten. Ein Musterbeispiel indirekter Steuerung: das Land lässt den OB und die Fraktionen nach seiner Pfeife tanzen, die wiederum bringen ihre Parteien (bei Grünen und CDU lief es noch geräuschloser) auf Linie, die nun mit ihrem weit verzweigten Netz in den Stadtteilen und Einrichtungen die Akzeptanzbeschaffung in der Bevölkerung für ihren Beschluss übernehmen. Die soziale und kulturelle Infrastruktur wird langsam finanziell erdrosselt, aber niemand ist schuld – Demokratie 2012.

Fraktionsinterner Druck?

Dies alles geschieht vor dem Hintergrund von internen Konflikten in der SPD, deren Schärfe von außen nur zu erahnen sind. So begründet der Fraktionsvorsitzende Arndt die vorzeitige Erklärung insbesondere mit der CDU damit, eine große Mehrheit für die Entscheidung sichern zu können (vgl GT 19. April 2012). Dabei verfügt rot-grün eigentlich über eine eigene Mehrheit im Rat. Offensichtlich ist man auch in der Fraktion nicht von der Linientreue aller ParlamentarierInnen überzeugt. Deshalb hatte man sich als komfortables Polster auch die Stimmen der CDU gesichert. Das trotzdem keine kontroversen öffentlichen Stellungnahmen aus der Fraktion zu hören sind, lässt auf einen sehr hohen fraktionsinternen Druck schließen, der auf potentielle AbweichlerInnen ausgeübt wird. Es wäre zu hoffen, dass die sich aus der Deckung wagen, wenn der öffentliche Druck gegen die Kürzungen zunimmt.

Text: buenaventura (Gastbeitrag)
Artikelbild: Harvey, Demo zum Erhalt des Weender Freibads am 17.4.2012

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7 Kommentare auf "Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt"

  1. retmarut sagt:

    Ein „Daumen Hoch“ für diesen treffenden Gastbeitrag!

    In Bezug auf die Mehrheit der SPD-Delegierten vom 17.04. fällt mir spontan Erich Kästner ein:
    „Was immer geschieht: Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.“

  2. Die Mitte erobern! sagt:

    Nicht der einzige Mist in der Göttinger SPD: Man hört, dass der größte Ortsverein der Stadt mittlerweile von Verbindern unterwandert wird. Außerdem war deren stellv. Vorsitzender Alexander Voigt ein führender Kopf in der rechtsradikal-offenen IGV (Initiative Göttinger Verbindungsstudenten).

  3. Bolschewik sagt:

    Ein guten Artikel mit einer Kritik: Es wird am Anfang von Parteien geredet, sonst wird aber von den Sozialdemokratie geredet. Das die bürgerlichen Parteien (Grüne, CDU, Piraten) hier nicht erwähnt, ist zwar richtig. Aber was ist mit den GöLinke aus Partei die Linke., Deutsche Kommunistische Partei und Parteilose….Übernimmt diese Wahlvereinigung die Funktion des Transmissionsriemen?! Eben nicht! Es gibt Unterschiede zwischen die Parteien und die gilt es zu beachten. Das gilt auch für Autonome, die zumindest temporär Bündnis mit Parteien und Gewerkschaften eingehen können.

    Aber Sonst ist der Artikel für ein Lehrbuch über die Sozialdemokratie geeignet 😉

  4. buenaventura sagt:

    Jetzt muss außerhalb des Rates Druck gemacht werden. Der nächste wichtige Termin hierfür:

    Donnerstag, 26.04., 16:30 Uhr vor dem Neuen Rathaus.
    Kundegebung für ein lebenswertes Göttingen, vor der Ratssitzung zum Zukunftsvertrag.

  5. Rakete sagt:

    Reichlich spät, wie ich finde. Der Rat wird sich wohl kaum mehr von einer Kundgebung umstimmen lassen. Ich will ja nicht fatalistisch klingen, aber der Drops ist gelutscht, fürchte ich…

  6. retmarut sagt:

    @ Rakete: „Ich will ja nicht fatalistisch klingen, aber der Drops ist gelutscht, fürchte ich…“

    Das ist meiner Ansicht nach eine Fehleinschätzung. Nach dem Ratsbeschluss am Donnerstag (und den dann anstehenden Vertragsverhandlungen mit dem Land, denn es führt ja jede teilnehmende Kommune völlig eigenständige Verhandlungen) fängt die Auseinandersetzung eigentlich erst richtig an.

    Zum einen ist davon auszugehen, dass die Schuldenkürzungen wesentlich geringer ausfallen werden als von Meyer und Co. bisher postuliert, schlicht weil der bereitgestellte Gesamttopf bereits ziemlich geleert ist. Damit wird aber die derzeitige Milchmädchenrechnung (also das bisherige Hin-und-hin-Geschiebe von Kürzungspositionen) nicht aufgehen und neuerliche Kürzungsrunden werden alsbald ins Haus stehen.
    Da der Z-Vertrag weder eine Gesamtübernahme der Schulden (tabula rasa) noch eine gesetzliche Besserstellung der Einnahmenseite der Kommunen vorsieht, andererseits aber tendentiell der Anteil der gebundenen Leistungen, die Land und Bund auf die Kommune abwälzen, zunimmt und zugleich aufgrund der Wirtschaftskrise noch für längere Zeit die Einnahmen der Kommune eher abnehmen werden, wird im Grunde bei jeder neuen Haushaltsaufstellung wieder die Frage des Kürzens bei freiwilligen Leistungen und Personal anstehen. Der Z-Vertrag entspricht dann funktional in etwa dem, was die sog. „Schuldenbremsen“ von Bund und Ländern bewirken sollen: Künstlich Sachzwänge aufstellen, um Sozialabbau (also Umverteilung zu Lasten der unteren Klassen und Schichten) als TINA-Angelegenheit rechtfertigen zu können.

    Der Protest derzeit ist gelinde gesagt noch ziemlich schwach (mit Ausnahme der Weender Freibad-Initiative gibt es keine ernstzunehmende Massenbewegung). Aufgrund der zunehmenden Widersprüche könnte der Protest in den kommenden Jahren jedoch weitaus größeres Potential erhalten. Die Frage lautet wie immer: Ab wann wird der Druck als so groß empfunden, dass sich Massenprotest regt? Oder um es mal abstrakter zu formulieren: Wann genau schlägt quantitative Steigerung in neue Qualität um, wird aus Wut Widerstand?

  7. buenaventura sagt:

    retmarut hat recht. Neben dem Umstand, dass die Kürzungen, die jetzt anstehen nicht die ersten sind und wohl auch nicht die letzten sein werden (Das Haushaltsicherungskonzept der Stadt kann immer noch kommen, die unter- 4%-Klausel für die freiwilligen Leistungen, ist bei Einnahmeausfällen ein Kürzungsautomatismus), ist es wichtig, die Bedeutung der Entscheidugn vom 26. April richtig zu werten. Es wird nur der OB beauftragt mit einem bestimmten Kürzungskonzept mit dem Innenministerium zu verhandeln. Danach folgen noch mindestens zwei weitere Abstimmungen. 1. Die Entschiedung über den Abschluss des Vertrages nach den Verhandlungen. 2. die Umsetzung des Vertragen im nächsten Haushalt. vorher ist noch nichts wirklich gekürzt. Wenn jetzt also die Einrichtung wissen, was auf sie zu kommt – und damit auch, was ihre Gespräche der letzten Wochen gebracht haben -, ist es nur zu hoffen, dass sie endlich aus ihrem Lobbymodus raus kommen und sich politisch positionieren.

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