Onlineplattform zum Zukunftsvertrag

Ende des „Dialogs“
von am 16. März 2012 veröffentlicht in Lokalpolitik, Rotstiftmilieu, Titelstory

Mit großem Werbeaufwand begleitet die Stadt Göttingen den „Zukunftsvertrag“, den sie mit dem Land abschließen will. Dieser Pakt soll langfristig dazu führen, dass die Stadt entschuldet wird – dafür sollen aber in bedeutendem Umfang Leistungen beschnitten werden oder Beiträge erhöht werden. Insbesondere kulturelle und soziale Angebote sind betroffen. Zum Werbeaufwand gehört auch ein Internetportal, auf dem Bürger_innen ihre Meinung kundtun können. Aber nur noch bis heute abend.

Einmalig ist diese Beteiligungsform keinesfalls. Schon in Niedersachsen setzen viele Kommunen und Landkreise auf Internetplattformen, um den Bürgerzorn zu kanalisieren, bevor er die lokale Politik erreicht. In anderen Kommunen sind längst ohne große öffentliche Aufmerksamkeit „Zukunftsverträge“ unter Dach und Fach (ein Artikel mit weiteren Analysen folgt in den kommenden Tagen). Das Göttinger Portal („Göttingen entscheidet sich“) stammt von der Firma ontopica, die mit gleichen Angeboten auch in anderen Orten wie Essen („Essen kriegt die Kurve“), Bonn („Bonn packts an“) und anderswo („Solingen spart“) darauf spezialisiert ist, Bürger schmerzhafte Haushaltskürzungen unter sich ausmachen zu lassen.

In Göttingen ist auf dem entsprechenden Portal www.zukunftsvertrag.goettingen.de noch bis zum Abend des heutigen Freitags die Möglichkeit gegeben, eigene Kommentare zu hinterlassen oder „abzustimmen“. Jede_r kann sich dort registrieren (grauer Link „Erstmalig anmelden“) und zu den dort von Verwaltung oder Bürger_innen eingestellten Kürzungsvorschlägen Kommentare hinterlassen. Per Klick kann auch jeweils Zustimmung oder Ablehnung signalisiert werden. Bisher haben sich dort über dreitausend Nutzer_innen registriert und gut halb so viele Kommentare hinterlassen. Neben den Vorschlägen aus der Verwaltung können auch Bürger_innen eigene Vorschläge einstellen und haben das auch getan. Neben Hundesteuererhöhung, Straßenbeleuchtungseinschränkungen und anderen eher erwartbaren Vorschlägen haben viele Bürger_innen die Gelegenheit genutzt und die Plattform für weitere politische Botschaften eingespannt. So gibt es Vorschläge, die Stadt möge ihre Gläubiger zum Schuldenschnitt bewegen, Regionalgeld oder eine kommunale Reichensteuer einführen. Und natürlich sind da auch Stimmen, die gerne das JuzI abschaffen oder das Gänseliesel verkaufen würden.

Aus der Reihe fällt bei den Vorschlägen der Vorschlag B147: er verlangt, den Abschluss des Zukunftsvertrags generell abzulehnen. In den Kommentaren dazu hat ein Moderator der Plattform allerdings gleich vorweg gesetzt, dass es darum nicht gehen soll und verweist auf einen Ratsbeschluss. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit: Der Rat kann natürlich dennoch unabhängig von Absprachen mit dem Land den Haushalt verabschiedet, den die Ratsleute für richtig halten. Diesen Haushalt muss allerdings das Land genehmigen – jedenfalls wenn er ein Defizit aufweist.

Am Mittwochabend ging derweil der „Bürgerdialog“ im Rathaus in die zweite Runde. Von „Dialog“ war allerdings nicht viel zu spüren. Daran hatte sicher auch Oberbürgermeister Meyer seinen Anteil, der selbst zuerst das Wort erteilt bekam. Brüsk stellte er klar, dass am „Zukunftsvertrag“ nichts zu rütteln sein solle. Bei den bisherigen Diskussionen, so Meyer, sei „das eigentliche Ziel ein bißchen aus dem Auge geraten“. Und das sei eine „nachhaltige Entlastung“ der Stadt für die Zukunft. Mit solch grundsätzlichen Worten eröffnet ging es dann auch drei Stunden lang mit sehr grundsätzlichen Beiträgen weiter, von denen der Großteil sich um das „Ob“ eines „Zukunftsvertrags“ drehte, weniger um das „Wie“. Zu einem wirklichen Dialog kam es aber schon deshalb nicht, weil natürlich niemand aus der Verwaltung als Vertreter_in einzelner Kürzungsvorschläge parat stand. Klar wurde an diesem Abend noch einmal: „Göttingen entscheidet sich“ ist falsch formuliert. Göttingen – also Lokalpolitik und Verwaltungsspitze – hat sich längst entschieden. Nun wird darauf gehofft, dass die Bürger_innen sich um die Reste im Haushalt streiten und ihr Zorn kanalisiert wird. Nach anderthalb Stunden beim „Bürgerdialog“ hat eine Zuhörerin genug. Aber bevor sie geht, stellt sie sich noch mal am Mikro an und wartet kurz, bis sie dran ist. Dann richtet sie ein kurzes Abschiedswort an Kommunalpolitiker und Verwaltung: „Sie hören uns ja eh nicht zu“.

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