Rat winkt "Zukunftsvertrag" durch

Zwischen „Alternativlos“ und „Knebelvertrag“
von am 26. April 2012 veröffentlicht in Lokalpolitik, Rotstiftmilieu, Titelstory

Kulturelle und soziale Einrichtungen in Göttingen müssen um ihre finanzielle Grundlage bangen. Der Rat der Stadt Göttingen entschied heute über den sogenannten „Zukunftsvertrags“. Das einschneidende Kürzungsvorhaben zur Haushaltskonsolidierung wurde mit großer Mehrheit durchgewunken – unter lautstarkem Protest vor und in der Sitzung.

Wir begleiten die Debatte um den „Zukunftsvertrag“ mit dem Land Niedersachsen in dem Schwerpunkt „Rotstiftmilieu“. Alle Artikel dazu finden sich hier in einer Übersicht.

Bereits vor der Sitzung hatten sich nicht ganz 200 Menschen vor dem Rathaus versammelt, um noch einmal den Ratsmitgliedern ihren Protest kundzutun. Nebeneinander stehen hier das „Bündnis für ein lebenswertes Göttingen“, die Initiative für das Weender Freibad und das antikapitalistische Krisenbündnis. Kinder spielen zwischen den Menschen, ihre Eltern protestieren daneben gegen geplante Kürzungen im sozialen Bereich. Eine Band spielt zur Unterstützung Musik und eine Kinderturngruppe sorgt im Rahmenprogramm für Unterhaltung.

Am Mikrofon werden mehrere Stellungnahmen gegen den Vertrag mit dem Land Niedersachen, den sogenannten „Zukunftsvertrag“, vorgetragen. Immer wieder wird auf die Unterfinanzierung der Kommunen hingewiesen – und auf die Politik, die die angesichts dieser Mißstände lieber die Interessen von „Banken und Spekulanten“ fördere. In seinem Redebeitrag mahnt das antikapitalistische Krisenbündnis an, sich bei den Protesten nicht dazu verleiten zu lassen, nur die eigenen Partikularinteressen zu verteidigen, sondern solidarisch den Protest gemeinsam zu organisieren – und spricht dabei auch gezielt das Engagement für den Erhalt des Weender Freibads an, was für Unmut bei den für das Bad protestierenden Besucher_innen führt. Eines betonen alle Redner_innen: der Protest müsse weitergehen.

Zum Abschluss der Kundgebung ließ sich dann auch der Oberbürgermeister Wolfgang Meyer (SPD) vor dem Rathaus blicken. Dort nahm er Listen mit knapp 1000 Unterschriften gegen einen Vertragsabschluss mit dem Land Niedersachsen entgegen. Sein Versuch, noch einige Worte an die Kundgebungsteilnehmer_innen zu richten ging aber in Pfiffen und Zwischenrufen unter. Ein Vorzeichen für die Ratssitzung, wie sich bald zeigen sollte.

Die Ratssitzung soll um 17:30 Uhr beginnen. Die Ränge für Besucher_innen rund um die Sitze der Ratsmitglieder sind gut gefüllt. Um einer erwarteten großen Zahl von Gästen gerecht zu werden, wurden im Vorfeld eine begrenzte Menge an Einlasskarten ausgegeben. Dennoch ist weniger los als bei den „Bürgerdialog“-Veranstaltungen, die in den vergangenen Monaten stattgefunden hatten. Es ist unruhig, und gleich nach der Eröffnung, als der Oberbürgermeister das Wort erhält, schallt Protest durch den Ratssaal. Noch einmal verteidigt er das geplante Vorhaben, betont, wie sehr man sich Mühe gegeben habe, es möglichst schonend auszugestalten. Glauben wollen Gäste ihm das nicht: „der Zukunftsvertrag ist eine Unverschämtheit“, schallt es durch den Ratssaal. Pfiffe und Zwischenrufe – und der Vorsitzenden des Rats platzt der Kragen: Die Sitzung wird bereits nach knapp 12 Minuten für fünf Minuten unterbrochen.

Unter Tumulten geht es weiter, zweimal wird angedroht, die Sitzung zu räumen. Nacheinander dürfen SPD-, GöLINKE-, Piraten-, Grüne- und CDU-Ratsherren – ausschließlich Männer – darlegen, warum sie dem „Zukunftsvertrag“ zustimmen (SPD, Grüne, CDU) oder eben nicht zustimmen (GöLINKE und Piraten) werden. Schlagwörter wie „alternativlos“ fallen. „Knebelvertrag“ heißt es von den Kritiker_innen. Zu bestaunen gibt es noch ein wenig parteipolitische Bissigkeit zwischen GöLINKE und Piraten, und die Versuche von Patrick Humke (GöLINKE) und Fritz Güntzler (CDU) herauszufinden, wer wann wen und ob und wenn, ob dann zurecht, einer den anderen einen „Lügner“ genannt habe. Nach viel Lamentieren, Protestieren, vielen Zwischenrufen und gereizten Reaktionen sieht das Drehbuch die Abstimmung vor.

Dann geht alles ganz schnell: Die Piraten stellen noch einen Änderungsantrag, der schon bei der eigenen Fraktion nur bei der Hälfte der Mitglieder, nämlich dem Antragsteller, auf Zustimmung stößt. Dann wird abgestimmt: Dagegen? Drei GöLINKE-Hände, zwei Piraten-Hände. Dafür? Wird nicht einmal wirklich gezählt, eine Menge Hände jedenfalls. Enthaltungen? Keine. „Da sitzen die Typen hier und machen den Frauennotruf platt“ murmelt neben dem Autor fassungslos eine Stimme.

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Ein Kommentar auf "Zwischen „Alternativlos“ und „Knebelvertrag“"

  1. Erst einmal vielen Dank für den Artikel. Allerdings zur Erinnerung: Ich habe diesen Skandal um den ‚Zukunftsvertrag‘ vor über einem Jahr öffentlich und ihn bei den betroffenen Initiativen und dem GT und Stadtradion mit allen seinen Folgen bekannt gemacht. Das hatte zur Konsequenz, dass ich aus das Übelste bechimpft wurde und zudem viele Einrichtungen mir nicht geglaubt haben und lieber den Versprechungen der Grünen und der SPD geglaubt haben. Von daher war der Disput zwischen Fritz Güntzler und mir KEIN Parteiengezänk o.ä. Darüber hinaus war es für mich manchmal ernüchternd, dass sich große Teile der ‚Szene‘ und von ‚Betroffenen‘ sich sehr lange nicht gerührt haben und sich nun einige wundern, dass es nun von der Mehrheit durchgezogen wurde… Übrigens – der ursprüngliche Plan war, dass die Mehrheit den Plan ohne jegliche Beteiligung bereits im Juni 2011 beschliessen wollte. Das wurde zumindest verhindert. Trotzdem habe ich mich riesig gefreut, dass so viele Leute kurz vor Beschlussfassung an den Protesten teilgenommen haben und die Ratssitzung fast gesprengt haben. Daran muss noch gearbeitet werden… Die Möglichkeit besteht auf jeden Fall vor der endgültigen Beschlussfassung nach den Verhandlungen mit dem Innenministerium. Wir LINKE werden den VErtrag weiter torpedieren und stehen den Verhandlungen für einen Zukunftsvertrag nicht zur Verfügung – auch ein Unterschied zu den Piraten, deren Ratsherr Schleuß hier eine Bereitschaft signalisiert hat…

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