Protest gegen Flüchtlingsunterkunft im Eichsfeld

Asylfeinde, Nazis und besorgte Eltern im Hinterland
von am 20. August 2015 veröffentlicht in Migration, Neonazis, Titelstory

Das beschauliche Heilbad Heiligenstadt in Thüringen: Nach Informationen von Association Progrès haben hier am Mittwoch, 19. August, etwa 80 Menschen gegen die Umnutzung einer Förderschule zu einer Flüchtlingsunterkunft demonstriert.

Nur eine knappe halbe Stunde dauert die Fahrt von Göttingen ins thüringische Heilbad Heiligenstadt. Und während sich in der linken Universitätsstadt alle Augen auf das Niedersächsische Erstaufnahmelager Friedland richten, könnte sich in dem 23 Kilometer südöstlich liegenden Kurort etwas zusammenbrauen, ähnlich der Zustände in Freital, Häslich und anderswo in Ostdeutschland.

Förderschule zu Unterkunft

Bisher waren im Landkreis Eichsfeld 574 Flüchtlinge untergebracht. In den nächsten drei Monaten sollen weitere 500 Refugees dort hin kommen. Am vergangenen Dienstag, 11. August, hatte der Eichsfelder Landrat Werner Henning angeordnet, dass das Gebäude des staatlichen Förderzentrums Heiligenstadt in eine Flüchtlingsunterkunft umgewandelt werde. Dies teilte er am darauf folgenden Tag im Kreistag mit.

Der Unterricht würde ab Schulstart am kommenden Montag in ein Zentrum im 16 Kilometer entfernten Birkungen verlegt. Da bisher beide Einrichtungen nur zur Hälfte ausgelastet seien, sieht der Politiker die Möglichkeit den Unterricht weiter fortzuführen. Die Verlegung sei vorerst temporär.

Besorgte Eltern

Wie die Thüringer Allgemeine (TA) mitteilt, haben sich im Nachgang der Ankündigung verschiedene Initiativen gegen die Umwandlung gegründet. So wurde unter anderem eine Petition auf der Plattform change.org gestartet. Darin fordern besorgte Eltern von Kindern der umzuwandelnden Schul den Erhalt der Einrichtung. Sie schreiben unter anderem: „Wir als Eltern fragen uns warum wird eine Schule für Lernbehinderte Kinder für Asylbewerber und Flüchtlinge geschlossen? Warum wird kein anderes Gebäude dafür benutzt?“ Die InitiatorInnen fragen sich weiter, „Warum […] mit den schwächsten, unseren Kindern, so umgegangen [wird]?“ Unterstützt wird die Petition insbesondere vom Alternative für Deutschland Landesverband Thüringen. Unter dem Deckmantel der „Kritik am Inklusions-Konzept“ hat sich die AfD schon mehrfach für den Erhalt von Förderschulen eingesetzt. So auch in Northeim bei Göttingen im Januar diesen Jahres.

Nazis kommen aus der Deckung

Der stellvertretende Elternbeirat der Schule, Wolfram Staufenbiel, sagte gegenüber der TA: „Unterstützer, denen es um die Förderschule geht, sind uns willkommen. Aber wir wollen keinesfalls der braunen Gesinnung eine Plattform bieten.“ Bei einer Demonstration am Mittwochnachmittag gingen laut der eichsfelder Gruppe Association Progrés 80 Menschen gegen die Umwandlung der Schule auf die Straße. Mit dabei: Kader der thüringischen NPD. Das bestätigt auch die Polizei Heiligenstadt, sie spricht von insgesamt 50 Teilnehmenden und 5 Personen aus dem neonazistischen Umfeld. Die Veranstalter hätten sich von den Neonazis distanziert, berichten die Einsatzkräfte weiter. Dem Widerspricht die Darstellung von Association Progrés: Ein NPD-Wählerpaar sei als OrdnerInnen anwesend gewesen.

Auch auf der Seite der Online-Petition halten sich die UnterstützerInnen mit rassistischen Kommentaren und Überfremdungsangst-Äußerungen nicht zurück. So schreibt Enrico K.: „Die kinder sind unsere zukunft und nicht diese asylschmarotzer!“ Und auch Regina M. sieht die Politik „auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen […], die keine Lobby haben!“ (Schreibweisen Original).

Heiligenstadt – Keine Ausnahme

Es formiert sich auch eine konstruktive Bewegung unter dem Motto „Refugees Welcome“ im Kurort. Auf der Facebookseite Heiligenstadt hilft Flüchtlingen schreiben die Betreibenden: „Wir sind dafür, dass die Geflüchteten zu uns kommen, denn wir wollen helfen.“ In einem Posting vom Mittwoch Vormittag rufen sie für Solidarität mit Geflüchteten bei der Demonstration am Nachmittag auf.

Paula Schuchardt, Sprecherin der Association Progrés, stellt die Versammlung am Mittwoch in einen Kontext mit massiver rassistischer Hetze in Ostdeutschland. Dabei verweist sie auf den Fall der Dorfschule in Häslich bei Bautzen, die ebenfalls in eine Flüchtlingsunterkunft umgewandelt wurde. Asylfeinde hatten die Räume dort kurz vor Ankunft der Refugees unter Wasser gesetzt.

Für das entstehende Heim in Heiligenstadt besteht laut Polizei noch kein Konzept dieses gegen Angriffe in Zukunft zu schützen. Es solle ja keine ordentliche Einrichtung entstehen, sondern lediglich eine „Pufferzone“, um sich Zeit für eine permanente Lösung zu erkaufen. Da das Gebäude des Förderzentrums in unmittelbarer Nähe zum Landratsamt stünde, bestehe kein Grund zur Sorge.

Schuchardt warnt vor einer Eskalation der Tendenzen in Heiligenstadt: „Angriffe auf das Recht auf Asyl und vor allem auf Asylbewerber_innen und deren Wohnräume sind auch im Eichsfeld möglich. Vor allem dann, wenn sich wie heute Bündnisse aus „besorgten Bürger_innen“ und Neo-Nazis bilden. In diesem Milieu sind offener Rassismus und die Verbreitung fremdenfeindlicher Parolen vorprogrammiert.“

Auch in Thüringen besteht das System der Erstaufnahmestellen. Diese sind seit längerer Zeit in Eisenberg, zwischen Jena und Gera und seit dem 19. August auch in Görmar, Mühlhausen, eingerichtet.

Nachdem der neonazistische „Eichsfeld-Tag“ als Nazi-Musik-Event in der Vergangenheit Proteste linker Gruppen auch aus Göttingen ausgelöst hatte, sahen Initiativen der Universitätsstadt in diesem Jahr von einer Mobilisierung in den Osten ab.

Artikel teilen


Themen

, , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar zu schreiben. Anmelden | Registrieren

Bitte lese dazu unsere Regeln und Hinweise zum Kommentieren.