Neonazis im thüringischen Eichsfeld

Rote Karte für NPD-„Heimattag“
von am 31. August 2011 veröffentlicht in Neonazis, Soziale Bewegungen

Auf dem Podium der „Villa Lampe“ im thürinigischen Heiligenstadt blickt der SPD-Landtagsabgeordnete Peter Metz versonnen in das Publikum der Veranstaltung „Wie Neonazis den ländlichen Raum erobern wollen“. Leicht grinsend gesteht der SPD-Sprecher für Strategien gegen Rechtsextremismus, in der Landeshauptstadt blicke man etwas neidisch auf das rund 100 Kilometer entfernte Leinefelde im Nordwesten Thüringens. Denn in der knapp 10.000 Einwohner großen Stadt im ländlichen geprägten Eichsfeld regt sich ein außergewöhnlich breiter Widerstand gegen ein Großevent der Neonazi-Szene am 3. September. Zeitgleich zum rechtsextremen „Antikriegstag“ in Dortmund plant der mehrfach vorbestrafte Neonazi Thorsten Heise auf einem alten Sportplatz in Leinefelde einen sog. „Eichsfelder Heimattag“, in der Anmeldung ist von 1.500 Neonazis die Rede.


Flyer des Eichsfelder Bündnis

Seit im Frühjahr 2011 unter anderem der „Störungsmelder“ über Heises Pläne berichtet hatte, diskutierten die Bündnisteilnehmer Gegenstrategien, um „ein klares und entschiedenes Zeichen gegen Nazi-Propaganda“ zu setzen. Unterstützung erhält das Bündnis von der „Mobilen Beratungsstelle in Thüringen“ (MOBIT). Seitdem haben es die Initiatoren geschafft, die demokratischen Parteien und deren Jugendverbände vor Ort ebenso einzubinden wie Initiativen und Einzelpersonen. Für Peter Metz ein Lichtblick in einem Bundesland, in dem die Sozialdemokraten in der Gunst der Erstwählern nur knapp vor der NPD liegen. Bei den Wahlen verfehlte die NPD 2009 zwar mit 4,3% der abgegebenen Stimmen den Einzug in den Landtag, bei den Kommunalwahlen errang die rechtsextreme Partei aber landesweit 24 Sitze in den Parlamenten.

Der Neonazi als netter Nachbar

Eines dieser Mandate fiel auf Thorsten Heise, der mit knapp 3000 Stimmen als NPD-Politiker in den Eichsfelder Kreistag einzog. Dort fiel er anfangs besonders durch Anfragen zur ‚Kostenverursachung‘ durch Ausländer, den monatlichen Kosten für die im Landkreis lebenden Asylbewerber oder zu ermittelten Straftaten von Menschen mit Migrationshintergrund auf. Doch entsprechend der kommunalpolitischen Strategie der NPD beschäftigten sich seine Initiativen auch mit den Folgen des demographischen Wandels, dem Bevölkerungsschwund oder einer geplanten Schulschließung.


Mehrfach vorbestrafter NPD-Politiker Thorsten Heise, Foto: Kai Budler

Das Thüringer Projekt „Nazis in den Parlamenten“ bilanziert, der heute 42-jährigen sei „als Person, als netter Nachbar und als engagierter Vater in der Schule im Ort angekommen“. Seine kommunalpolitische Verankerung vor Ort stärkt er mit der „Eichsfeld-Stimme“, eine von landesweit neun kostenlos verteilten NPD-Regionalzeitungen, die wegen der wenigen Alternativen in der Zeitungslandschaft als medialer Arm für die Partei immer wichtiger werden. Auch dort wirbt er für den „Eichsfelder Heimattag“ als „großes Familienfest“. Eine Form der Agitation, die bereits 2008 ihre Premiere im Eichsfeld hatte: damals hatte die NPD auf einem Kinderfest im Dreiländereck Hessen-Niedersachsen-Thüringen ihre Spitzenkandidaten für die Kommunalwahl vorgestellt.


Thorsten Heise (1.v.l.) auf dem NPD Bundesparteitag 2010, Foto: Kai Budler

Thorsten Heise: Vom FAP-Skinhead zum NPD-Politiker

Für Heise ist Leinefelde auch ein bedeutsamer Ort in seiner politischen Karriere nach dem Umzug aus Northeim bei Göttingen ins thüringische Eichsfelddorf Fretterode. Mit zwei weiteren bundesweit aktiven Kameradschaftsführern war er 2004 in die NPD eingertreten und gab damit den Startschuss für eine stärkere Zusammenarbeit der Kameradschaften mit der NPD. Auf dem NPD-Bundesparteitag in Leinefelde wurde er kurz darauf als Beisitzer und Leiter des „Referats Freie Kameradschaften“ in den Bundesvorstand gewählt. Dem Anlass entsprechend hatte der frühere Funktionär der 1995 verbotenen „Freiheitlichen Arbeiter Partei“ (FAP) seinen obligatorischen Ledermantel gegen einen Anzug getauscht. Noch heute möchte der Gründer der „Kameradschaft Northeim“ so das Bild eines seriösen Politikers und Geschäftsmanns vermitteln. Denn neben seiner politischen Tätigkeit betreibt der mehrfache Familienvater mit seiner Ehefrau von ihrem Wohnsitz in Fretterode aus den „Nordland-Verlag“ und den „W&B“-Versandhandel. Neben rechtsextremer Musik ist dort unter dem Motto „Kampf Aktion und Widerstand“ nahezu alles zu haben, was das Neonazi-Herz begehrt: Bücher und „Edelklamotten“ der einschlägigen Marken finden sich im Sortiment ebenso wie „Germanenspielzeug“ und GSG 9-Ausrüstung wie Handschellen, Schlagstöcker und Tonfas. In dem ehemaligen Altenheim in Fretterode befindet sich jedoch nicht nur der Sitz des lukrativen Neonazi-Versandes, in dem großzügigen Anwesen finden auch immer wieder Veranstaltungen und wöchentlich länderübergreifende „Kameradschaftsabende“ statt. Katja Fiebiger von MOBIT bezeichnet Heise als einen „der wichtigsten Neonazi-Kader auch für Thüringen, der im Kreistag einen Kommunalpolitiker mimt, der kein Wässerchen trüben kann“. Dahinter aber verberge sich „ein führender Neonazi-Kader, der aus den freien Kameradschaften kommt und damit auch Gewaltbereitschaft signalisiert. Das ist auch für die ganze Szene bezeichnend, dass man mit Aktionismus und Gewaltbereitschaft versucht, sich zu vernetzen. Was als biederer Politiker nicht möglich ist, das ist dann die Aufgabe der Kameradschaften“.


Eichsfelder Neonazis am 1. Mai 2010 in Erfurt, Foto: Kai Budler

Die Provinz als Rekrutierungsfeld

Tatsächlich existiert neben der von Heise geprägten NPD im Nordwesten Thüringens eine durchaus virulente Neonaziszene. Bei Aufmärschen zeigen die „Freien Kräfte Eichsfeld“ Flagge, die „Kameradschaft Eichsfeld“ zählt laut Verfassungsschutz in Thüringen zu den landesweit aktiven Gruppierungen der Neonazi-Szene. Veranstaltungen in dem im Nachbarkreis gelegenen NPD-Bürohaus in Bad Langensalza sorgen bei Gelegenheit für die passende Unterhaltung. Mit seinem „Heimattag“ will Heise im Eichsfeld an eine gefährliche Mischung andocken, die aus kommunalpolitischer Verankerung, gewaltbereiten Neonazis mit länderübergreifender Vernetzung und rar gesäten Angeboten für Jugendlichen besteht. Um die unterschiedlichen Interessen der rechtsextremen Erlebniswelt zu bedienen, folgt dem „familienorientierten“ Teil mit Kinderbelustigung, NPD-Rednern und rechtsextremen Liedermachern am 3. September ein Rechtsrockkonzert mit drei bekannten Neonazi-Bands. Neben dem norddeutschen Nazirock-Trio „Words of Anger“ und der 1995 gegründeten Band „Oidoxie“ aus Dortmund soll vor allem „Die Lunikoff Verschwörung“ um den ehemaligen „Landser“-Sänger Michael Regener für Besucher sorgen. Für ihn hatte Heise bereits einen Tribute-Sampler veröffentlicht, bei einer früheren Aufnahme von Landser in Dänemark soll Heise auch persönlich anwesend gewesen sein. Für das Publikum baut der 42-jährige auch auf die Besucher des rechtsextremen „Antikriegstags“ in Dortmund: die Neonazis sollen auf dem Rückweg aus Nordrhein Westfalen Ermäßigungen beim „Heimattag“ erhalten. Auch der NPD in Thüringen kommt die Veranstaltung gelegen, ist sie doch für den schwächelnden Landesverband eine weitere Möglichkeit bei der laufenden „Mitgliederkampagne“ ihr Personal aufzustocken.


Bündnis zeigt Nazis die „rote Karte“, Foto: Kai Budler

Gegenwind für den „Heimattag“

Beim Bündnis der Nazigegner in Leinefelde laufen derweil die Vorbereitungen auf Hochtouren. Flyer und Plakate versprechen die „Rote Karte für den Eichsfelder Heimattag der NPD“, die Kreistagsfraktionen der demokratischen Fraktionen verabschiedeten eine gemeinsame Resolution und im Bündnis arbeiten die höchst unterschiedlichen Partner ungewöhnlich gut zusammen. Neben insgesamt 16 Gegenveranstaltungen ruft das Bündnis unter dem Motto „Kein Sportplatz für Nazis“ zu einer Demonstration mit anschließendem Kulturfest auf, die den Protest auch in Hör- und Sichtweite der Neonazis ermöglichen soll. Solch reges Engagement war in der Stadt im Eichsfeld nicht immer selbstverständlich: als Heise in der Obereichsfeldhalle in Leinefelde in den NPD-Vorstand gewählt worden war, protestierten nur etwa 100 Personen gegen den Bundesparteitag. Auf dem Weg zur Halle hingegen hatten viele Einwohner ihre Fenster aus Furcht vor Gegendemonstranten vernagelt. Im Jahr 2011 will sich Leinefelde den Neonazis gegenüber von einer anderen Seite zeigen. Das Bündnis versteht die Demonstration und das Kulturfest als Absage an eine vermeintlich gefestigte Position des Neonazis Heise in der Gesellschaft, sagt eine Sprecherin und fügt hinzu: „Wenn Heise glaubt, dass es hier keine Gegenwehr gibt, dann ist er auf dem falschen Weg.“

Anm. d. Red.: Dieser Artikel ist zuerst erschienen beim „Störungsmelder“-Blog.

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