Hintergrund
Völkische Freundeskreise gegen Geflüchtete
von Rune Wiedener am 23. Dezember 2015 veröffentlicht in featured, Hintergrund, Neonazis, TitelstoryNPD-Kundgebung in Heiligenstadt: Thorsten Heise rechts im Hintergrund. (Foto: Kai Budler)
Der Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen hat am Sonntag zum vierten mal in Duderstadt demonstriert. Hinter „normalen Bürgern aus der Mitte der Gesellschaft“ stehen gut-organisierte Netzwerke von AFD und NPD. Ein ausführlicher Gastbeitrag.
Am Ende des Jahres haben rassistische Mobilisierungen nun auch Südniedersachsen erreicht. In Duderstadt und Northeim finden sonntäglich die sogenannten „Ein Licht für Deutschland“ -Kundgebungen statt. Als Vorbild dienen Versammlungen des gleichen Typs im nordthüringischen Eichsfeld. Initiatoren wie der „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“ stellen sich als „normale Bürger aus der Mitte der Gesellschaft“ dar, doch diese Selbstbezeichnung trügt. Denn die Kundgebungen werden von altbekannten extrem rechten Strukturen der NPD und AfD gestellt, die in der sogenannten „Flüchtlingskrise“ die politische Chance einer breiten, „organischen“ Bewegung sehen. Sie alle eint ein völkisches Grundverständnis der Gesellschaft.
Heiligenstadt
Die ersten expliziten Proteste gegen Geflüchtete in der Region fanden am 19. September in Heiligenstadt statt, damals noch offiziell von der NPD organisiert. RednerInnen wie Thorsten Heise, Kreistagsmitglied für die NPD im Eichsfeld und maßgeblicher Organisator regionaler Nazistrukturen seit Ende der 1980er Jahre, und die Stadtratsmitglieder Monika Hirkow und Matthias Fiedler sprachen zu ca. 100 ZuhörerInnen. Sie thematisierten die bevorstehende Nutzung einer leerstehenden Schule als Geflüchtetenunterkunft und behaupteten, die Bundesrepublik würde die bestehende Bevölkerung durch „kulturfremde“ Geflüchtete austauschen wollen. Die ZuhörerInnen setzten sich einerseits aus AnwohnerInnen und andererseits aus bekannten Neonazis aus Thüringen und Südniedersachsen zusammen. Unter diesen befanden sich Aktivisten der im Eichsfeld nicht voneinander trennbaren NPD– und Kameradschafts-Strukturen, unter anderem Rene S., die L.-Brüder, Frank H. und Kevin H.. Aus Südniedersachsen reisten eine handvoll Neonazis um Pascal Z. aus Northeim und Fabian S. aus Nesselröden an. Bereits damals kam es im Umfeld der beiden neonazistischen Kundgebungen zu gewalttätigen Angriffen einer sogenannten Sportgruppe, die versuchte, antifaschistische Blockaden der zweiten Kundgebung anzugreifen. Dies blieb glücklicherweise erfolglos.
Erfurt und das Institut für Staatspolitik
Für etwas mehr als einen Monat verzichteten die Eichsfelder NPD-Strukturen auf die Organisation eigener Kundgebungen. Stattdessen bildete man Fahrgemeinschaften, um jeden Mittwoch nach Erfurt zu den AfD-Demonstrationen von Björn Höcke zu reisen. Schließlich finden sich zumindest bezüglich der sogenannten „Flüchtlingskrise“ und zu der Frage, wie die Zugehörigkeit zu einem „deutschen Volk“ definiert sei, keine inhaltliche Differenzen. Denn Björn Höcke, längst bekannt als die politische Führungsperson des explizit völkischen Flügels der AfD, wurde nicht nur durch die langjährige Nachbar- und Bekanntschaft mit Thorsten Heise politisiert. Er steht insbesondere dem neurechten Institut für Staatspolitik des Pegida-Redners und Gildenschafters Götz Kubitschek nahe. Dort fand bereits ein Sitzungstreffen der thüringischen AfD-Fraktion statt, und unlängst referierte Höcke höchstpersönlich auf dem dritten staatspolitischen Kongress des Instituts über angebliche Unterschiede zwischen Europäern und „Afrikanern“ in ihren „Reproduktionsstrategien“.
Völkischer Nationalismus als Grundlage
Das Institut für Staatspolitik mit Sitz im sachsen-anhaltnischen Schnellroda steht in der Tradition der extrem rechten Strömung der Neuen Rechten. Die Strömung entstand – auch in Abgrenzung zur damals starken Neuen Linken – in den 1960er Jahren; Akteure in mehreren Zirkeln versuchten, extrem rechte Ideologeme zu erneuern und zu einer Intellektualisierung des nationalen Lagers beizutragen. Dabei kam es auch zu einer Restauration völkischen Denkens. Zunächst wurde ein auf einer europiden Rasse basierender Europäischer Nationalismus en vogue, Mitte der 1970er Jahre entwickelte sich schließlich im Austausch mit der französischen Neuen Rechten, der Nouvelle Droite um ihren Vordenker Alain de Benoist, das Modell des Ethnopluralismus. Dies folgt der Grundannahme, das jede (Volks-)Kultur in sich geschlossen erhaltenswert sei und einer Vermischung von Völkern, die ihre spezifischen Kulturen infolge von tausenden Jahren als homogene Körper entwickelt hätten, ihr jeweiliger Untergang folgen würde. Der Ethnopluralismus ist nicht nur ein weltanschaulicher Bezugspunkt des Instituts für Staatspolitik, sondern auch für Magazine wie die Blaue Narzisse aus dem sächsischen Chemnitz und für bewegungsförmige Akteure wie der Identitären Bewegung, für die Kubitscheks Rittergut in Schnellroda eine Avantgardestellung einnimmt.
Auch wenn in punkto Ethnopluralismus nicht mehr von Rasse gesprochen wird, sondern von Kultur, bleibt es ein völkisches Gesellschaftsmodell. Denn die Kulturen seien in ihrer Entstehung abhängig von den natürlichen Lebensbedingungen der jeweiligen Völker gewesen. Eine abstrakt gehaltene Natur bildet also weiter die Grundlage einer abstrakt gehaltenen Kultur. Insofern verwundert es nicht, dass sich diese Grundannahmen inzwischen im Grundsatzprogramm der NPD finden lassen, wenn sich dort die Formulierungen eines „Europas der Vaterländer“ und einer „gewachsenen Nationalkultur als identitätsstiftendes Element“ finden lassen.
So ist es auch dieses rassistische Volksverständnis, welches allen Mobilisierungen gegen Geflüchtete in der Bundesrepublik gemein ist. Mindestens für die OrganisatorInnen ist es die Legitimation für ihr Handeln. Dabei ist es egal, ob sie ihrem Protest die Namen Pegida, Kagida oder Bragida, AfD-Demonstration gegen „Asylchaos & Eurokrise“ oder Bürgerinitiative geben. Sie alle eint die in Gewalt und aggressivem Handeln materialisierte Angst, durch vermeintlich schädliche, kulturfremde Einflüsse verlören sie ihre Heimat, ihre Identität, ihre Kultur. Es ist die verzweifelte Abwehr des Untergangs eines völkisch begriffenen Europas.
Ein Licht für Deutschland- Kundgebungen im Eichsfeld
In dieser Abwehr entstand nun aber die erste breite soziale Bewegung der Bundesrepublik, die auf völkischen Grundlagen beruht. Wohl angetan von der Erfahrung, jeden Mittwoch in Erfurt Teil einer Demonstration mit mehreren tausend TeilnehmerInnen zu sein, gaben die neonazistischen Strukturen in Südniedersachsen und im thüringischen Eichsfeld ihren Protesten eine kontinuierliche Form. Die in anderen Regionen bereits bekannten Ein Licht für Deutschland-Kundgebungen starteten Anfang November in Heiligenstadt und Northeim. Bald folgten die Eichsfelder Orte Leinefelde, Duderstadt und Neustadt. Trotz der in Heiligenstadt offensichtlichen Nähe zur NPD, schließlich ist ihr Kader Rene S. der Anmelder der Kundgebungen und Matthias Fiedler regelmäßiger Redner, versuchen sie den Eindruck eines überparteilichen Charakters zu erwecken. Vor bis zu 120 TeilnehmerInnen in Heiligenstadt wollen sie damit suggerieren, ihre Kundgebungen seien besonders bürgernah und nicht vereinnahmt durch Parteien wie die AfD, die durch das allgemeine Schüren der Flüchtlingskrise momentan politischen Zuwachs erfährt und die politische Führungsrolle der bundesweiten Proteste zu übernehmen gedenkt.
Der „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“
Doch es ist nicht nur die NPD, die sich an den Organisationen der Ein Licht für Deutschland-Kundgebungen beteiligt. Im Oktober trat der Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen an die Öffentlichkeit. Zunächst fuhr man gemeinsam zu den AfD-Demonstrationen in Erfurt, später zu den NPD-Kundgebungen nach Heiligenstadt. Ab Ende November organisierte der Freundeskreis die entsprechenden Versammlungen in Duderstadt. Ihr Anmelder ist Lars Steinke, Aktivitas der Göttinger Burschenschaft Hannovera und umtriebiger Funktionär der Jungen Alternative, der offiziellen Jugendorganisation der AfD. Er ist nicht nur dort bekannter Kader, er ist auch fest im Milieu der Neuen Rechten verankert. Steinke schrieb mehrere Artikel für die Blaue Narzisse und hat zumindest persönlich scheinbar gute Kontakte zur Identitären Bewegung. So betrauerte er auf seiner Facebookseite öffentlich den tödlich verunglückten Maximilian E., bis September der Regionalleiter des Identitären Großraums Hannover.
Völkische Verbindungen
Mit dieser politischen Verortung passt Steinke in den Freundeskreis. Dieser fordert, genau wie die NPD oder die Identitäre Bewegung, ein „Europa der Vaterländer“ als völkische Alternative zur Europäischen Union. Er ist zudem Teil der „Ein Prozent für unser Land“-Aktion, die zum ersten Mal Götz Kubitschek in seiner Rolle als Chefredakteur der Sezession vorstellte, welche wiederum vom Institut für Staatspolitik herausgegeben wird. Mit dieser Aktion versucht Kubitschek in Zusammenarbeit mit der Identitären Bewegung, die Ablehnung der von ihm als „Flüchtlingsinvasion“ titulierten Migrationsbewegungen für eine finanzielle Unterstützung der eigenen politischen Arbeit zu nutzen. Nur ein Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung reiche als SpenderInnen aus. Ferner weist das Logo des Freundeskreises signifikante Ähnlichkeiten mit dem Layout-Stil der Identitären Bewegung auf.
Steinke selbst tritt auch als Redner bei den Duderstädter Kundgebungen in Erscheinung. Dabei wird jedoch ersichtlich, dass er sein politisches Kapital nicht aus seinen rhetorischen Fähigkeiten generiert, sondern aus der Möglichkeit, sich auch dort als standhaften Kämpfer in der antifaschistischen Hochburg Göttingen zu präsentieren. In Redebeiträgen weiterer Redner wird der politische Charakter des Freundeskreis aber deutlicher. So wurde thematisiert, dass man als Bewegung „organisch wachsen“ wolle. Der Begriff organisch ist ein viel genutztes Synonym der Neuen Rechten für eine vermeintlich natürlich gewachsene Gemeinschaft. Damit ist die Vorstellung eines gesunden, homogenen Volkskörpers gemeint, dem nur Menschen der gleichen Kultur oder des gleichen Blutes angehören. Kurz, es ist auch ein Synonym für völkisch.
Die Frage der „bürgerlichen Mitte“
Ferner stellte man sich selbst in den Reden in einer aggressiven Weise als „bürgerliche Mitte der Gesellschaft“ dar und erklärte jegliche KritikerInnen ihrer Sache als „Lügner“. Diese würden sich gegen die eigens postulierten „Wahrheiten“ stellen und beständig die Tatsachen verdrehen. Selbst dem Göttinger Tageblatt wird vorgeworfen, als Teil der „Lügenpresse“ die eigenen LeserInnen bewusst zu täuschen und politisch Sache mit der angeblich staatlich hofierten „Antifa“ zu machen.
In diesen Reden wird nicht nur der verschwörungstheoretische Inhalt des Freundeskreises deutlich, sondern auch sein antidemokratischer Charakter. Denn der Freundeskreis duldet keinen Widerspruch zur eigenen Meinung, welche als einzig zählende Wahrheit deklariert wird. Die auch bei Pegida und weiteren Bewegungsformen der extremen Rechten bezeichnete Unterdrückung durch die Political Correctness ist Ausdruck einer Sehnsucht nach einer Gesellschaft, in welcher es keinen Widerspruch zu menschenfeindlichen Einstellungen geben darf. In diesem Punkt wird auch die Bezeichnung der Gegenkundgebung als Versuch, den Freundeskreis „mundtot“ zu machen, erklärbar: Die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner wird beim Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen zu einem „Krieg“ mit den als „faschistisch“ bezeichneten Parteien SPD und Grüne, welche die Gegenkundgebung mitorganisierten.
Diese Interpretation der politischen Auseinandersetzung erinnert an Carl Schmitt. Seine rechtsphilosophischen Werke gehören zu den Klassikern der heutigen Neuen Rechten. Schmitt stellte die Herausbildung des legitimen Souveräns als die Durchsetzung staatlicher Ordnung in einem als Bürgerkrieg bezeichneten Ausnahmezustand dar. Und diesen Ausnahmezustand sieht die bundesdeutsche extreme Rechte längst gekommen.
In diesem Kontext verwundert es nicht, dass ein weiterer Redner in Duderstadt am 6. Dezember den ca. 55 KundgebungsteilnehmerInnen kostenlose Selbstverteidigungskurse anbot. Damit sollen sich die Beteiligten des Freundeskreises gegen den politischen Feind, namentlich „die Antifa“, wehren können. Wie diese Selbstverteidigung in der Praxis aussieht, zeigte sich im Umfeld der Kundgebungen in Heiligenstadt, als mehrmals Neonazi-Gruppen antifaschistische GegendemonstrantInnen teils mit Holzlatten angriffen.
Zusammenarbeit von NPD- und AfD-Strukturen
Auch wenn AfD und NPD eigentlich in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen, so arbeiten sie demnach bei den Ein Licht für Deutschland-Kundgebungen über die Eichsfelder NPD-Strukturen und dem AfD-Mitglied Steinke arbeitsteilig zusammen. Dafür ist jedoch nicht nur ihr völkischer Nationalismus als gemeinsame ideologische Grundlage verantwortlich. Es sind wohl auch politische Abwägungen Grund hierfür.
Im thüringischen Teil des Eichsfeldes ist die NPD kommunal fest verankert. Auch wenn dort der Wahlkreis von Björn Höcke bei den Landtagswahlen 2014 war, gibt es dort kaum AfD-Strukturen vor Ort. Daher lässt sich der bisherige Mobilisierungserfolg der NPD-Kader um Rene S.und Matthias Fiedler erklären. Ferner fällt es einer breiten Zivilgesellschaft außerhalb dezidiert antifaschistischer Gruppierungen im Eichsfeld weiterhin schwer, kontinuierlichen Protest gegen extrem rechte Aktivitäten aufzustellen.
Gegenwehr
Ganz anders in Südniedersachsen: In Duderstadt wurden bereits nach der ersten Ein Licht für Deutschland-Kundgebung eine Gegenveranstaltung organisiert, die eine wesentlich höhere Beteiligung vorzuweisen hatte als der extrem rechte Protest. Die KundgebungsteilnehmerInnen rund um Lars Steinke reisten zudem fast gänzlich von außerhalb an. Dennoch hätte eine dezidiert neonazistische Beteiligung wohl für eine noch größere antifaschistische Mobilisierung gesorgt. Schließlich ist die politische Bekämpfung neonazistischer Strukturen in Südniedersachsen – im Gegensatz zum thüringischen Eichsfeld – über Jahrzehnte gewachsen. Als Beispiel hierfür kann die schnelle Intervention des Bündnisses gegen Rechts in Adelebsen dienen, wo mit Mario Messerschmidt, ein altbekannter Neonazi, erneut versucht mit dem Protest gegen Geflüchtete politisch Fuß zu fassen.
Des Weiteren ist die Neonaziszene in Südniedersachsen rund um die NPD und den zumindest inaktiven Strukturen Kameradschaft Northeim und AG Rhumetal wohl auch aufgrund antifaschistischer Gegenmaßnahmen in einer Krise. Dies zeigt sich an den Ein Licht für Deutschland-Kundgebungen in Northeim. Hierhin verschlägt es sonntäglich nur eine handvoll Neonazis, wenn überhaupt. Frühere AG Rhumetal-AktivistInnen blieben der Veranstaltung bisher fern oder fahren wie Pascal Z. lieber nach Heiligenstadt.
Doch auch der Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen ist eine völkische, extrem rechte Gruppierung, obwohl er versucht, sich in der Öffentlichkeit als Gruppe besorgter BürgerInnen aus der Mitte der Gesellschaft zu präsentieren. Lars Steinke ist als Burschenschafter der Burschenschaft Hannovera Mitglied einer studentischen Verbindung, die nicht zum ersten Mal Kontakt mit der neonazistischen Szene hat. Ferner besteht bezüglich der politischen Verortung zwischen den Ein Licht für Deutschland-Kundgebungen in Heiligenstadt und Duderstadt kein inhaltlicher Unterschied. Für erklärte AntifaschistInnen und für jene, die es werden wollen, lohnt sich der Protest in beiden Orten. Erste Angebote der Beteiligung existieren bereits.