Control – Corbijn und Joy Division
von John K. Doe am 11. Februar 2008 veröffentlicht in Leinwand, Musik, TexteSo komisch es klingt – aber Joy Division sind eine der bedeutendsten Bands der letzten Jahre. Komisch klingt es, weil Joy Division mit dem Tod des Sängers Ian Curtis im Jahr 1980 Geschichte wurde, gerade in den letzten Jahren jedoch im Dutzend kopiert und damit dann doch wieder an der musikalischen Tagesordnung. Mit Joy Division war ein musikalisches Kapitel erst einmal beendet, welches sich nicht besser für die Leinwand eignen würde – vom Revival kann man das hingegen nicht sagen. Auf der Leinwand aber bitte nur mit kühlen Farben – oder am besten gleich ohne diese. Wer Manchester im Regen erlebt wird wissen warum.
Am 29. Mai 1977 spielte die Band ihr erstes Konzert, damals noch unter den Namen Warsaw. Bereits 1980 musste ein neuer Namen her: Joy Division! Auf dem Weg zur Ikone landete die Band schnell auf Factory Records, dem Manchester-Label überhaupt, und bereits mit der ersten Platte dort vollzog die Band eine Stilwende. Mit Punkrock war es nun vorbei. Die 1979 erschienene LP „Unknown Pleasures“ gilt heute als Meilenstein – oft kopiert, dass macht die Band gerade heute wieder so relevant – aber eben nie erreicht! Der düstere oft minimalistische Sound der Band war in ein stimmiges Gesamtkonzept gekleidet welches im heutigen schnellen Rockzirkus nicht mehr möglich scheint.
Ian Curtis kam durch einen kleinen Zettel zur Band. Curtis betrat ein Musikgeschäft, dort fand sich die Anzeige in der nach einem Sänger gesucht wurde. Vielleicht ist das aber auch nur eine Legende nach der Rockmusik immer sucht. Curtis tiefe depressiv-düstere Stimme passte hervorragend zum ebenso angelegten Sound und wurde das Markenzeichen der Band. Dazu verrenkte sich Curtis eigenartig auf der Bühne – möglicherweise epileptische Anfälle ausgelöst durch optische und emotionale Reize. Die Kühle der Band wurde durch Curtis perfekt weitertransportiert. Immer wieder wurde die Band in die Nähe nationalsozialistischer Inhalte geschoben. Man hielt sich an die Ästhetik der 20er Jahre, bewunderte provozierend die Qualität der SS-Ledermäntel und allein der Bandname stellte eine Affront dar. Joy Divison stellten die Band Throbbing Gristle als Einfluss dar, eine Industrial Band die ebenso auf Nazi-Ästhetik baute und aus deren Live-Shows das angeekelte Publikum oft flüchtete. Vor allem in der Landschaft der frühen britischen Punksbands stellte jedoch gerade das benutzen dieser Ästhetik alles andere als eine Ausnahme dar.
Curtis Jugend ist einsam. Er verlebt eine extrovertierte Kindheit ohne viel Außenkontakt. Schon früh schreibt er Gedichte und Songtexte und experimentiert mit Drogen. Früh heiratet er ein junges Mädchen namens Debbie – das junge Paar landet auf einem Konzert der Sex Pistols, danach wird alles anders! Trotz des vermeindlichen Erfolges wird sein ganzes Leben von Problemen begleitet sein, die Ehe wird zunehmend schwierig, Epilepsie, Medikamente…im Mai 1980 erhängt sich Curtis in seinem Haus in Macclesfield bei Manchester. Er ist gerade 23 Jahre alt. Die letzte Single der Band heißt „Love will tear us apart“.
Anton Corbijn hat in den 70er und 80er Jahren als Fotograf gearbeitet – seine Karriere startete er unter anderem mit einer Foto-Session für Joy Division. In den 80er Jahren steigt er in das Videogeschäft ein und wird schnell ein gefragter Videoregisseur mit einem ganz eigenen Stil. Zu den bekanntesten Clips gehören „Enjoy the silence“ von Depeche Mode oder „Heart-shaped box“ von Nirvana. Sein Stil ist kühl, einfach, manchmal nackte Bilder – keine Effekte und viel schwarz/weiß. Ganz anders als der Film „24 Hour Party People“ aus dem Jahr 2002, der Factory Records satirisch bearbeitet – was eigentlich auch ein Kunststück ist. Das ausgerechnet Corbijn einen Film über Joy Division macht – besser könnte es nicht passen. Vielleicht hat Corbijn die richtige Nähe zur Band, auf jeden Fall jedoch die entsprechende Bildästhetik. Der Film basiert auf der Biographie die Sängers „Touching From A Distance“, geschrieben von seiner Witwe Debbie. Sam Riley spielt Ian Curtis und hat sogar zwei der Stücke die im Film zu hören sind selbst gesungen. Beides ist ihm gut gelungen. Die schwierige Beziehung zu sich selbst und zu seiner Frau fängt der Film perfekt auf – ein ganz schön schwermütiger Film. Fragen werden keine beantwortet, der Film überzeugt durch seine Bilder und durch sein ehrliches Spiel.
Control läuft ab dem 15.02. im Lumiere!
Sehenswert, auf jeden Fall. Es stimmt auch, dass der Film keine Fragen beantwortet, sondern nur aufwirft. Spannend finde ich ihre Affirmität zu Naziästhetik. Stimmt, diese hatten viele – nicht nur britische – Punks. Dadurch waren sie keine Nazis, genausowenig wie Punks automatisch auch nur annährungsweise „links“ sind. Trotzdem zeigt es, wie scheiße es ist einfach als Lebensinhalt nur provozieren zu wollen. Im Film beginnt der erste Auftritt von Joy Devision mit der Ansage „kennt noch jemand Rufolf Hess?“ oder so ähnlich. Leider habe ich auf den anschließenden Songtext nicht geachtet. Weiß jemand, worum es in diesem Lied geht bzw. welchen Song sie gespielt haben? Also ab ins Kino – Film lohnt total – und beantwortet mir die Frage 😉