Nach Angriff auf Tattoo-Studio

Einigkeit in der Roten Straße
von am 24. Januar 2013 veröffentlicht in featured, Polizei & Justiz

Nach dem Angriff auf ein Tattoo-Studio am vergangenen Samstag ist in der Roten Straße wieder Ruhe eingekehrt. Die Studiobesitzerin Jennifer F. hat sich mit Bewohner*innen des Studierendenwohnheims in der Roten Straße getroffen, sie wollen sich um gute Nachbarschaft bemühen. An der Aktion, die anwesenden Neonazis galt, üben autonome Antifas harsche Kritik.

Das Treffen zwischen der Tättowiererin und ihren Nachbarn endete einvernehmlich, heißt es in einem authentischen Statement auf der Plattform linksunten.indymedia.org, das von Bewohner*innen des studentischen Wohnprojekts in der Roten Straße stammt. Darin drückten Bewohner*innen des Wohnheims ihr Bedauern über den Vorfall aus und distanzierten sich von dem Angriff der bis zu zwanzig vermummten Unbekannten. Dem Schreiben zu Folge haben sich Bewohner*innen am 22.1. mit Jennifer F. und ihrem Team in dem Tattoo-Laden getroffen. Es bestehe kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit dem Tattoo-Studio, „entgegen von außen lancierter Meldungen“, so der Wortlaut.

Wilde Diskussionen im Internet und Kritik an der Polizei

In den letzten Tagen hatte es in den Kommentarspalten von indymedia und auch bei Monsters hitzige Diskussion gegeben. Vereinzelt waren dort auch wilde Spekulationen über geschäftliche Verflechtungen des Tattoo-Ladens mit dem Rockermilieu zu lesen. Gerd Hujahn, Einsatzleiter der Göttinger Polizei, bestätigte gegenüber dem Stadtradio Göttingen lediglich, dass es freundschaftliche Verbindungen des Ladens zur Rockerszene gäbe.

Die Polizei wird in der Stellungnahme des Wohnprojekts Rote Straße kritisiert. Es gäbe ein anscheinendes „Interesse der Polizei einen Konflikt innerhalb der Roten Straße herbeizureden und damit Mutmaßungen über angebliche Hintergründe in der Öffentlichkeit noch weiter anzuheizen.“ In einem taz-Artikel wurden ausführliche Äußerungen von Einsatzleiter Gerd Hujahn zitiert. Auf Anfrage bestreitet Hujahn den Vorwurf, die Polizei habe einen Konflikt herbeigeredet.


Wieder geöffnet: Das Tattoo-Studio „Jenny B.“ in der Roten Straße

Rote Straße: In Zukunft gute Nachbarschaft

Beide Seiten seien aufeinander zugegangen und hätten gegenseitig das Gespräch gesucht, erzählt Jennifer F. gegenüber Monster of Göttingen. Das Tattoo-Studio „Jenny B.“ hat in der Roten Straße seine Pforten inzwischen wieder geöffnet. Die Diskussion sei für sie und die Bewohner*innen nun abgeschlossen, was auch aus dem Statement im Internet hervorgehen würde: „Wir werden uns um eine gute Nachbarschaft bemühen“, sagt F., „alle wollen einen Strich drunter machen und bei Null anfangen. Was jetzt zu sagen gewesen ist, ist einfach auch gesagt. Jetzt wollen alle ihre Ruhe haben.“

Am Ende des Schreibens auf indymedia positionieren sich sowohl F. als auch die Bewohner*innen gemeinsam gegen Nazis in Göttingen. „Dennoch sprachen sich alle Anwesenden gegen eine Aktion wie am Samstag geschehen aus“, so der Wortlaut weiter.

Scharfe Kritik von links

Die Reaktionen aus der linken Szene auf den Angriff zeigen, dass es „die Antifa“ in Göttingen nicht gibt. Verschiedene Medienberichte hatten diesen Eindruck erweckt. Harsche Kritik an der Aktion übt die „autonome und antifaschistische Vollversammlung Göttingen“. In einer Mitteilung autonomer Antifas ist zu lesen, dass sie „die gelaufene Aktion für falsch und unverantwortlich“ halten. Erstens hätten die Angreifer*innen die Besitzerin und ihre Gäste „über die Anwesenheit der identifizierten und namentlich bekannten Neo-Nazis“ informieren müssen. Zweitens hätte die Aktion „darüber hinaus schon deshalb nicht stattfinden dürfen, da Unbeteiligte, vor allem Kinder, gefährdet waren.“ Und drittens sei das Ziel, „Neo-Nazis entschlossen entgegen zu treten“, durch „diese Aktion nicht erreicht“ worden. Dem Laden sei außerdem „fälschlicherweise unterstellt“ worden, „rechtsoffen zu sein“.

Nach dem Angriff: Antifaschistische Kundgebung auf dem Göttinger Marktplatz

Wer die Angreifer waren, bleibt unbekannt, die Ermittlungen der Göttinger Polizei dauern an. Auf einer Kundgebung am Sonntag waren antifaschistische Gruppen darum bemüht, die Aktion mit dem eigentlichen Ziel, nämlich den Angriff auf drei Northeimer Neonazis, zu erklären. Etwa 200 Personen, die dem spontanen Aufruf gefolgt waren, erfuhren in einem Redebeitrag vom politischen Hintergrund der bei der Eröffnung des Tattoo-Studios anwesenden Neonazis. Es handele sich nicht um einfache „Dorfnazis“, sondern um Aktivist*innen, die unter anderem bei der NPD und auch im Ring Nationaler Frauen engagiert seien. Im Bezug auf die Aktion heißt es diplomatisch:

„Man mag über die Mittel (…) streiten und von ihnen halten was man möchte, aber die eigentlichen Probleme entstanden mit der Tatsache, dass sich aktive Mitglieder der organisierten Neonaziszene in Südniedersachsen ohne irgendeinen Widerstand in Göttingen bewegten.“

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Ein Kommentar auf "Einigkeit in der Roten Straße"

  1. noname sagt:

    von der schöner leben liste:

    Hallo,

    wer ist denn eigentlich „die Vollversammlung“, waren wirklich alle autonomen AntifaschistInnen da? Es verwundert mich, wie schnell sich so ein beschlussfähiges Gremium mit Alleinvertretungsanspruch bilden kann. Aber davon mal abgesehen:

    Mir ist nicht ganz klar, woher dieser Drang kommt, sich in dieser Weise öffentlich zu äußern. Selbstverständlich gibt es immer die Notwenigkeit dazuzulernen, Aktionsformen zu diskutieren und ich finde, dass das auch öffentlich geschehen darf. Aber für mich macht das nur Sinn, wenn mit den getroffenen Aussagen auch der Anspruch verknüpft ist, über die einzelne Aktion hinaus Denkanstöße zu liefern. Dafür reichen mir die drei Sätze nicht, mir fehlen die Begründungen und Differenzierungen, um sie als vorwärtsorientierten Diskussionsbeitrag für einen neuen Aktionskonsens oder dergleichen zu betrachten. Mir erscheint das eher als willfährige Aburteilung von Aktivistis, um einem Donnerwetter in der Mainstream-Öffentlichkeit vorzubauen. Die Debatte wird beendet, anstatt sie zu eröffnen.

    Ich habe keine besonderen Infos zu dem Vorfall, vielleicht gab es die ja in der „Vollversammlung“. Aber eine öffentliche Erklärung muss ja auch ohne exklusive Hintergrundinfos funktionieren, daher hier meine Kritik zu den drei Argumenten/Spiegelstrichen in der Erklärung:

    1.) [vorherige Information der Besitzerin und Gäste] Wenn ich so eine Feier beobachten würde und sehe, dass sich da mehrere bekannte, organisierte Nazis im halböffentlichen Raum in Göttingen treffen – was ja durchaus ungewöhnlich ist – würde ich sehr misstrauisch. Es liegt nahe anzunehmen, dass da eine rechtsoffene oder schlimmere Party läuft. Bei einer geschlossenen Gesellschaft hätte ich das sofort unterstellt, bei einer ganz öffentlichen eher nicht, bei so einer Veranstaltung käme es darauf an. Falls die Nazis als solche klar erkennbar sind und offen auftreten, würde mir aber schon ein einziger genügen, um das Vertrauen in die VeranstalterInnen zu verlieren. Ich hätte größte Bedenken dann dort reinzugehen und den Platzverweis für die Nazis zu fordern. Zumal man ja auch nicht wissen kann, wie der Rest der Gäste so drauf ist. Der aktuelle Fall bestätigt ja diese Bedenken, denn die offenbar auch anwesenden Rocker darf man (sofern sie diesen weithin bekannten zwei Clubs angehören) wohl getrost als Teil einer gewalt- und rechtsoffenen Gruppierung betrachten. Weil man nicht reingehen will, muss man nicht gleich eine Scheibe und Inventar zerschlagen, man sollte den möglichen Irrtum einplanen und es gibt ja noch viele andere Aktionsformen. Den Anspruch in so einer Situation aber immer zunächst reinzugehen, würde ich nicht erheben.

    2.) [Gefährdung Unbeteiligter] Die Gefährdung Unbeteiligter ist selbstverständlich problematisch. Allerdings kann man Gefährdungen nie ganz ausschließen. Auch ein Latschdemo kann zu einem Auffahrunfall führen oder man verletzt die eigenen Leute mit einem Böller oder provoziert die BFE, welche bei ihrer Prügelattacke dann jemanden umrennt o.ä.. 100%ige Sicherheit für Unbeteiligte kann es nicht geben. So allgemein formuliert ist der zweite Punkt eine Gratiskritik, die immer passt, wenn etwas passiert ist. Man müsste es präziser ausdrücken, z.B. so: „Die Handlung der AktivistInnen hätte unmittelbar zur Verletzung Unbeteiligter führen können.“ _Aber_ ich frage mich schon, ob das wirklich so war. Hat jemand „TäterInnenwissen“ preisgegeben oder als AugenzeugIn/Opfer berichtet? Ich würde erst einmal unterstellen, dass die Aktivistis unbeteiligte Kinder und Erwachsene zumindest nicht gefährden wollten, dass es kein Zufall war, dass dann auch nichts passiert ist. Ich finde es denunziatorisch, gleich drei Mal in so einer Erklärung implizit das Gegenteil zu unterstellen. Und selbst wenn man es weiß, bedeutet diese Aussage, unnötig Stimmung und Material für die Repressionsorgane zu liefern. Das nützt niemand – weder den Gefährdeten, noch der Bewegung, noch hilft es den Lernprozess der Aktivistis voranzutreiben. Dieser zweite Punkt ist – ob wahr oder nicht – eine Aussage zur Sache, die allen Grundsätzen des Repressionsschutzes widerspricht.

    3.) [Ziel nicht erreicht] Der dritte Punkt leuchtet mir nicht ein. Schon mal grundsätzlich nicht, weil die Zielerreichung von tausend Dingen abhängt, die man vor einer Aktion nicht wissen kann. Zudem bin ich der Meinung, dass das Ziel des entschlossenen Entgegentretens in diesem Fall durchaus erreicht wurde. Für mich sieht es so aus, als würde das rudelige Auftauchen der Nazis eine unmittelbare und sehr eindeutige Reaktion erzeugen. Ich denke, dass das die Spielräume der Nazis verengt und das Sicherheitsgefühl der von ihnen bedrohten Leute erhöht. Auch der Markierungscharakter „hier keinen Fußbreit für Nazis“ wird erreicht, meine ich. Es gibt sogar noch einen Kollateral-Erfolg der Aktion: Die Ladenbesitzerin hat sich im GT ablehnend zu Nazis geäußert und damit einen nachvollziehbaren Irrtum (siehe 1.) der Aktivistis offenbart. Ich sehe die Aktion daher als effektiv an, ob sie auch effizient war – also Kosten und Nutzen in einem guten Verhältnis stand – ist eine andere Debatte. Denn man darf sich schon fragen, um welchen Preis das Ziel erreicht wurde, ob es nicht andere Möglichkeiten gegeben hätte etc.. Schließlich wird „die“ Öffentlichkeit solche Aktionen nicht unbedingt begrüßen und „die“ Antifa dafür sicher nicht lieben. Möglicherweise bekommen nun auch die falschen Leute Angst vor AntifaschistInnen, werden aggressiv ihnen gegenüber, verlieren das Vertrauen in den Schutz Unbeteiligter o.ä.

    Also mein Fazit: Der erste Punkt geht mir zu weit, den dritten Punkt teile ich nicht (Zielerreichung) bzw. halte ich für leicht reparabel (Unterstellung), der zweite Punkt ist eine Aussage zur Sache ohne sichere Grundlage, die nur den Repressionsorganen hilft. Die Erklärung ist für mich ein unzulänglicher und nicht zwingend erforderlicher Schnellschuss mit negativen Effekten in die Bewegung und nach außen.

    Vielleicht haben hier Aktivistis einen Fehler gemacht. Aufgrund der üblicherweise doch einigermaßen reflektierten Verhaltensweisen solcherart antifaschistisch aktiver Menschen, würde ich aber zunächst einmal unterstellen, dass sie bereit sind aus Debatten zu lernen und aus Fehlern Konsequenzen zu ziehen. Auf dieser Basis sehe ich eine öffentliche Abrechnung und Entsolidarisierung hier nicht als begründet an. Die „Vollversammlung“ ist zu einem anderen Beschluss gekommen, plausibel begründet hat sie diesen für mich als Nicht-Teilnehmer nicht.

    Mit solidarischen Grüßen

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