Fussball ist politisch

Mehr als nur Fankultur
von am 11. Februar 2014 veröffentlicht in Neonazis, Soziale Bewegungen, Titelstory

"Fußball ist politisch" - Oliver Sauer (links im Bild) und Philipp Rösener (re.) von der Supporters Crew mit Gerhard Bücker vom Landespräventionsrat. (Foto: MoG)

Rassistische Gewalt, frauenfeindliche und homophobe Sprüche, antisemitische Sprechchöre. Das ist immer noch Alltag in vielen Fußballstadien. Sich mit der fragwürdigen Losung „Sport ist unpolitisch“ rauszureden funktioniert da nicht mehr, weiß inzwischen auch der Deutsche Fußballbund (DFB). Die Ausstellung „Tatort Stadion 2“ dokumentiert die verschiedenen Formen der Diskriminierung, um durch den Fußball zum Nach- und Umdenken anzuregen.

Das Wildparkstadion in Karlsruhe sei 1989 ein schrecklicher Ort gewesen um Fußball zu gucken, erzählt Martin Endemann vom Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) zur Ausstellungseröffnung in Göttingen. „Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger wurden die Stadien von Hooligans und Rechten dominiert,“ sagt Endemann,  „aber Anfang der Neunziger hatte das noch niemanden interessiert, bis einige Spieler einen offenen Brief an die Bild-Zeitung geschrieben haben.“

Auszüge aus dem Brief sind in der Ausstellung „Tatort Stadion 2“ zu sehen. 2001 war sie schon einmal im Neuen Rathaus zu sehen, damals noch taufrisch. Jetzt gastiert die Ausstellung wieder in Göttingen, im neuen Raum des RSV Göttingen 05 Fanvereins Supporters Crew am Platz der Synagoge. Mit deutlichen Worten wandten sich Anthony Yeboah, Souleymane Sané und Anthony Baffoe 1990 an die Bild-Zeitung: „Was wir in Stadien an Beleidigungen  zu hören bekommen, ja erdulden müssen, trifft ins Herz.“ In keinem anderen Land in Europa seien schwarze Fußballer derlei Verunglimpfungen ausgesetzt, schrieben die Fußballer.

Was die Vereine daraufhin an Aktionen ins Leben riefen bezeichnet BAFF-Aktivist Endemann als plumpen Aktionismus: „Rote Karte gegen Rassismus oder ‚Mein Freund der Ausländer‘ gab es damals, was auch immer das bedeuten sollte.“ 1993 schlossen sich die linken Fans schließlich zum BAFF zusammen, um rechte bis rechtsoffene Hooligans und Fans und natürlich offene Nazis aus den Stadien zu drängen.

Rechte Umtriebe: Das Verdrängen durch durch Vereine und Verbände

Die Vereine und Verbände versuchten das Naziproblem im Stadion zunächst zu verdrängen. „Fußball hat mit Politik nichts zu tun, diese These ist unhaltbar,“ kritisiert Oliver Sauer von der Supporters Crew bei der Ausstellungseröffnung. In Göttingen haben Anfang der Neunziger die Nazigrößen Karl Polaczek und sein Ziehsohn Thorsten Heise „ganz bewusst Leute in die Stadien geschickt, mit Reichskriegsflagge und Hakenkreuzen,“ so Sauer gegenüber MoG. Die Göttinger 05 Fanszene ist konsequent antirassistisch, Begegnungen mit Nazifans von 05 bleiben aber nicht aus.

„Zuletzt 2010, als eine Gruppe beim Auswärtsspiel in Celle ‚SS, SA – die Göttinger sind da‘ gerufen hatte“, erzählt Sauer. In Celle „entglasten“ die Göttinger Nazis  dann einen türkischen Imbiss, andere 05-Fans wurden aufgefordert „die Fresse zu halten“. „Wir haben dann beim nächsten Heimspiel Einlasskontrollen gemacht und die Nazis nicht ins Stadion gelassen, man darf die halt nicht davon kommen lassen,“ sagt Sauer. Die linken Fans müssen hier ständig am Ball bleiben, auch angesichts autonomer Nationalisten, NPDler oder der Partei „Die Rechte“, die immer wieder versuchen die Stadien zu unterwandern.

Rechtsextremismus ist ein generationenübergreifendes Problem

Gastredner Gerhard Bücker vom Landespräventionsrat warnt bei der Ausstellungseröffnung vor den neuesten Entwicklungen im rechten Lager, vor allem vor der Identitären Bewegung. „Die stellen sich offen im Netz vor, gehören ganz überwiegend der gymnasialen Oberstufe an oder studieren“, erklärt Bücker. Die nationalistisch-rassistische Bewegung setze sich für ein Europa der „weißen“ Europäer ein, der Jargon nähere sich dabei immer wieder der Sprache der extremen Rechten an. Ohne konkret zu werden erwähnt Bücker auch, dass im Landkreis Göttingen die Naziszene sehr aktiv sei.

Dann wendet er sich dem Sport zu. „Rassismus ist nicht ausschließlich ein Problem des Fußballs. Ich habe auch schon Hassgesänge und rassistische Ausdrücke beim Handball, Eishockey oder beim Judo erlebt,“ erzählt Bücker. Ein Naziproblem hätten vor allem Kickbox- und Freefightingvereine, wo Nazis immer mehr Zulauf hätten. „Die Vereine bekommen das nicht in den Griff.“ Bücker hebt schließlich hervor, dass Rechtsextremismus kein Problem der Jugend sei. „Das ist ein generationenübergreifendes Problem.“

DFB gegen Diskriminierung

Die Supporters Crew und Martin Endemann von BAFF können dem nur beipflichten. Dass Fußball nicht unpolitisch ist, sondern gegen rechte Umtriebe und Diskriminierung etwas getan werden muss, hat inzwischen auch der DFB erkannt. Seit 2006 ist Theo Zwanziger Präsident des Fußballbunds und setzt sich aktiv gegen Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und andere Formen der Ausgrenzung ein.

Einen Wandel den Martin Endemann von BAFF sehr lobenswert findet: „Rassismus war Zwanziger ein Herzensthema.“ So wie der DFB mit der Zeit ging tat es auch das BAFF. Nach über zehn Jahren „Tatort Stadion“ musste die Ausstellung aktualisiert werden. Themen wie Antiziganismus oder Ultras wurden ergänzt.

Nicht allein ein „Nazi-Problem“: Diskrimierung kommt von allen Seiten

Die emanzipatorische Fanszene wird noch viel Arbeit im und um das Stadion haben. „Im Stadion äußert sich die Stimmungslage der Bevölkerung“, sagt Oliver Sauer, und was dabei zu Tage kommt zeugt häufig nicht von einem aufgeklärten Geist. Im Suff im Stadion legt die Gesellschaft ihre Maske ab und es zeigt sich, was sonst unter dem Deckel des Alltags verborgen bleibt. Sprüche wie „Schiri, Du schwule Sau“, „Was ist denn das für ein Mädchenpass“, „Geh zurück in den Busch“ oder das berüchtigte U-Bahn-nach-Auschwitz-Lied sind immer noch Gang und Gäbe.

Nicht Nazis allein sind das Problem, Ausgrenzung und Diskriminierung kommt auch aus der so genannten Mitte der Gesellschaft, wie die Ausstellung dokumentiert. „Tatort Stadion 2“ versucht die ganze Bandbreite der Diskriminierungen darzustellen und hält letztendlich der Gesellschaft den Spiegel vor. Teilweise abartige Fanartikel mit nationalsozialistischen, homophoben oder derbe sexistischen Inhalten werden ebenfalls gezeigt. Leider fehlt hier die kritische Einordnung der Exponate, genauso bei einer ausgestellten Reichskriegsflagge Modell Kaiserreich, die gerne in rechten Fanblocks zum Einsatz kommt.

Entsprechende Schilder gibt es wohl, sie sind aber beim Transport verloren gegangen. Möglicherweise werden die Schilder vom BAFF noch nachgereicht, ansonsten bietet die Supporters Crew auch Führungen durch die Ausstellung an, um alle offenen Fragen zu klären. Sehenswert ist die Ausstellung in jedem Fall.

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2 Kommentare auf "Mehr als nur Fankultur"

  1. SAUER sagt:

    Stellt man sich in die Öffentlichkeit, zeigt Gesicht und erklärt damit die Bereitschaft auch in der Presse erwähnt zu werden, ergibt sich öfter mal das Problem, dass man sich nicht immer zur Gänze korrekt wiedergegeben sieht.
    Der aktuelle Artikel im Monsters of Göttingen nötigt mir daher ein paar Richtigstellungen ab.

    Ich will jetzt nicht jedes Wort auf die berühmte Goldwaage legen. Ob ich jetzt die „offensiven Anwerbeversuche der organisierten örtlichen Naziszene in den frühen 1990`ern“ erwähnte und die Hakenkreuzschmierereien dann eher die logischen Auswüchse waren, was den Nagel meiner Aussage eher auf den Kopf trifft, als mit „Reichskriegsflagge und Hakenkreuz ins Stadion geschickt“ lasse ich mal so stehen.
    Etwas differenzierter möchte ich schon das Zitat „Diskriminierung kommt von allen Seiten und die Gesellschaft legt ihre Maske ab“ sehen.
    Ich sprach davon, dass Vorurteile in der Bevölkerung leider noch verbreitet sind, welche leicht bedient werden können. Ich behaupte nicht, dass dies unsere gesamte Gesellschaft betrifft (auch wenn wir alle uns selber immer wieder mal hinterfragen sollten, da nehme ich mich bestimmt nicht aus) oder die Stimmungslage der gesamten Bevölkerung diskriminierend ist, sondern dass gerade im „untertauchen der Masse (im Stadion) sich gerne mal die Stimmungslage mancher Bürgerinnen und Bürger offenbart“
    Hierbei habe ich von einer „Wachsamkeit“aller BesucherInnen gesprochen. Es ist nicht ein exklusives Recht oder alleinige Aufgabe „linker Fans ständig am Ball zu bleiben.“ Die gesamte Gesellschaft ist gefordert wachsam zu sein, um unsere Demokratie vor ihren rechten Feinden zu schützen!
    Explizit möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich unsere Beteiligung an dieser Ausstellung als ein zivilgesellschaftliches Engagement betrachte, welches wir wichtig finden obwohl wir schon seit längerer Zeit KEIN Problem mit Nazis und rassistischen oder homophoben Auswüchsen haben.
    Demzufolge habe ich nicht von Begegnungen mit „Nazifans von 05“ gesprochen!
    Auch nicht im Zusammenhang mit dem Auswärtsspiel in Peine. Hier waren Göttinger und Hannoveraner unterwegs die durchaus als rechtsoffen und mit Kontakten zur rechten Szene in Hannover bezeichnet werden können. Im Besonderen, und hierum geht es mir, die bei diesen Vorfällen anwesende Göttinger Ultragruppe zeichnete sich an diesem Tag zwar durch extreme Dummheit und schaffen einer „akzeptierenden Masse“ aus. Jene 05-Fans können wir oder werde ich aber nicht als „Nazis oder Nazifans“ bezeichnen. Dies würde an einer – mitunter schwer differenzierbaren – Realität vorbeiführen.
    Dem Vorfall folgte damals eine langwierige und intensive, teilweise auch öffentliche, Auseinandersetzung.
    Zu Recht bin ich aus der Fanszene angesprochen worden und möchte dies hiermit richtig stellen.

    • hank scorpio sagt:

      Die letzten drei Absätze des Artikels sind vor allem als Rezeption der Ausstellung zu verstehen, nicht als wortwörtliche Wiedergabe deiner Zitate. Das geht aus dem Artikel möglicherweise nicht eindeutig hervor. Es sollen Dir also keine Worte in den Mund gelegt werden. Danke für die Richtigstellung, was den Begriff „Nazifans von 05“ angeht. Das war nicht als sensationelle Zuspitzung o.Ä. gemeint, möglicherweise habe ich die Schilderung der Situation anders verstanden. Die Bezeichnung „rechtsoffen“ scheint hier angemessener zu sein.

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