Glosse zum Zukunftsvertrag

Selten so gelacht
von am 22. Februar 2012 veröffentlicht in Lokalpolitik, Rotstiftmilieu, Titelstory

Jetzt ist die Katze also aus dem Sack. Nachdem ein Dreivierteljahr nur gemutmaßt werden konnte, welche Vorstellungen der Göttingen Oberbürgermeister Meyer und die städtische Verwaltung von „Sparen in Göttingen“ haben, kann man dies nun Schwarz auf Weiß auf einer eigens eingerichteten Internet-Seite nachlesen. „zukunftsvertrag.goettingen.de“ heißt die Seite, und sie wurde unter Zuhilfenahme einer Werbeagentur erstellt.

Deshalb darf im Kopf der Internetseite auch ein gut gelaunter Mann vor Geschirrbergen sitzen und verkünden „Heute den Haushalt aufräumen schafft Spielraum für morgen.“ Selten so gelacht, liebe Werbeagentur. Ob die Menschen in Griechenland so einen Spruch auch „witzig“ fänden? Vermutlich hätten die Eure Werbeagentur aufgeräumt.

Weil einfaches Marketing nicht ausreicht, hat man pfiffigerweise gleich moderne Software installiert, von einer Firma aus Bonn, die „Software und Beratung für E-Partizipation (Bürgerbeteiligung 2.0)“ als ihre Kernkompetenz sieht. Im neuzeitlichen Kapitalismus kann man eben keinen einzigen kreativen Pups mehr lassen, ohne dass versucht wird, ihn in bare Münze umzusetzen. Sicherlich eine Wachstumsbranche, denn seit den (polizeilich) eskalierten Protesten um „Stuttgart 21“ weiß man ja, dass es allemal besser funktioniert, die Bürger über den Tisch zu ziehen, wenn man sie aktiv daran mitwirken lässt. Die Argumente der Gegner sind längst vergessen, die Bäume werden gefällt, der Bahnhof gebaut. Der Widerstand hat sich selbst zerlegt, im guten Glauben, gehört und beteiligt zu werden.

So soll es nun also auch in Göttingen laufen. Und irgendwie wirkt das ganze wie ein Online-Spiel, und jeder darf mitmachen. Da wird doch glatt der sportliche Ehrgeiz geweckt, „Sparkönig“ zu werden, denn schließlich kann man sich auf der Internetseite seine eigene persönliche Sparliste zusammenstellen und so lange damit herumspielen, bis man die gewünschte Summe beisammen hat. „Frauennotruf, Zuschüsse streichen? Mist, bringt nur 13.500 € pro Jahr. Ah, das ist besser. Zuschüsse für das GSO (wasn das ?) wegstreichen bringt 100.000 € pro Jahr. Bingo!“ Am Ende aber dann die große Enttäuschung. „Verflixt, reicht ja immer noch nicht! Bei Kultur/Freizeit/Sport fehlen noch 1,4 Millionen“. Für die ganz Kreativen und Sportlichen gibt es dann noch die Möglichkeit, eigene Vorschläge zu unterbreiten. Da darf dann alles hin, was in Rat und Verwaltung niemand auszusprechen vermag. Wir dürfen gespannt sein!

Der Autor Thomas Müntzer hat diese Glosse ursprünglich auf www.puk.de veröffentlicht. Kritischer Austusch zum Rotstiftmilieu ist in einer themenbezogenen Facebook-Gruppe möglich.

Nur eines haben die guten Programmierer vergessen. Den „Nein Danke!“ Button. Ablehnen gilt nicht, nur mitmachen. Deshalb gibt es auch keine Fragen und Antworten nach dem Wieso, Weshalb, Warum eigentlich gespart werden muss. Machen ja alle im Moment, irgendwie. Sogar die Griechen. Sachzwang, Sachzwang, höre ich die Spatzen von den Dächern pfeifen. „Haushaltskonsolidierung“, und ähnliche Schlagwörter. Wenn das Sparen sowieso schon in aller Munde ist, müssen das auch die Göttinger mitmachen, so eine Chance darf man nicht verstreichen lassen. Denkt und sagt der Oberbürgermeister. Die Gelegenheit ist günstig.

Ja, haben wir den geprasst in den letzten Jahren und Jahrzehnten ? Das muss irgendwie an mir vorbeigegangen sein. Solange ich mich erinnern kann (und das sind nun immerhin auch schon ein paar Jahrzehnte), ist eigentlich immer alles teurer geworden, und das, was es von Stadt und Staat gab, immer weniger. Oder liege ich da falsch ? O.k., ein paar sind irgendwie auch reicher geworden. Früher gab es noch nicht so viele schicke Nobelkarossen, und die Jungs aus meiner Klasse, die damals eine Banklehre anfingen, habe ich eher bemitleidet. Heute scheint das für viele, die so richtig Geld verdienen wollen, ein Muss zu sein, und wer von denen mit Mitte 20 noch nicht die erste Million im Schrank hat ist ein Looser. Aber klar, wer immer nur für Omis Überweisungsträger ausfüllt, kommt natürlich auch nicht weit. Da muss es schon eher Spekulation auf Weizen sein, oder auf Immobilien. 20 % Rendite für die Ackermänner und ihren Nachwuchs, darunter geht nichts.

Und irgendwie hängt das dann ja wieder zusammen. Der Reichtum einiger und das Sparen der Anderen. Denn es ist eine Binsenweisheit, dass es keine Schulden gibt, denen nicht an anderer Stelle ein gleich großes Guthaben gegenübersteht. Es ist interessant, wenn man sich anschaut, wer eigentlich die Gläubiger der Bundesrepublik Deutschland sind, an die die Staatsanleihen verkauft werden, somit auch in letzter Konsequenz die Gläubiger der Stadt Göttingen. Käufer sind in der Regel die Banken, und die makeln für die wenigen Reichen und Superreichen, die Buffets, Gates, Albrechts, Quandts und wie sie alle heißen, die die Scheine meterhoch im Tresor schichten können.

Liebe Stadt Göttingen, Deine Schulden gehören jemand anderem! Können wir die nicht einfach zurückgeben? Wenn es jetzt schon so eine schöne Internet-Seite gibt – „Ein Beteiligungsangebot der Stadt Göttingen“, wie es darauf heißt – dann könnte man doch auch einen Ideenwettbewerb ausloben unter dem Motto: „Wie sag ich’s mit den richtigen Worten?“. Mein Beitrag dazu könnte folgendermaßen aussehen:

„Lieber Kreditgeber.

Wir sind Dir wirklich unendlich dankbar, dass Du uns in den letzten Jahren so viel Geld geliehen hast. Insgesamt sind es so an die 140 Millionen €. Das ist viel, echt viel. Dass Du die zurückhaben möchtest, können wir gut verstehen, auch wenn wir nicht wirklich glauben, dass Du dieses Geld immer ehrlich verdient hast, sondern viele, viele Menschen mit viel zu niedrigen Löhnen dazu beigetragen haben, dass Du immer reicher wurdest. In der Stadt Göttingen haben die meisten Leute nur ganz wenig auf dem Sparkonto und können deshalb auch nichts verleihen, geschweige denn zurückzahlen. Dummerweise ist auch immer alles teurer geworden. Zum Beispiel muss man immer Eintrittsgeld beim Arzt bezahlen, und wer einen neuen Zahn braucht, ist schnell pleite. Du siehst, wir Göttinger sind ziemliche Habenichtse, und Deine Entscheidung, uns Geld zu leihen, war Teil Deines Investorenrisikos. Aber gräm Dich nicht. Du hast in den letzten Jahren gut an uns verdient, Zins und Zinseszins haben ihren Teil dazu beigetragen, ebenso wie die netten Politiker, die die Steuern und Abgaben für Unternehmen und Besserverdienende immer weiter gesenkt und einen Niedriglohnsektor eingeführt haben. Außerdem glauben wir nicht, dass Dir das Geld wirklich fehlen wird. Du hast sicherlich noch jede Menge davon, nicht nur hier, sondern auch in irgendwelchen Steuerparadiesen. Gut, zugegeben, die Zahlungsmoral Deiner Klienten wird schlechter. Die Griechen wollen nicht mehr, die Portugiesen auch nicht. Dagegen sind wir Göttingen doch aber wirklich kleine Lichter, den Verlust hast Du schnell abgeschrieben, das Finanzamt hilft sicherlich dabei.

Also, nimm‘s uns nicht krumm, aber es bleibt dabei. Wir zahlen nicht für Deine Krise!

Hochachtungsvoll….

P.S. Ein Hoffnungsschimmer bleibt. Unser Oberbürgermeister will für Dich sammeln. Vielleicht bekommst Du ein paar gebrauchte Ipads. Ein paar Ratsherren und -damen tun sich eh schwer damit.“

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