"Sirenen des Hasses"

Broschüre über „NS Hardcore“
von am 10. Juni 2011 veröffentlicht in Musik, Neonazis

NSHCNeonazi = Skinhead. Hatte diese Gleichung für die 80er und 90er Jahre noch eine gewisse Gültigkeit, so kann man seit der Jahrtausendwende eine jugendkulturelle Ausdifferenzierung der Neonaziszene beobachten, die sich an linken oder unpolitischen Vorbildern orientiert.

Charakteristisch für diese Nachahmungen von Rechts ist, dass sie nur auf der symbolischen Ebene vollzogen werden. So wurde zwar Kleidungsstil und Auftreten des schwarzen Blocks durch selbsternannte „Autonome Nationalisten“ übernommen, dessen linkspolitische Forderungen und Organisationsstruktur jedoch nicht. Wenn Nazis schwarze Kapuzenpullover anziehen und ein buntes Banner vor sich hertragen, steht dahinter immer noch dieselbe menschenverachtende Ideologie, die ihr historisches Vorbild in der völkischen Bewegung des 19. Jahrhunderts hat.

„NS-Hardcore“ ist ein aktuell besonders erfolgreiches Produkt dieses Hanges zur Mimikry. Seit Anfang des neuen Jahrtausends entwickelt sich in Deutschland eine entsprechende Szene, die unter anderem besonders im Bundesland Sachsen-Anhalt floriert. Aber auch der Göttinger Neonazi Timo Schubert – Mitglied einer Rechtsrock-Band und Betreiber eines Versandhandels – machte von sich reden als er vor zwei Jahren versuchte sich den Schriftzug „Hardcore“ als Marke sichern zu lassen. Glücklicherweise blieb es beim Versuch und der Begriff wurde aus dem Markenregister gelöscht.
In Sachsen-Anhalt finden sich einige der wichtigsten Bands, Labels und Akteur_innen der „NS Hardcore“-Szene. Diese wird in der Broschüre „Sirenen des Hasses. NS Hardcore aus Sachsen-Anhalt“ des Vereins Miteinander e.V. genauer unter die Lupe genommen. Die Hauptthese des Autorentrios lautet dabei, dass gerade aufgrund der uneindeutigen Ästhetik des „NS Hardcore“ dessen Anschlussfähigkeit zu nicht-rechten Jugendszenen potentiell höher ist, als bei Naziskins, neonazistischen Parteinen oder Kameradschaften und Anderen deren Gesinnung bereits auf den ersten Blick unzweifelhaft erkennbar ist.

Mitte der 90er Jahre wurden die ersten deutschen Nazibands vom Musikstil Hardcore beeinflusst. Prägend waren hier amerikanische Vorbilder wie die Blue Eyed Devils. Im Unterschied zu den Bands die Anfang des neuen Jahrtausends auftauchten, verstanden sich die Mitglieder dieser Gruppen jedoch noch als Skinheads. Erst mit der neuen Generation zu denen die Namen „Brainwash“, „Path of Resistance“ und „Moshpit“ gehören, entwickelte sich auch ein dezidiertes Szenegefühl, welches sich von dem der Skinheadsubkultur unterscheidet. Nichtsdestotrotz erfuhren viele der Akteur_innen ihre jugendkulturelle Sozialisation zunächst in der typischen Rechtsrocklandschaft. So ist die Gruppe „Path of Resistance“ beispielsweise ein Nachfolgeprojekt von „Nordmacht“. Die Selbstbezeichnung „National Socialist Hardcore (NSHC)“ hat sich jedoch erst vor ca. 3 Jahren durchgesetzt. Nazihardcore firmierte bis dahin unter anderem auch unter dem Label „Hatecore“, einer Bezeichnung, die ebenfalls zunächst von eher linken Bands verwendet wurde.

Die Broschüre enthält Informationen über Protagonist_innen, Labels und Aussagen von insgesamt zehn „NS-Hardcore“-Bands. Darunter ist zum Beispiel die Band „Daily Broken Dream“, die sich bereits 1998 gründete und bis zum Jahr 2007 unter dem Namen „Race Riot“ spielte. Die Umbenennung begründet ihr Frontmann nicht zuletzt damit, dass der neue Name die Anziehungskraft auf nicht-rechte Menschen erhöhe und diese somit leichter für die Naziszene gewonnen werden könnten. Mit „Until the End Records“ besitzt die Band sogar ein eigenes Label, auf dem auch das internationale NSHC-Projekt „Fear rains down“, deren Mitglieder auch bei „Teardown“ aus den USA und eben „Daily Broken Dream“ spielen, veröffentlicht. Auffällig ist bereits hier die Verwendung der englischen Sprache – ein Unterschied zu herkömmlicher Nazimusik aus Deutschland. Jedoch sind nicht alle Protagonist_innen der Szene des Englischen wirklich mächtig. So hat sich die Magdeburger Band „2 Minutes Warning“ diese Inkompetenz direkt in den Namen gemeißelt (Vorbild für den Namen ist die „Two-minute warning“ aus dem amerikanischen Football. Das zusätzliche „s“ der Magdeburger ist dagegen so überflüssig wie die Band selbst.).

Die uneindeutige Ästhetik der NSHC Bands setzt sich in den Texten fort. Es fehlt oft an eindeutigen Bekenntnissen zum Nationalsozialismus. Mit dem richtigen Hintergrundwissen zum politischen Kontext der Bands, werden die Aussagen jedoch klar und es offenbaren sich vor allem antisemitische Verschwörungsvorstellungen, die nicht selten in Vernichtungsphantasien münden. So singen „Inborn Hate“ über das ‘jüdische’ Amerika: „Fuck you and your fucking lies/ revenge for those who have died/ so everyone gets what he deserves/ soon or later you’ll be cleaned from this earth“. Solche klassischen Nazimusikinhalte werden ergänzt durch hardcoreszenetypische Themen, wie Umweltprobleme, Zustandsbeschreibungen der eigenen Szene und sogar Straight Edge. Straight Edge bezeichnet eine drogenfreie Lebensweise innerhalb der Punk-Hardcore Bewegung. Auch diese Idee kommt ebenfalls originär von links. Symbolisiert wird dies durch die drei Buchstaben „sXe“. Die NS-Straight Edger machen daraus „nXs“ und propagieren die „Reinhaltung des Blutes“ durch eine drogenfreie Lebensweise.

Die Broschüre kann unter folgender Adresse bestellt werden:

Miteinander e.V.
Erich-Weinert-Straße 30
39104 Magdeburg
net.gs[ät]miteinander-ev.de

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