Bedrohung von Rechts

Kennen Sie Beate Zschäpe?
von am 6. Mai 2013 veröffentlicht in Neonazis, Polizei & Justiz, Titelstory

Ein potentielles NSU-Anschlagssziel: Die Göttinger Ditib-Moschee.

Hakenkreuzschmierereien, Reichsbürgerbriefe, NSU-Listen – die türkische Gemeinde in Göttingen war in den letzten Jahren nicht nur einmal von Rechts bedroht. Vorstandsmitglied Ali-Serkan Sahbaz vertraut trotz aller Fehler bei den Ermittlungen nach den NSU-Morden auf die Arbeit deutscher Ermittlungsbehörden. Er selbst stand auf der Liste mit potentiellen NSU-Anschlagszielen.

Die Ungereimtheiten bei den Ermittlungen deutscher Behörden zur NSU-Mordserie sind beschämend. Auch der Göttinger Polizei ist bei ihren Ermittlungen eine kleine „Panne“ unterlaufen: Im ausgebrannten Haus des mutmaßlichen NSU-Kerntrios um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in Zwickau fand die Polizei im November 2011 eine Liste des Terrornetzwerks Nationalsozialistischer Untergrund mit möglichen Anschlagszielen in Göttingen. Es dauerte mehrere Wochen, bis die Göttinger Polizei den Vorstand der türkischen Gemeinde in Göttingen darüber informierte, dass sie potentielles Anschlagsziel war.

Denn auf der Liste war unter anderem der Sitz der türkischen Gemeinde, damals noch im Maschmühlenweg, vermerkt. Aber nicht nur das, erzählt Vorstandsmitglied Ali-Serkan Sahbaz im Gespräch mit MoG: „Ich habe einen Anruf von der Polizei bekommen und mir wurde mitgeteilt, dass auch ich namentlich auf der Liste stünde. So wurde ich informiert.“ Erst nach Wochen.

Warum die Verzögerung? Die Umbenennung des Trägervereins der türkischen Gemeinde und der Umzug vom Maschmühlenweg in den Königsstieg schien bei der Göttinger Polizei zunächst Irritationen ausgelöst zu haben. Als das Gespräch zwischen Sahbaz und Polizei schließlich stattfand, ging es vor allem darum die möglichen Aktivitäten des NSU in Göttingen einzuordnen.

„Ich wurde gefragt, ob ich mit diesen Personen irgendwas zu tun habe und ob ich mit den Namen etwas in Verbindung bringen kann,“ erzählt Sahbaz. Die Polizei wollte außerdem wissen, ob Beate Zschäpe oder einer ihrer Kumpanen ihn observiert hätten. Sahbaz hat das zumindest nicht bemerkt. Deswegen sagt die Polizei: eine konkrete Anschlagsgefahr bestand nicht. Er würde aber sofort benachrichtigt, wenn sich diese Einschätzung ändern sollte.

Post aus dem Reichsbürgerumfeld – Täter unbekannt

Ein anderes Schriftstück von Rechts stellte sich als sehr beunruhigend heraus. Seit Februar 2012 erhielten Moscheen und Synagogen in ganz Deutschland Post von der sogenannten „Reichsbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen“, eine Splittergruppe aus dem sogenannten Reichsbürgerumfeld. „Wir haben erfahren, dass nicht nur Moscheen, sondern auch Unternehmer solche Briefe bekommen haben“, ergänzt Sahbaz.

Seitdem auf der Eingangstür der Moschee ein Hakenkreuz eingeritzt wurde, wird der Eingangsbereich von einer Kamera überwacht. Die Überwachungskamera hat die unerfreuliche Zustellung der Reichspost aufgezeichnet. Der Vorstand erstattete Anzeige, jedoch ohne Erfolg. „Das Verfahren wurde eingestellt,“ erzählt Sahbaz, „weil das Videomaterial nicht ausreichend gut genug gewesen sei und man die Person nicht identifizieren konnte.“ Auch das Kennzeichen des Autos, mit dem der Täter vorgefahren war, ließ sich nicht entziffern.

Nazis um die Ecke

In den vergangenen sechs Jahren sind Neonazis dutzendfach in der Stadt Göttingen und der Umgebung aufgetreten. Mit Kundgebungen, Grabschändungen und sogar Übergriffen haben sie ihrer Menschenverachtung Ausdruck verliehen. Wir haben in einer interaktiven Grafik aufgearbeitet, wann sie wo zugeschlagen haben: #nazidoku

Daraufhin ermittelte das Bundeskriminalamt. Zum Hintergrund des Schreibens haben die Wiesbadener jedoch bis heute keine Erkenntnisse. Auch das Gefahrenpotential für deutsche Muslime kann BKA-Pressesprecher Jens Beimann nicht zuverlässig bewerten: „Das ist schwierig einzuschätzen. Es gibt Kulturvereine und Gemeinden, also überwiegend Gemeinschaften, von denen keine einzeln angesprochen wird.“ Welche Taten folgen könnten, sei relativ schwierig zu bewerten. Bisher konnten keine Taten festgestellt werden, sagt Beimann.

„Wir haben alles analysiert und bewertet“, erzählt der Pressesprecher, „die Ermittlungsbeauftragung muss von außen kommen.“ Großes Interesse die Verantwortlichen zu ermitteln scheint im Bundesinnenministerium derzeit nicht zu bestehen. Unterschätzt wird die Gefahr allerdings offenbar auch nicht: Auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke teilte das Innenministerium Ende 2012 mit, dass „radikalisierte Einzeltäter ähnlich gelagerte Straftaten begehen könnten“ wie Andreas Breivik oder der NSU.

„Ausweisung aus Deutschland“: Lächerlich und bedrohlich zugleich

In der türkischen Gemeinde wurde lange darüber diskutiert, was man vom Brief der Reichsbürger halten sollte. „Ausweisung aus Deutschland“ stand darüber. Islamhass und Judenhass, Rassismus und Kulturalismus, Leugnung der deutschen Kriegsschuld von 1939 und Verschwörungstheorien à la „New World Order“, vermengt mit einer ordentlichen Portion spießbürgerlich-deutschen Kleingeists kennzeichnen diese Hetzschrift.

Darin steht, dass es „aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Ende der Olympischen Spiele im Aug. 2012, spätestens jedoch mit dem Tag-X (erste Kampfhandlungen zwischen NATO- u. SCO-Staaten auf europäischem Boden)“ in Deutschland ungemütlich werde [Fettdruck im Original]. Anschließend werden mit dem darauf angeblich folgenden Ende von EU, Euro, und dem Weltfinanzsystem „bürgerkriegsähnliche Zustände“ und der Einmarsch der „Russischen Armee“ heraufbeschworen.

Sogenannte Ausländer sollten deshalb das Land zu ihrer eigenen Sicherheit verlassen. Anderenfalls würden sie „standesrechtlich erschossen„. Das Erschießungskommando besteht in diesem Bedrohungsszenario aus sogenannten Bürgerwehren und Freien Reichs-Streitkräften. Weiter heißt es: „Bundeswehr sowie die Polizisten werden zu uns ins reichspatriotische Lager übertreten, das wurde uns bereits vielfach signalisiert.“

„Uns kam das zunächst irgendwie komisch lächerlich vor“, erzählt Sahbaz. „Da hat man geschmunzelt und nachdem man darüber auch nachgedacht und lange diskutiert hat, wurde einem bewusst, wie krank und wie heftig das eigentlich ist.“ Letztendlich hofft der Gemeindevorstand, dass es sich um leere Drohungen handelte.

Die unmittelbar bevorstehende Apokalypse wird aus dem rechtskonservativen bis rechtsnationalen Umfeld spätestens seit Ausbruch der Finanzkrise immer wieder aufs Neue herbeigeredet. Das Feindbild Islam ist dabei oft mit an Bord. Ähnlich wie nach dem Ablauf des Maja-Kalenders trat auch diese für 2012 angekündigte Apokalypse nicht ein. Putin bleibt weiterhin in Moskau und Krieg auf europäischem Boden ist äußerst unwahrscheinlich. Auf dem Boden der Realität finden sich stattdessen rassistische Vorurteile in der bundesdeutschen und vor allem in der selbsternannten „reichsbürgerlichen“ Gesellschaft.

Schweinsköpfe und NPD-Aufkleber an Moscheen

Als wären Reichsbürgerbriefe und NSU-Listen nicht schon genug, kann Sahbaz noch von weiteren Angriffen von Rechts berichten. Die Ditib-Moschee in Osterode gehört ebenfalls zur türkischen Gemeinde Göttingen. Im Sommer 2011 legten dort Unbekannte einen Schweinekopf vor die Tür. In die Stirn war ein Hakenkreuz geritzt. Eine schlimme Demütigung für gläubige Muslime.

Im September 2012 wurde ein Sprayer überführt, der Mohammed-Karikaturen an die Außenwände der Göttinger Moschee sprühte. Später entschuldigte er sich beim Vorstand der türkischen Gemeinde und kam für die Kosten auf. Ein politischer Hintergrund wurde ausgeschlossen. Im November der nächste Vorfall: Ein NPD-Aufkleber mit der Aufschrift „Gute Heimreise“ wurde an der Eingangstür entdeckt und entfernt. Die Staatsanwaltschaft nahm die Ermittlungen auf.

Die wiederholten Bedrohungen von Rechts sieht die türkische Gemeinde mit großer Sorge. Genauso kritisch sieht Sahbaz den Antiislamismus in Deutschland. Eine Studie der Universität Münster aus dem Jahr 2010 hat ergeben, dass deutlich mehr als die Hälfte der Deutschen negativ über Muslime denken. Der Rassismus in der deutschen Gesellschaft gehe alle etwas an, sagt Sahbaz: „Ich bin ein deutscher Staatsbürger der einen anderen Glauben hat.“ Egal ob man Atheist sei oder welchen Glauben man habe: „Rassismus und Gewalt sind unsere gemeinsamen Probleme. Die müssen wir gemeinsam bewältigen.“

Er baut auf die deutschen Behörden. Sahbaz vertraut darauf, dass sie intensiv ermitteln. Trotz allem. Es bleibt ihm nichts anderes übrig.

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