Buchtipp: Gerhardt Hauck: Kultur. Zur Karriere eines sozialwissenschaftlichen Begriffs.
von am 29. Januar 2007 veröffentlicht in gelesen, Sonstiges

Sicher haben viele von euch in den Medien oder auch in persönlichen Gesprächen schon einmal etwas vom „Kampf der Kulturen“ gehört. Möglicherweise haben einige von euch auch sogar das gleichnamige Buch von Samuel P. Huntington (Im Original: „The Clash of the Civilizations and the Remaking of World Order“) gelesen. Dieses fand besonders nach den Ereignissen am 11.09.2001 überall reißenden Absatz, erklärte es doch mit für den Laien erstaunlicher Plausibilität viele Konflikte auf der Welt, insbesondere den in den Medien mittlerweile allgegenwärtigen Konflikt zwischen der „westlichen“ und der „islamischen Welt“. Warum ist das angeblich so? Ein kurzer Blick zu Huntington:

Nach Huntington finden sich auf der Welt insgesamt acht große „Weltzivilisationen“, die größtmöglichen „kulturellen Einheiten“ die sich – der Name ist Programm – schon immer im Kampf miteinander befinden (was das auch immer bedeuten mag). Diese Kulturen sind für ihn in sich einheitliche, starre und fest voneinander abgegrenzte Gebilde. Hier der Westen, da der Islam. Die Konflikte kämen nun daher, so Huntington, dass jede Kultur andere grundlegende Werte und Normen hat als die anderen (wobei diese sich natürlich auch ähneln können) und in sich eine Totalität darstellt. Diese „Kulturkreise“ üben ökonomische und politische Macht aus und erheben Anspruch auf die universelle Gültigkeit ihrer je eigenen Werte, was den anderen jeweils nicht passt. Problematisch ist hierbei, dass das Bild welches Huntington von „Kultur“ zeichnet, vielem widerspricht, was die Kulturwissenschaften heute darunter verstehen.

„The Clash of the Civilizations“ – Kulturen als Billardkugeln, die wuchtig zusammenprallen? Kulturen als einheitliche und in sich widerspruchs- und konfliktfreie „Einheiten“, die sich nur gegen einander aufstellen? Es ist sicher auch maßgeblich Huntington mitgeschuldet, dass (und jetzt kommen wir endlich zu Gerhard Hauck) die Kultur „zu einem zentralen Rechtfertigungsargument für Diskriminierung und Unterdrückung jedweder Art“ geworden ist.
Hauck konstatiert diesbezüglich eine Kontinuität in den Sozialwissenschaften, die einen substanzialistischen Kulturbegriff fortschreiben. Auf die Spitze getrieben: Der Begriff der Kultur in Form eines substanzialistischen Kulturbegriffs hat den der „Rasse“ abgelöst. Hierzu schreibt er: „Hitler hatte seinen Spann und seinen Günther, Strauß seinen Eibl-Eibesfeld und George W. Bush seinen Huntington.“ (S. 9) Diese Formulierung ist natürlich insofern problematisch, als sie indirekt Bush mit Hitler auf eine Stufe stellt. Zumindest wird hier sehr deutlich worum es Hauck geht.
Die Frage ist nun für ihn, wie es zu dieser Entwicklung kam, da der Begriff in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Vertretern der amerikanischen cultural anthropology (Franz Boas, Margaret Mead u.a.) eigentlich als Gegenbegriff zu „Rasse“ aufgestellt worden war. Dies taten sie mit der klaren politischen Absicht, die noch weit verbreiteten biologistischen Rassismen argumentativ auszuhebeln, indem sie die Eigenschaften und das Verhalten von Menschengruppen auf deren kulturelle Prägung zurückführten.
Hauck begibt sich in seinem Buch auf die Suche nach konzeptionellen Schwächen dieser Kulturdefinition. Dazu zeichnet er die Begriffsgeschichte ausgehend von Herder in verschiedenen Stadien und Schulen nach und stellt einzelne Konzepte und ihre Vertreter_Innen in verständlicher Weise vor, insbesondere die aus der sog. Boasischen Schule. Ebenfalls behandelt werden Begriffe wie Assimilationismus und Primordialismus, welche ausführlich problematisiert werden.
Abschließend erörtert Hauck verschiedene Alternativen. Er stellt dabei so wichtige Begriffe wie den des Habitus von Bourdieu vor, und bespricht Möglichkeiten einer nicht-essenzialistischen Kulturkonzeption. Dankenswerterweise behandelt er in diesen Zusammenhängen explizit auch das oft ausgeblendete Verhältnis Macht / Kultur, ohne allzu hohe Anforderungen an den Kenntnisstand der Leser_Innen zu stellen.

Fazit: Eine Leseempfehlung für alle, die Huntingtons „Kampf der Kulturen“ auch mal wissenschaftlich fundiert kritisiert wissen möchten, und nicht einfach nur so blöd finden. Ein aktuelles Buch also, zu einem noch aktuelleren Thema.

Gerhard Hauck, geboren 1939; Dr. phil. habil., apl. ist Professor für Soziologie an der Universität Heidelberg. Seit 1980 als Gastprofessor an einer nigerianischen und einem halben Dutzend deutscher Universitäten tätig. Schwerpunkte: allgemeine soziologische Theorie, Ethnosoziologie, Entwicklungssoziologie

Hauck, Gerhard: Kultur. Zur Karriere eines sozialwissenschaftlichen Begriffs. 1. Aufl. Münster : Westfälisches Dampfboot, 2006. – 226 S.

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