Harry Potter und die antifaschistische Bettlektüre
von Schmendi am 1. November 2007 veröffentlicht in gelesenNun ist es endlich geschehen, das, worauf so viele so lange warten mussten: der neue Harry Potter ist nun auch auf deutsch erschienen. Zeit, dies Medien- und Kulturphänomen Harry Potter auch bei Monsters zu würdigen, handelt es sich doch um ein Musterbeispiel von anspruchsvoller antifaschistischer Jugendliteratur.
Aber Achtung: wer das Buch noch nicht gelesen hat, sich das aber noch vorgenommen hat, das zu tun und deshalb nichts über das Ende erfahren möchte, dem sei von der Lektüre des Textes abgeraten. Hinterher dürfte es wohl nur noch begrenzt spannend sein.
Fantasy-Stories bieten ähnlich wie Sci-Fi-Erzählungen die Möglichkeit, allzu Bekanntes in eine verfremdete Szenerie zu versetzen, um es dadurch in seiner Besonderheit kenntlich zu machen. Das kann durch bewußt kritisches Schreiben passieren wie etwa bei Ursula K. LeGuin, die etwa mit dem „Planet der Habenichtse“ und andere Romanen der Ekumen-Serie (etwa Winterplanet oder Das Wort für Welt ist Wald) sozusagen den Klassiker der kritischen SocialFiction hervorgebracht hat. Es kann aber auch unbewußt passieren, indem einfach die gängigen rhetorischen Figuren aus der politischen Landschaft in das (Dreh-)Buch übernommen werden. So verweist die in den 60er Jahren entstandene 1. Staffel von Raumschiff Enterprise ziemlich deutlich auf den kalten Krieg, während etwa der 1996 im Kino erschienene Independence Day ganz im Zeichen des gerade beendeten 2. Golfkriegs stand, dessen Auslöser nach gängiger Darstellung ebenso wie für die militärischen Handlungen in Independence Day eine illegitime Invasion war.
Harry Potter ist eine Mischung aus beiden Versionen von Übertragung. Einerseits ist es ein bewußt antifaschistisches, aufklärerisches Opus. Andererseits übernimmt Joanne K. Rowling aber auch unbewußt eine ganze Reihe gängiger Stereotype und Ideologien.
Zwischen Gut und Böse
Die Charakterisierung als „antifaschistisch“ ist dabei eine, die in Teilen durchaus über den üblichen bürgerlichen Antifaschismus hinausgeht. Die oftmals präsentierte Gleichung von Gut gegen Böse, wie sie etwa auch in Cornelia Funkes Tintenwelt-Trilogie fast bis zum Ende durchgezogen wird, funktioniert bei Harry Potter nicht wirklich. Spätestens ab dem 4. Band (Der Feuerkelch) wird klar, das die Rollenverteilungen so einfach nicht sind. Und am Ende des 7. Bandes bleibt dann kein Auge trocken:
Harrys Erzfeind Draco Malfoy wechselt gegen Ende tatsächlich noch die Seite; Xenophilius Lovegood, der Herausgeber des Klitterers, der einzigen Zauberer-Zeitung die nicht vom faschistischen Regime übernommen wird, wird schließlich zum Verräter; Harries Vater James wird schon im „Orden des Phoenix“ als ziemliches Arschloch dargestellt; der gnadenlose Sympathieträger Lupin bekommt zwischendurch Angst vor seiner eigenen Courage und lässt seine schwangere Frau alleine; auch der bislang tadellose Ruf von Albus Dumbledore wird im letzten Band ziemlich relativiert und Snape erscheint am Ende als aufrechter Kämpfer, der während all der Jahre nie von Harrys Seite gewichen ist.
Faschismus und Liberalismus
Aber fangen wir vorne an: Der böse Zauberer Voldemort ist zurückgekehrt und hat mit seinen Dienern, den Todessern, die Macht übernommen. Er hat den alten Zaubereiminister Scrimgeour umgebracht (auch das ist bemerkenswert: trotz aller Differenzen mit Harry hat Scrimgeour ihn nicht an die Todesser verraten) und den alten Stellvertreter mit einem Fluch belegt, damit dieser stets in seinem Sinne handelt. Rowling schildert hier ziemlich eindeutig eine faschistische Machtübernahme. Allerdings wird auch deutlich, dass das frühere Establishment, die Angestellten im Zaubereiministerium etwa, sich problemlos in die neue Struktur einfügen lassen. Das bisherige Personal kann problemlos übernommen werden und erfüllt auch im Faschismus seinen Zweck.
Viel geändert hat sich ohnehin nicht. Schon vor der faschistischen Machtübernahme wurde die Wahrheit verdreht. Jetzt ändert sich daran nur der Inhalt, der verkündet wird – nicht aber das notorische Belügen der Bevölkerung. Die schon aus dem Orden des Phoenix bekannte Dolores Umbridge kann völlig aufgehen und ihrer demagogischen Art freien Lauf lassen. Und auch die Tageszeitung der Zaubererwelt, der Tagesprophet, lügt wie eh und je: nur jetzt eben im Auftrag von dem, dessen Name nicht genannt werden braucht.
Diese Szenerie wird ergänzt durch eine Szene vom Anfang des Buches, in der Harrys Onkel, Tante und Cousin an einen sicheren Ort gebracht werden sollen – und lieber auf das Zaubereiministerium als auf den Orden des Phoenix vertrauen wollen. Harry selber kommentiert das mit dem zynischen Gedanken, das es ja nun wohl typisch für seinen Onkel sei, das sein Vertrauen ins Establishment einfach unzerstörbar sei – auch wenn es allen Grund dazu gäbe. Wer im Kampf gegen den stärker werdenden Faschismus auf die Regierung hofft, der ist verloren. Der Orden des Phoenix wird so zum antiautoritären Selbsthilfeverband antifaschistischer AktivistInnen.
Dumbledore und der Orden des Phoenix
Aber auch der Orden des Phoenix steht, wenn auch vielleicht an dieser Stelle wirklich ungewollt, in keinem ausschließlich rosigen Licht. So ergeben sich durch die hierarchische Organisation des Ordens (Dumbledore als Übervater, dessen Entscheidungen bereitwillig und unhinterfragt gefolgt wird) immer wieder auch Probleme. Auch Dumbledore ist kein Gott.
Das wird vor allem im 7. Band deutlich, wenn einerseits die Verstrickung von Dumbledore in den Tod seiner stets vor der Zaubereröffentlichkeit verborgenen Squib-Schwester ans Licht kommt, er früher durchaus selber mit den dunklen Künsten in Kontakt stand und schlussendlich von Harry verlangt, sich von Voldemort töten zu lassen. Während bei der geneigten Leserin zum Beginn des Buches nicht selten noch Entrüstung über die vielfältigen und doch ganz offensichtlich ungerechtfertigten Anschuldigungen gegen Dumbledore vorherrscht, so verdichten sich nach und nach die Anzeichen dafür, dass an ihnen wohl mehr dran sein könnte, als Harry und die eine oder andere Leserin wahrhaben wollen.
Dumbledores Flirt mit den dunklen Künsten war im Übrigen, wie wir mittlerweile wissen, nicht nur einer mit schwarzer Magie. Er bestand in einer längeren freundschaftlichen Bande, die ihn mit dem dunklen Magier Grindelwald verband – dem Mann, den er dann später im Zauberduell besiegte. In seinen jungen Jahren haben die beiden viel Zeit miteinander verbracht und Dumbledore hat stets versucht, Grindelwald mit einer Art Appeasement-Politik von den finsteren Plänen, die dieser mit den Muggeln hatte, abzubringen. Wer möchte, kann hier gerne eine Analogie auf die Appeasementpolitik Englands gegenüber dem faschistischen Deutschland sehen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass das besagte Zauberduell im Jahre 1945 stattgefunden hat.
Ein andere in diesem Kontext nicht uninteressanter Fakt ist der Hinweis Rowlings, das Dumbledore schwul gewesen und in Grindelwald verliebt gewesen sei. Vermutlich ist die Vermutung, das dies eine Anspielung auf die Hitler oft unterstellten homoerotischen Neigungen sein könnte, tatsächlich nicht mehr als eine Vermutung.
Befreiung vom Faschismus
Am Ende des Buches steht dann ein großangelegter antifaschistischer Befreiungskampf. Hier springt der Unterschied etwa zum Herrn der Ringe ins Auge. Zwar geht es auch im Herrn der Ringe um den Kampf gegen den Faschismus, allerdings eher um einen aus romantisch verklärter Perspektive: hier wird der vor allem als Industrialisierung und Zerstörung ursprünglicher Lebensformen dargestellte Faschismus letztlich von einer kleinen Gruppe Auserwählter besiegt, der dies nur aufgrund besonderer Kampfbereitschaft, heldenhaftem Opfermutes und genialer List gelingt.
Bei Harry Potter läuft es genau andersherum. Bei der „Schlacht um Hogwarts“ sind der Orden des Phoenix, die wiederbelebte „Dumbledore’s Army“ und die LehrerInnen der Schule auf ziemlich verlorenem Posten und haben den Zauberkräften Voldemorts und seiner Todesser nicht viel endgegenzusetzen. Der Sieg wird am Ende durch die schiere Masse erzielt. Dadurch, das sich Zauberwesen jedweder Colleur von ihrer Neutralität verabschieden (allen voran die Hauselfen) und die Todesser mehr oder weniger überrennen. Die Botschaft ist ziemlich eindeutig: Herrschaft kann mit noch so überlegenen Mitteln ausgestattet sein – rein zahlenmäßig ist sie stets in der Minderzahl und kann entsprechend durch eine konzertierte Aktion der Unterdrückten auch besiegt werden.
Little Details
Neben diesen großen Linien gibt es noch ein paar kleine Nebensächlichkeiten, von denen der Vollständigkeit halber hier kurz berichtet werden soll: so zieht sich etwa durch alle sieben Bände ein eher traditionelles Bild von Männlichkeit und Weiblichkeit. Hermine etwa kann durchaus als typisches Abbild der fleißig-lernenden Schülerin gelten, während Harry und Ron lieber cool abhängen. Bei der Trennung von Harry und Ginnie übernimmt er die rationale Rolle („Es ist besser so“) und sie die emotionale („Ich liebe dich und werde auf dich warten“) – und das in einer derartig offensichtlich kitschigen Art und Weise, das einem schon fast schlecht werden könnte. Mrs. Weasley erscheint stehts als treusorgende Ehefrau und Mutter, die mit Haus und Hoft gründlich ausgelastet ist und übernimmt auch im Orden des Phoenix eher umsorgende Funktionen. Einen kleinen Riss bekommt dies Bild am Ende des 7. Bandes, als sie gefürchtete Todesserin Bellatrix Lestrange tötet und sich als wahre Meisterin im duellieren entpuppt. Allerdings passiert dies auch nur, weil ihre Mutterinstinkte geweckt und sie ihren Sohn schützen will. Auch hier: nicht mal die halbe Miete – wenn sich die entsprechende Passage auch wunderbar lesen lässt.
Eine weitere Stelle, bei der sich Rowlings fester Stand in der bürgerlichen Ideologie zeigt, ist das wundersame Phänomen, das auch in der Zaubererwelt mit Geld gehandelt wird – obwohl das doch durch Zauberei weitestgehend überflüssig sein dürfte. Arbeit jedenfalls kann – analog zur Wertbestimmung in der Muggelwelt – hier keine Rolle spielen und Rowling dürfte wohl eher an das Theorem von Angebot und Nachfrage gedacht haben und das Geld als vermeintliche Selbstverständlichkeit übernommen haben – auch wenn es so richtig nicht in die Welt hineinpassen will.
Antifaschistische Jugendliteratur
Am Ende kann dann aber wohl trotzdem gesagt werden, das Rowling hier ein Stück (besser: sieben Stücke) antifaschistischer Jugendliteratur geschaffen hat, die durchaus ihres gleichen suchen. Anhand der sieben Bände Module antifaschistischer Jugendbildungsarbeit zu entwickeln, um den Lernerfolg zu maximieren steht noch aus. Verschenken kann mensch die Bücher aber trotzdem schon. Oder lesen. Viel Spaß dabei.
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Monsters schrieb: „Der Sieg wird am Ende durch die schiere Masse erzielt.“ das ist so nicht ganz richtig. die befreiung findet statt in dem die eine symbolfigur, die andere tötet. somit ist harry auch eine leitfigur für die antifaschistische bewegung: alle kämpfen wegen ihm und vertaun ihm. damit machen sie ihn zum führer ihrer bewegung; da kommt auch das individuum, durch seine repräsentation, nicht ganz zur geltung.
Die im letzten Absatz aufgemachte Perspektive, Harry Potter als antifaschistische Bildungsliteratur „an“ jugendlichen einzusetzen, ist keine, die ich besonders toll fände. Ich habe sowieso ein starkes unbehagen, wenn es um die Vermittlung irgendwelcher zB. antifaschistischer Werte geht. Auswendig lernen von WErten bringt nichts und führt nur zu irrationaler Angst. Man muss die Welt schon selber erleben und sich selber dann denken, was man gut findet und was nicht.