Von Vinyl, Prüfungen und einem Plattenladen
von am 19. Januar 2010 veröffentlicht in Gespräche, Musik

Bedrohte Schallplatten benötigen einen Schutzraum (Foto: MoG).

Musikschaffenden und Musikliebenden wird es in Göttingen nicht gerade einfach gemacht. Der Schaffende muss sehen, wo er gutes Equipment herbekommt und wer gute Platten kaufen will, der schaut auch in die Röhre. Aber fangen wir mal ganz von vorne an. Früher war ja bekanntlich alles besser. Zumindest einen Plattenladen gab es in Göttingen immer. Und Equipment à la Amps oder ein simples Verstärkerkabel bekam man auch immer irgendwo. Nur waren und sind die Konsumerlebnisse immer sehr verschieden. Wer Equipment sucht, der landet meistens unter größten Anstrengungen in einem großen Laden jenseits des Stadtzentrums. Und wer nun nicht gerade zur äußerst zweifelhaften Muckerelite der Stadt gehört, findet sich in der Rolle eines bescheidenen Bittstellers wieder. Die Machtverhältnisse benötigen hier keinerlei Klärung. Auf dem kalten Boden der Tatsachen, nämlich vor allem der, dass wenn das Altstadtfest nicht deine Bühne ist, du eben auch ein nichts bist, verlässt man das Geschäft. Dann lieber alles in die Ecke knallen und nur noch konsumieren, sprich: Platten kaufen.

Ungleich einfacher war es so noch bis vor ein paar Jahren, an eine einfach Vinyl-Schallplatte zu gelangen ohne den Mailorder-Blindkauf zu wagen. Die Lösung hieß Dis-Records und an der Theke saß immer nettes, fachkundiges Personal. Das Sortiment war gut geordnet und lud zu musikalischen Experimenten ein. Ein Plattenladen, zu dem man auch völlig ziellos gehen konnte. Das Jammern nutzt nichts, der Neustart des Ladens war nicht von Erfolg gekrönt. Einen Plattenladen in einer Stadt wie Göttingen zu betreiben ist und bleibt ein großes Wagnis – leider! Umso größer war folgende Überraschung. Ausgerechnet dort, wo Schulschwänzer ihre Zeit an Spielkonsolen auskosten, dem Saturn-Markt im wunderschönen Carrè, steht seit ein paar Monaten ein Plattenregal. Das dürftige Sortiment ist sogar immer für Überraschungen gut. Wenn da nur nicht die lästigen Kids wären, die blökend zwischen den Chartregalen umherwuseln. Und eine gute Platte kaufen, während im Hintergrundgedudel Künstler wie Silbermond oder Mando Diao sich abmühen ihren seelenlos instrumentierten Rotz zu verhökern, dass macht einfach keinen Spaß.

Plattenladen bleibt Plattenladen. Nun gibt es wieder einen. Einen richtigen Plattenladen. „Vinyl-Reservat“ heißt dieser Laden, der umgehend besucht wurde. Plattenladen und Plattenkäufer. Das sind zwei spezielle Entitäten, die sich erst einmal beschnuppern müssen. „Passen wir zueinander?“; „Hat unsere Beziehung eine dauerhafte Chance?“ lauten hier die drängenden Fragen. Und wird man sich mit denjenigen verstehen, die hinter der Kasse stehen? Manchmal die wichtigste Frage! Plattenladenbesitzer klingt nach einem Traumjob, kann aber auch die Hölle sein. Zum einen muss man eben auch ziemlich viel Scheiß verkaufen (siehe Mando Dingsbums) und wird von denen mitunter belästigt, die diesen Scheiß eben feiern, anhören – und dann zu Hause runterladen. Zum anderen hat man lästige Kenner am Hals, die permanent Wissen beweisen, nichts kaufen und – man ahnt es schon – am Ende alles runterladen. Die Besitzer selbst sind ebenso ein Thema für sich. Womit wir beim besagten Musikalienfachhändler oben wären. Das Charakterthema „dämlicher Halbgott“ gibt es nicht nur in der armseeligen Provinz-Mucker-Zunft. Spätestens seit „High Fidelity“ wissen wir um den Mikrokosmos Plattenladen bestens bescheid. Wer sich nicht durch gewisse Fachkenntnis hochgebumst hat, bekommt so nach dem Kauf der 150 Euro billigen Collectors-Box von Band XY eben weder Tüte noch den würdigenden Blick der dir sagt „Ja, Du bist cool und Du hast Geschmack – Danke das es Dich gibt!“. So endet der Gang in den Plattenladen ähnlich einem Besuch einer ungepflegten chinesischen Garküche. Es ist eine Art Prüfungssituation mit ziemlich hoher Durchfallrate. Allerdings braucht es dafür auch ein reichlich hippes Programm – und damit scheidet unser neuer Plattentempel in der Vorrunde aus, genau wie hoffentlich unsere Nationalmanschaft in Südafrika. Das Vinyl-Reservat ist ein Reservat und keinesfalls Hip!

Die Betreiber hätten also keinen besseren Namen für ihren kleinen Laden finden können. Die Lücke die Dis-Records hinterlassen hat, kann zumindest das Vinyl-Reservat nicht füllen, was sehr schade ist. Das Sortiment des Ladens ist eher im Flohmarkt-Sammler-Bereich angesiedelt, was nicht als Kritik zu verstehen ist. Wer auf Musik jenseits des Jahres 1985 steht, wird hier sicher allerbestens und kompetent bedient. Und so versteht man sich als „Schutzraum für bedrohte Schallplatten in Göttingen!“ Das ist ein überaus sympathisches Konzept. Da findet sich im Bereich Blues, Jazz, Heavy Metal und Hardrock so ziemlich alles was in jede Plattensammlung schon rein prinzipiell gehört. Bei essenziellen Vinyl-Genres wie Punk, Hardcore oder Indie (von Rap ganz zu schweigen) wird man leider kaum fündig. Das „Wave-Punk“ Regal erschließt sich eher dem Liebhaber, als dem kurzweiligen Käufer. Gerade die nicht zu unterschätzende Indie-Liebhaberschaar, die schon mal nach Oasis, Radiohead oder Air auf Vinyl sucht, lässt sich der Laden leider entgehen. Wer hingegen auf gepflegt verrauchten Prog-/Kraut-/Space-/Psychedelic-Rock steht, kann sich u.a. am Labelangebot von Ohrwaschl und Elektrohash-Records erfreuen. Letzteres Label versteht seine Bands übrigens als „Anbaukollektive“!

Ich bin mir ziemlich sicher, dass mir als grundsätzlich Unwissenden die größeren Perlen des Sortiments nicht bewusst sind. Vielleicht hat das Ganze deshalb seinen großen Charme. Es macht einfach Spaß in Plattenkisten zu wühlen, sich durch Cover-Welten zu wälzen, in denen man sich zuweilen fragt, wie beknackt oder genial selbige geraten sind. Wer ganz sicher gehen will trifft im Vinyl-Reservat auf etwa drei garantierte Kisten voller Spaß. Auf diesen Kisten steht „Heavy Metal“ – und ja, Kastratengesang ist eine feine Sache, und ja, Männer in Lederfetzen sehen mit ihren ernsten Fratzen besonders komisch aus.

Das Vinyl-Reservat findet ihr Am Papendiek 18. Mehr Informationen hier: www.vinyl-reservat.de

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10 Kommentare auf "Von Vinyl, Prüfungen und einem Plattenladen"

  1. Tom Fancy sagt:

    was ist denn mit dem entertainment store? (http://www.entertainment-store.net/) Hat der Dicht gemacht, oder gibt es andere Gründe warum dieser ignoriert wird. Die hohen Preise würd ich da als Begründung doch sogar fast gelten lassen. Aber man sollte doch mal drauf hinweisen.

  2. John K. Doe sagt:

    dann müsste man eigentlich auch groovy erwähnen. nur ist der nicht in erster linie plattenladen. der entertainment-store scheint auch eher auf alles rund ums auflegen spezialisiert zu sein. mir geht es um einen richtigen plattenladen.

  3. Jenny sagt:

    Hey!
    Cool geschriebener Artikel! Und vielen Dank für’s Aufmerksam-Machen. Ich werd wohl demnächst mal ’nen kleinen Spaziergang zum Papendiek machen. Für meinen Musikgeschmack gibt’s da sicher was. Und wenn nicht, kauf ich auch schon mal was, nur wegen des Covers 🙂

  4. lampe sagt:

    toller artikel. ich bin ja da eher die dritte kategorie, von menschen die in den plattenladen gehen, nämlich die die garnicht gehen, die mucke runterladen und sich dafür schämen. schade dass nach groovy und dem entertainmentstore auch bei diesem laden keine mucke gibt die mir gefällt. und bei saturn kaufe ich nicht! höchstens klauen…

  5. Schön, dass Ihr uns gefunden habt! Uns gibt es ja erst ein paar Wochen – und einen Laden auf zu machen ist immer auch mit einigen Investitionen verbunden. Deshalb haben wir an LP/Singles erstmal bei uns im Vinyl-Reservat, was wir selbst hatten und auch Kommissionsware (natürlich könnt Ihr uns gerne LP`s vorbeibringen. Wir kaufen gerne LP´s an – aus allen Bereichen, außer: Schlager und Klassik!-). Neuware stehen zu haben ist halt meist mit größeren Kosten verbunden. Wir besorgen aber fast alles auf LP (neu & gebraucht) und auch wenn Ihr eine bestimmte CD sucht, sind wir gern behilflich. Auch sonst sind wir für Anregungen bzgl. unseres Programms offen. Natürlich ist aber auch der Platz beschränkt (da wir uns zum Anfang keinen 70qm Laden in 1a Lage leisten konnten; so sind halt die Mietpreise für Läden in Göttingen Innenstadt – bald gibt es fast nur noch Klamotten-Läden!-) aber jeder fängt mal klein an… Also in diesem Sinne: Schaut mal bei uns rein & lernt uns kennen, und wenn es nur kurz zum Aufwärmen für eine Tasse Kaffee oder Tee sein sollte, wir freuen uns auf Euren Besuch!!!! WARNUNG: Natürlich kann es dann auch vorkommen, dass über Musik und LP´s gefachsimpelt wird, aber darum geht es ja: MUSIK !-) Rock &Roll !
    HP vom vinyl-reservat

  6. Rakete sagt:

    Ich war gestern in einem Braunschweiger Plattenladen – Riptide. Total klasse. Super Auswahl an Platten, die jünger als 20 Jahre sind und vor allem ein eingebautes, urgemütliches Café. Gäbe es einen solchen in Göttingen, ich würde verarmen!

  7. John K. Doe sagt:

    der ist tatsächlich ganz gut. aber eben auch nur überlebensfähig mit dem café-betrieb. überhaupt kenne ich keinen überlebensfähigne plattenladen mehr, der nicht zusatzgeschäft macht (z.b. durch mailorder etc.).hoffentlich beibt und das vinyl-reservat eine ganze zeit erhalten!

  8. J.K.D. sagt:

    25 Music in Hannover?

  9. Jenny sagt:

    Zu empfehlen sei dann an dieser Stelle noch „Hot Shot Records“ in Hannover (Nordmannpassage). Der läuft auch seit einigen Jahren recht gut…wobei mir mein Bruder neulich erzählt hat, dass die nebenher auch noch Band-Shirts anbieten.

  10. Atomkrieg sagt:

    @ JKD
    25 Music hat doch ein Reisebüro mit drinnen oder?

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