Leinefelde

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von am 5. Mai 2013 veröffentlicht in Neonazis, Soziale Bewegungen, Titelstory

Neonazis beim "Nationalen Kundgebungstag" in Leinefelde.

600 Menschen haben am Samstag im thüringischen Leinefelde gegen ein NPD-Fest demonstriert. Anders als in den Vorjahren waren das mehr GegendemonstrantInnen, als Neonazis zum „Nationalen Kundgebungstag“ kamen: An dem nahmen nur etwa 400 Nazis teil. Ein breites Bündnis von antifaschistischen Gruppen bis hin zum CDU-Oberbürgermeister hatte zu den Gegenprotesten aufgerufen. Die Kooperation zwischen Antifa und dem bürgerlichem Bündnis verlief nicht reibungslos.

Diesmal war auch Politprominenz dabei: „Der braune Ungeist muss zum Schweigen gebracht werden“ ruft die thüringische SPD-Sozialministerin Heike Taubert den DemonstrantInnen zu. Die TeilnehmerInnen der Abschlusskundgebung applaudieren, dumpfe Rechtsrock-Bässe klingen vom „Nationalen Kundgebungstag“ herüber. An den kamen die GegendemonstrantInnen nicht heran, weil die Polizei ihn hermetisch abgeriegelt hatte. Insgesamt beteiligten sich knapp 600 Personen an der Demonstration gegen das Rechtsrock-Event, darunter auch etwa 100 Demonstrierende aus Göttingen.

Nazis um die Ecke

In den vergangenen sechs Jahren sind Neonazis dutzendfach in der Stadt Göttingen und der Umgebung aufgetreten. Mit Kundgebungen, Grabschändungen und sogar Übergriffen haben sie ihrer Menschenverachtung Ausdruck verliehen. Wir haben in einer interaktiven Grafik aufgearbeitet, wann sie wo zugeschlagen haben: #nazidoku

600 Nazis weniger als 2012

Im vergangenen Jahr protestierten nur 200 Menschen gegen die Veranstaltung von NPD-Bundesvorstand Thorsten Heise, die er damals noch „Eichsfelder Heimattag“ nannte. 2012 besuchten ihn noch 1000 Nazis. Damals nannte Heise sie noch „Eichsfeld-Tag“. In diesem Jahr waren es Agenturmeldungen zu Folge nur etwa 400 Nazis, die zum Familienfest mit anschließendem Rechtsrock-Konzert auf den Leinefelder Sportplatz kamen. Auf dem Programm standen unter anderem die Band Sleipnir und als Redner der ehemalige NPD-Vorsitzende Udo Voigt. Nach einem Publikative-Bericht nahmen viele Familien mit Kindern an der Veranstaltung teil.

Dagegen formierte sich in diesem Jahr ein breites Bündnis: Anders als im Vorjahr riefen das „Eichsfelder Bündnis gegen Rechts“ und das „No Heimat“-Antifa-Bündnis zu einer gemeinsamen Demonstration gegen das Rechtsrock-Event auf. In zwei getrennten etwa gleich großen Blöcken demonstrierten sie durch den Ort.

Bereits zu Beginn der Demonstration zeigte die Polizei dabei klare Kante: Anreisende aus Göttingen mussten Durchsuchungen über sich ergehen lassen, eine „Schleuse“ der Polizei ließ nur Kleingruppen vom Bahnhofsgelände zur Auftaktkundgebung. Auch während der Demonstration eskortierte die Polizei die zumeist jugendlichen TeilnehmerInnen des „No Heimat“-Blocks mit einem engen Spalier. VertreterInnen des Bündnisses kritisierten das Verhalten der Ordnungskräfte, die „antifaschistische DemonstantInnen schikanierte“ und es andererseits Nazi-Fotografen ermöglicht habe, Fotos von den Antifas zu schießen. Zu nennenswerten Zwischenfällen kam es jedoch nicht.

Distanz und Solidarität

Reibungsfrei war die Kooperation der beiden Bündnisse allerdings nicht: Wiederholt echauffierten sich VertreterInnen des Eichsfelder Bündnis gegen Rechts über „Anti-Polizisten-Parolen“, die aus dem Anifa-Block zu hören waren. Radikale Forderungen wie „No Heimat, No Heise“ stießen auf wenig Verständnis. Den Leinefelder BürgerInnen und ihrer VertreterInnen ging es eher darum, „den braunen Ungeist“ aus „ihrem Thüringen“ zu vertreiben, wie in Redeibeträgen von Kommunalpolitikern deutlich wurde.

Kommentar

Während anderswo regelmäßig Nazi-veranstaltungen durch Blockaden verhindert werden, müssen sich die Leinefelder Antifas mit einer symbolischen Demonstration zufrieden geben. Dass es anders geht, hat gerade erst der 1. Mai gezeigt: In Frankfurt blockierten Antifas den Zugverkehr und verhinderten so eine Nazi-Demo. Auch in Erfurt mussten die Nazis wegen des entschlossenen Protests nach kurzer Strecke wieder umdrehen. Darüber muss sich Thorsten Heise in Leinefelde keine Sorgen machen: keine 50 Kilometer von Göttingen entfernt kann er in Ruhe sein NPD-Fest etablieren. Dass in diesem Jahr 600 Menschen dagegen demonstriert haben, ist begrüßenswert, dürfte ihn aber kaum stören. Effektiverer Protest wäre möglich. Völlig zu Recht aber ist das örtliche Antifa-Bündnis enttäuscht über die knappe Beteiligung aus Göttingen: Für das, was in Thüringen passiert, scheint sich hier kaum jemand zu interessieren. Zum Glück kamen in diesem Jahr deutlich weniger Nazis nach Leinefelde als noch 2012. Der Verdienst der viel gelobten Göttinger Antifa-Szene ist das allerdings nicht. (Triglycerid)

Bemerkenswert waren die Redebeiträge des Deutschen Gewerkschaftsbunds: Explizit sprachen diese die Berührungsängste der EichsfelderInnen mit den zumeist zugereisten AntifastischInnen an. Die RednerInnen solidarisierten sich mit dem „No Heimat“-Bündnis. In anderen Redebeiträgen krisisierten RednerInnen das Familienbild der Neonazis, der Rassismus der gesellschaftlichen Mitte und das Verhalten der Sicherheitsbehörden im NSU-Fall kritisiert.

Für jeden was dabei

Nach der Demonstration waren die OrganisatorInnen trotz Reibereien guter Dinge: Michael Hoffmeier vom Eichsfelder Bündnis gegen Rechts sprach von einer „schönen und friedlichen Demo“, bei der „für jeden was dabei“ gewesen sei. Auch das „No Heimat“-Bündnis sprach von einem „vollen Erfolg“. Etwas kritischer gab sich Leila Schillow von der DGB Jugend Thüringen: sie wünschte sich vom Bündnis gegen Rechts die Einsicht, „dass es ohne die Jugendlichen eine ziemlich mickrige Demo gewesen wäre.“

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