Zukunftsvertrag

Beschlüsse aus dem Hinterzimmer
von am 20. Mai 2012 veröffentlicht in Lokalpolitik, Rotstiftmilieu, Titelstory

Bereits im April 2011 trafen sich die Göttinger Ratsfraktionen in einer „nicht öffentlichen Oberbürgermeisterrunde“ und berieten über mögliche Kürzungen im Stadthaushalt. Ratsherr Patrick Humke (GöLinke) hat damals diverse Kürzungsvorhaben durch eine Pressemitteilung „geleakt“, was von den anderen Ratsfraktionen kritisiert wurde. Öffentlich diskutiert werden sollten diese unpopulären Maßnahmen erst nach den Kommunalwahlen im vergangenen Herbst. Einige dieser Kürzungsvorschläge sind jetzt genau so vom Rat verabschiedet worden, andere wurden geringfügig modifiziert. Der zwischengeschaltete „Bürgerdialog“ entpuppte sich so als Farce.

Kürzungen im Bereich Freizeit und Sport

Mitte Mai beginnt immer die Freibadsaison in Göttingen, doch möglicherweise öffnen sich die Pforten des Weender Freibads dieses Jahr zum letzten Mal. Schon im April 2011 war in der geheimen Oberbürgermeisterrunde eine Schließung des Weender Freibads im Gespräch. Doch eine Schließung ist extrem unpopulär, deshalb hat sich die Verwaltung in der vom Rat beschlossen Vorlage (V063) einen kleinen Trick ausgedacht, um die geplanten Einsparungen von 120.000 Euro jährlich zu erreichen: Mit dem Förderverein Weender Freibad soll eine Finanzierung durch „private Trägerschaft“ ermöglicht werden. Außerdem soll auf Grund der zurückgegangenen Besucherzahlen die Wasserfläche verkleinert und das südliche Freibadgelände veräußert werden.


Demo zum Erhalt des Weender Freibads, 18.04.2012

Im Klartext heißt das: Wenn das Freibad in Weende erhalten werden soll, müssen sich die Bürger_innen selbst darum kümmern. Patrick Humke findet es bemerkenswert, dass die Schließung trotz großer Proteste „nun relativ leise auf den Weg gebracht wird“ und vermisst die notwendige Unterstützung für den Förderverein: „In anderen Kommunen, in denen die Trägerschaft eines Bades an eine Genossenschaft, einen Verein oder an einen ähnlichen Träger abgegeben worden ist, wurden von Seiten der Kommune zumindest Bürgschaften angeboten, um einen Weiterbetrieb langfristig abzusichern – hiervon sind wir in Göttingen leider weit entfernt.“ Der Förderverein selbst sieht in dem Beschluss V063 das faktische Ende des Weender Freibads.

Kürzungen im Bereich Soziales

Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung darf die Stadt Gewerbe- und Grundsteuern erheben. Schon 2011 war die Erhöhung der Grundsteuer B im Gespräch, die nun als V006 des Entschuldungshilfeprogramms verabschiedet wurde. Mehreinnahmen von 2,7 Millionen Euro pro Jahr erhofft sich die Verwaltung. Mieterhöhungen sind die direkte Folge: Die Grundstückseigentümer_innen werden durch die Grundsteuer B direkt belastet und geben ihre Mehrkosten wiederum an die Mieter_innen weiter, da es sich, wie in der Beschlussvorlage der Stadtverwaltung zu lesen ist, um „umlagefähige Nebenkosten“ handelt. So gibt die Verwaltung auch zu, dass bei einer Grundsteuererhöhung „grundsätzlich eine Belastung der Mieter“ erfolge. Patrick Humke gibt zu Bedenken, dass „bei einer normalen Dreizimmerwohnung mit einer zusätzlichen Mietbelastung von über 30 EURO pro Monat zu rechnen“ sei.


Demo vor dem Neuen Rathaus gegen den Ratsbeschluss zum Zukunftsvertrag, 26.04.2012

Bisher wurde das Schulessen mit 600.000 Euro jährlich bezuschusst. Eine Reduzierung dieses Zuschusses wurde schon in der geheimen Oberbürgermeisterrunde im April 2011 diskutiert. Das Sparziel von 300.000 Euro pro Jahr findet sich nun auch in der Beschlussvorlage der Stadtverwaltung wieder (V042). Um die konkreten Auswirkungen dieser Maßnahme sehen zu können, muss die von der Verwaltung aufgestellte Rechnung erst einmal genau entschlüsselt werden: Ausgehend von 2,80 € pro Schulessen soll der Preis 2013 um 0,25 € (ca. 11 Prozent) erhöht werden, also auf 3,05 €. Danach soll eine jährliche Anhebung von drei Prozent erfolgen. 2014 wird ein Schulessen also ca. 3,10 €, 2015 dann ca. 3,20 € und ab 2016 ca. 3,30 € kosten. Das ist eine Preissteigerung von ca. 15 Prozent, was etwa 0,50 € entspricht. Patrick Humke berichtete 2011, dass Preissteigerungen von bis zu einem Euro im Gespräch waren, beim gleichen Einsparziel von 300.000 Euro wohlgemerkt.

Wie die Verwaltung auf diese Berechnung kommt, erschließt sich aus dem vorgelegten Zahlenwerk nicht. Gerechtfertigt wird die Preissteigerung unter anderem mit den in anderen Städten diskutierten Preiserhöhungen beim Schulessen, nach dem Motto „Unsere Sparmaßnahmen sind schonender als anderswo“. Die Stadt fährt also den Zuschuss zurück und bittet über Kostensteigerungen die Eltern der Schüler_innen zur Kasse. In der Beschreibung der Stadtverwaltung klingt das dann so: „Durch die stärkere finanzielle Beteiligung der Eltern sollen für die Zukunft die hohe Produktqualität sowie der Service bei Ausgabe und Abrechnung gesichert werden.“ Auf den Monat gerechnet, müssten die Eltern ca. 7,50 € mehr für das Schulessen bezahlen.

Die Wohlhabenden würden durch solche Maßnahmen weniger belastet, so Humke: Es seien „die Alleinerziehenden, die Kinderreichen und diejenigen, die staatliche Transferleistungen – wie Hartz IV – erhalten. So werden zusätzliche Kosten bei der erneuten Erhöhung des Essensgeldes in Schulen gerade auf die Ärmsten abgewälzt, in dem ihnen die ohnehin zu knappen Mittel aus dem sogenannten ‚Teilhabe- und Bildungspaket‘ geraubt werden.“

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