5 Jahre Antifee

Jedes Mal ein bisschen anders
von am 6. Juni 2011 veröffentlicht in Antifee, Kultur

Seit fünf Jahren findet das Antifee Festival nun schon auf dem Campus der Uni Göttingen statt. Jedes Jahr trifft hier emanzipatorische Politik auf ein musikalisches Bühnenprogramm und theoretische Auseinandersetzungen mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in Workshops. Zeit für eine erste Zwischenbilanz. Wir sprachen mit zwei Organisator_innen über die Hintergründe, Veränderungen und Perspektiven des Festivals.

Justin, als du damals das Antifee mitbegründet hast, hättest du da gedacht, dass es das Festival 2011 noch gibt? Und das es eine derartige Entwicklung durchgemacht haben würde?

Justin: Nein, überhaupt nicht. Ich bin total glücklich darüber, dass es so krass groß geworden ist und das es noch viel besser dem eigenen Anspruch gerecht wird, als wir uns das damals ausgemalt hatten. Wir sind da damals sehr dilettantisch heran gegangen. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Festival in dem Themenbereich so geil organisiert werden kann, wie es in den letzten Jahren gelaufen ist.

Justin und Anne leben beide seit einigen Jahren in Göttingen und engagieren sich in emanzipatorischen Zusammenhängen. Justin hat das Antifee Festival im Jahr 2006 mitbegründet und ist danach ausgestiegen. Anne ist seit 2010 an der Organisation beteiligt.

Was war damals eure Motivation, das Festival ins Leben zu rufen? Das war ja zu einer Zeit, in der die Fußball-WM der Männer große Wellen geschlagen hatte…

Justin: Ich weiß gar nicht mehr, wieviele Leute an dieser Grundidee beteiligt waren. Aber auf jeden Fall war allen gemeinsam, dass wir diese Fußball-WM in Deutschland 2006 mit einem krassen Ohnmachtsgefühl erlebt haben. Mackertum und Nationalismus hatten sich damals auf eine krasse Art und Weise miteinander verbunden: gröhlende Männergruppen, die Deutschlandfahne schwenkend durch die Gegend liefen… Es wurde kaum etwas dagegen gesetzt und nach meiner Erinnerung war eine der Grundmotivationen, da etwas öffentlichkeitswirksam entgegen zu setzen, was auch jenseits der althergebrachten Konzepte lag.

Also war diese anfängliche Schwerpunktsetzung auf Sexismus und Nationalismus auch darin begründet, dass das Festival vor dem Hintergrund der WM entstand?

Justin: Vielleicht einfach aus konkreten Lebenserfahrung heraus. Wir haben damals einen Wandel der deutschen Öffentlichkeit miterlebt. Der Nationalismus erstarkte und es hat ein antifeministischer Backlash stattgefunden. Deswegen waren die beiden Themen für uns auf einer politischen als auch auf einer persönlichen Ebene sehr präsent.

Anne, du bist im vergangenen Jahr ins Antifee eingestiegen. Was war denn deine Motivation, dich an der Orga zu beteiligen?

Anne: Ich habe das Antifee in den Jahren davor auch schon miterlebt und auch kleinere Aufgaben übernommen. Das Konzept fand ich einfach total nett: die Veranstaltung erreicht viele Leute auf einer Ebene, die total Spaß macht. Leute können da hin kommen und mit einem antisexistischen und feministischen Anspruch feiern und es gibt im weiteren Sinne auch ein Bildungsangebot.

Du bist eine der wenigen, die nachdem sie einmal mit an der Orga beteiligt waren, jetzt ein zweites Mal mitmachen. Viele steigen nach dem ersten Jahr immer aus, weil der Aufwand hinter den Kulissen doch sehr groß ist. Warum machst du nochmal mit, obwohl du weißt, wie zeitfressend das ist?

Anne: Das frage ich mich gerade auch manchmal. Irgendwie habe ich so eine Art Verknalltheitsgefühl in dieses Ding. Auch wenn es total viel Energie zieht, ist es ganz viel positiver Streß für mich. Das kann bei anderen natürlich ganz anders sein.

Wie groß ist denn der Aufwand, der hinter dem Antifee steht? Was muss alles erledigt werden, damit am Ende alles rund läuft?

Anne: Es gibt tausend Dinge, die man tun kann. Es muss Geld von verschiedenen öffentlichen Stellen besorgt werden, um das ganze überhaupt machen zu können. Es müssen sich Gedanken über die Infrastruktur gemacht werden und Bands und Referentinnen und Referenten müssen eingeladen werden. Was es für Stände geben soll und was es alles an Getränken und Essen geben soll. Soll das Essen vegetarisch oder vegan sein? Das können Kleinigkeiten sein, wichtig ist aber sich klar zu machen, welchen Anspruch wir an uns selber und an das Festival haben. Das kann ja auch einfach jedes Jahr wieder neu geformt werden. Dadurch, dass jedes Jahr neue Leute mitmachen, ist das Antifee ja auch jedes Mal ein bisschen anders.

Dieses Gespräch stammt aus dem Interviewmagazin, dass Monsters of Göttingen anlässlich des Antifees heraus gibt. Hier könnt ihr es auch online lesen.

Ein bisschen anders ist ja mittlerweile auch der politische Anspruch des Festivals geworden, der sich ja auch in der Praxis nieder schlägt. Zum Beispiel achtet ihr darauf, dass Frauen auf der Bühne sehr präsent sind. Am Anfangs gab es das ja noch nicht. Ist euch, Justin, das damals noch nicht so wichtig gewesen? Ist das Antifee politischer geworden?

Justin: Das kann ich schwer einschätzen. Wir hatten schon den Anspruch, mit der Art und Weise, wie Popkultur in der Gesellschaft reproduziert wird, zu brechen. Uns hat aber zum Einen ein bisschen das Bewusstsein dafür gefehlt. Zum Anderen haben wir beim ersten Mal vielleicht noch nicht die Erfahrung gehabt, wie mit sowas umgegangen werden kann. Wir hatten auf jeden Fall einen sehr politischen Anspruch, sind dem aber an vielen Stellen einfach nicht gerecht geworden.

Dieses Jahr gibt es einen neuen Untertitel: „Festival für Feminismus und gelebte Gesellschaftskritik“ heißt das Antifee jetzt. Wie spiegelt sich dieser recht hohe politische Anspruch denn in eurer Praxis wieder?

Anne: In der Umsetzung ist jetzt gar nicht so viel anders, als im letzten Jahr. Aber einige Leute waren mit dem alten Untertitel unzufrieden. Die Stimmung im Plenum in diesem Jahr ist sehr positiv, sodass wir gesagt haben, wir machen das Festival für etwas, nicht gegen etwas. Wir haben uns gefragt, was unser Anspruch ist. Unser Anspruch ist antisexistisch, antirassistisch und antifaschistisch. Also haben wir überlegt, wie sich das positiv formulieren lässt. Und der neue Untertitel klingt ja auch einfach rund.

Da steckt ja vor Allem auch der Anspruch drin, nicht nur theoretisch die gesellschaftlichen Verhältnisse kritisieren zu wollen, sondern ihnen eine emanzipatorische Praxis entgegen zu setzen. Ganz zentral beim Antifee ist immer auch das antisexistische Feiern gewesen. Warum legt ihr da soviel Wert drauf?

Anne: Weil es in der Gesellschaft und in der Linken das Problem gibt, dass auch auf Parties total viel rumgemackert wird. Da gibt’s immer die Rumsteher, die mit den Händen in den Hosentaschen die Frauen abchecken. Das können so niedrigschwellige Dinge sein, bei denen körperlich Dominanz ausgestrahlt wird. Es gibt aber auch dumme Sprüche bis hin zu Übergriffen. Ich selber erlebe das so, dass ich mich ganz selten auf Parties richtig wohl fühle. Es gibt nicht viele davon. In Göttingen gibt es sie ab und zu: das sind dann Parties, die von queerfeministischen Gruppen organisiert werden. Mir ist das persönlich total wichtig, weil ich selber das Gefühl habe, mich oft auf Parties nicht so richtig frei zu fühlen.

Und wie setzt ihr das genau um? Zum Beispiel propagiert ihr ja immer sehr stark das Konzept der Definitionsmacht…

Anne: Definitionsmacht ist gesetzt. Das bedeutet, dass die Leute ihre eigenen Grenzen definieren können. Wenn eine betroffene Person von einem Vorfall berichtet, dann definiert diese Person die Grenzüberschreitung und nicht irgendwelche Leute, die nachfragen, was passiert ist. Das ist ein total wichtiges Konzept, gerade weil bei Partysituationen hinterher oft gesagt wird: war doch gar nicht so schlimm. Wir drehen das um und lassen diejenigen zu Wort kommen, die betroffen sind.

Wie würdet ihr das Antifee Festival definieren? Einerseits ist es ein Festival, das aus der linken Szene heraus organisiert wird und einen emanzipatorischen Anspruch hat. Andererseits könnte man es als Bildungsfestival begreifen, weil sehr viele Leute sich jedes Jahr an den Workshops teilnehmen. Wie kann man das am besten fassen?

Justin: Ich glaube, man kann es gar nicht so genau fassen – und das macht auch das Schöne an dem Ding aus. Es ist ein ganz praktischer Mischmasch aus unterschiedlichen Ansätzen und das finde ich total super. Es ist nicht nur so, dass man sich selbst einen Standpunkt erarbeitet und dann nach außen in die Gesellschaft wirkt, sondern mit dem Festival ist ganz klar auch eine Kritik in die linke Szene rein verbunden. Dadurch sind identitäre Grenzen an sich schon aufgehoben. Diese Komplexität und Pluralität des Ansatzes macht es schwer, zu sagen, was das Festival eigentlich ist. Dadurch wird es aber auch sehr dynamisch und kann Diskussionen und Erkenntnisprozesse in Gang setzen.

Anne: Ich würde dem total zustimmen. Die Vielfältigkeit und das direkte, praktische Umsetzen macht das Antifee aus. Es können ganz unterschiedliche Dinge daraus entstehen, auch jedes Jahr andere. Es sind ja auch einige Kontroversen um das Antifee entstanden, die man positiv oder negativ bewerten kann. Aber es ist auf jeden Fall etwas dabei raus gekommen.

Und was wird vielleicht in den nächsten Jahren dabei raus kommen? Ist das Antifee nach fünf Jahren so fest etabliert, dass es das Festival auf jeden Fall noch zehn Jahre gibt oder wird es jedes Jahr erneut auf der Kippe stehen?

Anne: Ich habe gerade das Gefühl, dass es seit letztem Jahr einen ziemlichen Satz gemacht hat. Und das es gerade an einer Schwelle ist, wo man sich überlegen muss, wie es weiter geht. Es kommen immer mehr Leute, es wird immer größer. Reicht dieser Platz, auf dem es stattfindet oder ist es vielleicht ein bisschen eng? Wollen wir das Festival vom Campus raus auf eine Wiese verlegen oder wollen wir das nicht?

Was kann man machen, um es nicht größer werden, sondern so klein zu lassen? Wir haben in den letzten Jahren auch einfach unglaublich viel Werbung gemacht und waren total darauf bedacht, das Festival bekannt zu machen. Wir haben Plakate in andere Städte geschickt, in diesem Jahr gab es sogar eine Infoveranstaltung in Berlin.

Auch bezüglich der Finanzierung müsste man perspektivisch mal überlegen, wie es weiter gehen soll. Weil es irgendwann den Rahmen sprengt, im positiven Sinne. Es ist ja total gut, dass soviel Feedback kommt. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob es dann überhaupt noch in dem Rahmen, in dem es in den letzten Jahren gelaufen ist, umsetzbar ist. Und ob sich Leute finden, die die Verantwortung übernehmen wollen. Bislang ist es so, dass eine Einzelperson das Festival privat anmeldet. Die Verantwortung, die man da trägt, ist auch einfach ultra-krass.

Justin: Ich kann nur sagen, dass ich hoffe, dass es das Festival noch lange gibt. Aber ich weiß auch, dass sich ein politisches Klima auch wandeln kann und das Festival vor einem ganz konkreten Hintergrund entstanden ist und sich dann gewandelt hat. Dass sich das Motto dieses Jahr geändert hat, ist ja auch ein Ausdruck eines Bewusstseinswandels bei dem Orga-Team. Das wird sich immer weiter entwickeln, die Frage ist: in welche Richtung? Das hängt natürlich auch vom gesamtgesellschaftlichen Klima ab.

Zum Schluß würde ich gerne die sagenumwobene Frage um den Namen klären. Was genau bedeutet denn Antifee? Ich kenne aus dem Stand bestimmt vier oder fünf Übersetzungen. Kannst du dich noch erinnern, was ihr euch vor fünf Jahren dabei gedacht habt?

Justin: Ich fürchte, das wird tatsächlich für immer ein Mysterium der Geschichte bleiben. Wir haben nicht schriftlich festgehalten, was wir uns dabei gedacht haben. Alle können sich nur noch an die möglichen Interpretationen erinnern – und mit der Erinnerung ist das ja immer so eine Sache. Deswegen würde ich sagen, diese fünf Interpretationen sind wahrscheinlich richtig, allerdings nicht mit hundertprozentiger Sicherheit. Vielleicht spiegelt das das Antifee aber auch einfach wieder.

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7 Kommentare auf "Jedes Mal ein bisschen anders"

  1. Jenny sagt:

    na ja, unter soziologischen, vor allem hochschulsoziologischen Gesichtspunkten hat das Antifee sowieso ganz überwiegend affirmative Funktionen. Dazu gehört auch die Ideologieproduktion, die sich hier eben als Feindbildproduktion darstellt und deren training eine wesentliche Aufgabe der überwiegend geistes- und sozialwissenschaften Studierenden ist. – Die Mischung aus happiness und business ist im Vertigo besser organisiert.

  2. Feindbild sagt:

    „na ja, unter soziologischen, vor allem hochschulsoziologischen Gesichtspunkten hat das Antifee sowieso ganz überwiegend affirmative Funktionen. Dazu gehört auch die Ideologieproduktion, die sich hier eben als Feindbildproduktion darstellt und deren training eine wesentliche Aufgabe der überwiegend geistes- und sozialwissenschaften Studierenden ist. – Die Mischung aus happiness und business ist im Vertigo besser organisiert. “

    Bla.

  3. Jenny sagt:

    das haben @Feinbilder so an sich, dass sie nicht sprechen dürfen. Sie würden ja sonst Gefahr laufen, ihre Funktion als Projektionsfläche zu verlieren …

  4. winston_wants_victorygin sagt:

    @Jenny: „Die Mischung aus happiness und business „- was soll das sein?
    Der ultimative Kapitalismus, in dem wir dankbar dafür sind dass wir beim ausgebeutetsein Genuss und Freude verspüren während wir daran kaputtgehen??
    Also soooo schlimm ist das Vertigo noch nicht….

  5. richard_burton sagt:

    Soll das Ex-Vertigo nicht jetzt (endlich) in Happy Business umbenannt werden?

  6. not registered sagt:

    not registered gefällt dies

  7. mindfuck sagt:

    Im Rahmen des Antifee-Festivals, findet am Kreuzbergring 32 eine sogenannte BUNGA-BUNGA-Party statt. Die antisexistische Ansprechgruppe bittet um zahlreiches Erscheinen.

    Eintritt frei!
    Gez. Tessas-Freund_innen

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