Jimmy Eat World – Es ist immer eine Frage der Single(?).
von am 8. Oktober 2007 veröffentlicht in Musik, Platten, Rezensionen, Texte

Die erste Platte von Jimmy Eat World heißt „Jimmy Eat World“. Das kleine Label Wooden Blue brachte die LP 1994 raus. Nur 2000 Stück wurden gepresst. Das ist eigentlich nicht viel – vor allem wenn man bedenkt welchen Stellenwert die Band heute hat. Immer wieder erzählt man sich der Band wäre die erste Platte irgendwie peinlich. Und es ist schon merkwürdig, dass sie nie nachgepresst wurde. Sobald sich zeigt, dass mit einer Band Geld verdient werden kann, sind die findigen Managements eigentlich schnell dabei so gut wie alles zu vermarkten, was ansatzweise dazu taugt. Nicht so mit dem ersten Album von Jimmy Eat World. 1994 klingt die Band noch ganz anders. Sie klingt deutlich nach Garden Variety – ohne auch nur ansatzweise deren Energie zu fangen. Nur nimmt bis dahin wohl eh niemand Notiz von der Band aus Mesa in Arizona.

Drei Jahre später ist alles anders. Die Band veröffentlicht „Static Prevails“ auf Capitol Records. Das war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Ohne viel Aufhebens hatte die Band einen Major-Plattenvertrag. Damals war das noch keine Selbstverständlichkeit. Und bemerkenswerterweise gelangte die Platte auf Umwege in deutsche Plattenregale. Sagen wir CD-Regale. Als ich die CD über irgendeinen Import in die Hände bekam war ich völlig überrascht. Die Band hatte einen sehr frischen, energetischen Sound. Das passte in die Zeit. Das klang immer noch nach Garden Variety, nach Seven Storey Mountain oder Sensefield. Aber es hatte mittlerweile eine ganz eigene Note. Schleierhaft war mir, warum die Platte auf Capitol erschien und warum sie hier zunächst schwer zu bekommen war. Trotzdem schaffte es die Band in Windeseile sich auch hier einen Namen zu machen. Schnell sah man Jimmy Eat World live, eine Band, die sich den Arsch abspielte. Sänger Jim Adkins in aller Regel bis auf die Knochen nass geschwitzt.

Es ist immer eine Frage der Single. Plattenfirmen interessieren sich eigentlich nicht für Bands. Plattenfirmen interessieren sich für Singles. Sie interessieren sich für Verkauf. Sie gaukeln natürlich anderes vor. Und mit leuchtenden Augen freuen sich Bands über Freiheiten, die eigentlich keine sind. Capitol hatte kaum Interesse an Europa. Static Prevails hatte wahrscheinlich nicht genug „Potenzial“. Irgendein hirnloses Konzept wird sich ein noch hirnloserer A&R ausgedacht und ausgerechnet haben.
1999 produzierte die Band mit dem Album „Clarity“ einen Riesenerfolg. Jimmy Eat World spielten in der Regel in ausverkauften Clubs. Aber hatte die Band „Potenzial“?! Gab es eine Single?! Gab es eine Single und damit Kohle für Capitol?! „Lucky Denver Mint“ war sie. Die Single auf die A&R’s warten. Die Single, die zeigt was für ein lächerlicher Zirkus Rock’n’Roll ist. Capitol brachte die Single erst, als sie im Radio bereits ein Riesenhit war. Spätestens hier wussten auch Jimmy Eat World, dass nicht alles Gold ist was glänzt. Capitol glaubte wohl an die Single – aber nicht an Jimmy Eat World. Die Band organisiert selbst eine Tour in Europa und schickte „Clarity“ höchst selbst über den Teich. Danach war mit Capitol Schluss.

Die Frage der Single wirft noch andere Fragen auf. Was verrät eine Single über ein Album? Die Single ist das, was den Hörer fangen soll. Was ihn an der Nase herumführen soll. In vielen Fällen ist die Single der große Coup – aber auch eine große Verarsche.
Jimmy Eat World hatten ein Gespür für Singles. Die nächste Platte hieß „Bleed American“ – selbst produziert und finanziert und voller Singles. Die Platte, der Bruch mit dem großen Major, war trotzdem Big Business. Plötzlich begann man zu signen. „Emo“ war das neue Ding. Irgendwie drehten sich Jimmy Eat World im Kreis. „Bleed American“ war eine gute Platte. Danach kam „Futures“ und hatte mit „Pain“ eine fantastische Single. Sie zeigte beide Seiten. Das Label konnte sich freuen über den Verkauf, manch ein Käufer konnte sich ärgern über die Verarsche. Die Platte kam an die Single nicht ran. Und irgendwie gilt das für alle Jimmy Eat World Singles. Sie stellen Höhepunkte der jeweiligen LP dar. Aber ist ein guter Song ein Maßstab? Für mich ist eine gute Platte die, bei der jeder Song die Single sein könnte. So ist jeder irgendwie ein A&R.

„Chase the Lights“ heißt die neue LP von Jimmy Eat World. Und wenn ich was zu sagen hätte, dann wäre ganz klar, dass „Big Casino“ die Single wäre. Ein toller Song, der Jimmy Eat World da zeigt, wo sie am besten sind. Mit vielen „Oh-Oooooohhh’s“ und tollen Melodien. „Big Casino“ ist der Song, der Jimmy Eat World in Bestform zeigt. Wenn ich „Big Casino“ höre, dann sehe ich Jim Adkins, wie er schwitzend auf der Bühne alles gibt. Dafür habe ich zumindest „Static Prevails“ geliebt. Und ich hasse es zugeben zu müssen, dass ich der Band Wandel nicht gönnen wollte. Was für ein Langweiler! Das Problem – ich will mich nicht ans Radio gewöhnen oder ans Stadion. Ich möchte keine Rockmusik, die auch Thomas Gottschalk gut finden könnte. Auf „Chase the Lights“ finden Jimmy Eat World in nur sehr überschaubarer Weise zu alten Qualitäten zurück. „Electabel (Give It Up)“ könnte all das nicht schöner vermengen und an all das erinnern. Sie können immer noch diese typischen Hymnen schreiben, wie den Titelsong „Chase the Lights“ oder „Fireflight“, extatisch und kitschig. Dazwischen verlieren sie sich schnell in Radio-Beliebigkeit. Ideenlos und belanglos – immerhin, keine ganz kraftlose Platte. Konsenzmusik, die man gut finden kann, die aber auch gesichtslos bleibt zwischen ein paar Höhepunkten. Zwischen ein paar Singles, die über die Platte nichts aussagen. Eine Platte, die man hören kann und die niemanden stört, die nie weh tut, die gemütlich ist. Aber sie ist eben leider nicht mehr als das. Und die Summe der Teile ist eine aalglatte Rockscheibe, mit reichlich Chorus, Zucker und Wehmut. Warum aber nicht mehr Mut und mehr Erinnerung – mehr Schweiß?!

„Chase the Lights“ erscheint Mitte Oktober. Und eine Single wird es ganz bestimmt auch geben. Im Radio dann.

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5 Kommentare auf "Jimmy Eat World – Es ist immer eine Frage der Single(?)."

  1. subwave sagt:

    gleich mal wieder die clarity rausgeholt, meine winterplatte 99/00, damals bevor emo durchstartete. bleed american hab ich dann noch so nebenbei gehört und mich jetzt gewundert, dass es sie immer noch gibt…

  2. John K. Doe sagt:

    ja, einige platten gingen unter von denen – irgendwie zurecht. mir ist zum beispiel völlig entfallen, dass es nach bleed american noch futures gab. bei aller beliebigkeit hat die band einfach doch ihre qualitäten. schade das sie den punkt nicht mehr so oft treffen.

  3. und weil ich das so gerne mache, krame ich auch mal in meiner erinnerung:
    meine 1. begegnung mit jimmy eat world war auf einer split mit mineral und sensefield auf crank (uiuiui, emoreferenzoverkill). die blieb natürlich vor allem wegen des songs von mineral in erinnerung (crazy von willie nelson). die static prevail kannte ich dann nur auf kassette. als die mit clarity total berühmt wurden war ich in köln und am zivildienst leisten. die sind 1999 zur popkomm aufgetreten, im sojus 7 (das war damals einer der wenigen Orte wo HC/Emo regelmäßig stattfand, war ja noch nich soooo beliebt, die strukturen waren damals erst im entstehen und köln litt/leidet ja an einem mangel an autonomen zentren). leider hab ich die nicht gesehen, weil meine fahrgelegenheit nach der vorband wieder heimwärts wollte. vorband war übrigens envy, die damals auf eigene kosten in europa tourten. so richtig tats mir aber auch nich leid ums konzert, weil envy einfach fantastisch waren. ich glaub die ganzen kids die für JEW da waren, fandens garnich gut, hehe. an der theke des sojus hat mir ein bekannter, den ich über ein paar ecken (er war ex-bielefelder und hat mit meiner damaligen freundin abi gemacht) kannte von seiner neuen band erzählt: yage. ich versprach ihm die single zu kaufen. angehört hab ich mir die aber nur 2 mal oder so. das wars dann aber auch mit JEW und mir. die tolle split mit jejune hab ich mir leider entgehen lassen. dann folgte eine fotostrecke in der intro. JEW präsentirten irgendwelche mode. die bleed america hab ich mir dann nur noch gekauft, weil ich hörte, dass die umbenannt werden sollte und mich etwas unter druck gesetzt fühlte noch schnell „das original“ zu erwerben. die beiden anderen alben sind völlig an mir vorbei gegangen. insgesamt bleibt irgendwie ein zwiespältiges bild. JEW waren für mich halt die band mit dem der ganze zirkus um emo so richtig losging, aber die wenigstens noch einiges an gutem material herausbrachten. ich freute mich erst darüber, dass auch mal emo in der disko lief, aber man machte sich damals auch ständig gedanken um den bösen sell-out. das bin ich bis heute nicht losgeworden.

  4. John K. Doe sagt:

    difficult,
    bei mir war es recht ähnlich. ich war bei einem bekannten und war dabei mir diverse sachen auf tape zu ziehen. und der warf dann quasi die static prevails auf meinen stapel den ich zu kopieren gedachte. zunächst habe ich das dankend hingenommen und dachte „wieder so ein scheiß“. habe das dann trotzdem auf tape gezogen – und war völlig hingerissen. übrigens, ich weiß nicht ob es hinkommt zeitlich – aber ich bilde mir ein, dass ich mir die static prevails auf tape zog, als ich mir auch den dont forget to breathe sampler kopierte. hatten wir uns nicht schonmal über den unterhalten? und weil es passt – genau den habe ich heute tatsächlich im plattenladen meines vertrauens bekommen (frage nicht zu welchem preis).
    aber zu JEW. mit static prevails hatte mich die band sofort! ich habe die dann direkt auf der ersten tour gesehen, in wschweinfurt. extra wegen denen hingefahren! und die waren saugeil. ich habe die band dann sehr regelmäßig gesehen die folgenden jahre. ich erinnere mich noch an eine show in hannover, zusammen mit last days of april (die damals ihre einzige brauchbare lp im gepäck hatten) und den großartigen the promise ring. wenn ich mich recht erinner spielten JEW zweimal hintereinander um dem ansturm gerecht zu werden. leider hatte sich das publikum auch schon merklich gewandelt. war keine hardcore-show. auch egal. JEW waren live echt immer der hammer, wie die sich verausgabt haben, wahnsinn. zurück zu static prevails – was mich damals wirklich umgehauen hatte war, dass die band so ohne großes aufheben plötzlich da war, mit major-vertrag und so. und mir war viel unverständlicher, warum man an die static prevails kaum rankam.
    wie gesagt, ich finde die band wurde nach clarity dann deutlich schwächer – mit hammer singles trotzdem!

  5. is schon schade um die band. ich hab denen halt echt den rücken zugekehrt und dachte mir „wie blöd die sind,ey, sellout!“ da hat man nicht gewusst was noch auf einen zukommt…

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