"Fristwahrender" Antrag beschlossen

Thema „Zukunftsvertrag“ weiter aktuell
von am 15. Juni 2011 veröffentlicht in Lokalpolitik, Rotstiftmilieu, Titelstory

Äußerst politisch ging es her am Mittwochabend im Rat der Stadt Göttingen: Es wurde über einen Antrag entschieden, der am Ende die Stadt zu radikalen Kürzungen und Steuererhöhungen zwingen könnte. Zunächst war er eigentlich dazu gedacht, die Debatte in Ausführlichkeit nach den Kommunalwahlen im September führen zu können. Nun zwingt er die Ratspolitik zu Stellungnahmen. Bis auf die LINKE stimmten dann alle Fraktionen für die fristwahrende Beantragung der Teilnahme am Spar- und Förderprogramm. Ein Protokoll.

Inzwischen regt sich bei sozialen und kulturellen Initiativen Protest. Schon jetzt sehen sie das Risiko, dass die Stadt sich mit dem eigentlich „unverbindlichen“, lediglich „fristwahrenden“ Antrag zu sehr an zukünftige Sparziele bindet. Vor dem Rathaus hatten daher bereits seit dem späteren Nachmittag Gegner_innen der Teilnahme mit einer Kundgebung auf ihr Anliegen aufmerksam gemacht. Sie sehen vor allem Gefahren für ohnehin benachteiligte Menschen, die auf die öffentliche Förderung ihrer sozialen und kulturellen Belange angewiesen ist. Beispielhaft angeführt wurde die Altenarbeit und die Schulverpflegung sowie die Jugendarbeit, die in Gefahr seien.


Protest vor dem Rathaus

Worum geht es?
Die Stadt zieht in Erwägung, ihre Schuldenlast über einen „Entschuldungsfonds“ zu reduzieren. Um bis zu drei Vierteln ihrer Schulden aus dem Fonds bezahlt zu bekommen, müsste sie über zehn Jahre einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Eigentlich soll die Entscheidung aktuell nur fristwahrend und noch unverbindlich geschehen. Die politische Debatte um eventuelle Kürzungen, die durch die Haushaltskonsolidierung nötig wären, ist jedoch bereits voll entbrannt. Mehr zu den Hintergründen berichtet ein weiterer Artikel.

Betont ruhig eröffnete dann Oberbürgermeister Meyer (SPD) die Debatte um die zusammen- und vorverlegten Tagesordnungspunkte, die sich mit der Teilnahme am sogenannten „Zukunftsvertrag“ beschäftigten. Nach einer Übersicht über die Schuldenlage der Stadt wandte sich Meyer eindringlich dagegen, dass wie von der Fraktion der LINKEn ein Eindruck erweckt würde, dass es möglich sei, schlicht weiter zu wirtschaften, wie bisher. Das Risiko sei unkalkulierbar, die Zinslast immer drückender. Die Teilnahme am Zukunftsvertrag stelle aber immerhin eine Chance dar, sich eines beachtlichen Teils der Schulden zu entledigen. Überdies ginge es aktuell nur um das Offenhalten einer Option – nicht um eine Entscheidung über die Teilnahme. Er verwies auch darauf, dass noch zahlreiche Fragen zu klären seien, dass eine genaue Ausgestaltung einer Teilnahme noch gar nicht klar sei. Als „Theaterdonner“ bezeichnet er die Strategie insbesondere der LINKEn, nun Ängste vor Kürzungen zu schüren. Die Debatte müsse erst noch geführt werden, von der Komplexität der Frage sei weit mehr als nur die „freiwilligen Leistungen“ betroffen, auf die sich derzeit der Protest bezöge.

Patrick Humke (LINKE) – indirekt angesprochen – widmete sich in der Replik dann vor allem der Kritik an den Landesvorgaben. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen erzwüngen geradezu, dass ein ausgeglichener Haushalt nicht möglich sei, wenn die Lebensbedingungen haltbar bleiben sollten. Er warnte vor weitreichende Folgen für „breite Teile der Bevölkerung“. Außerdem sei den Einnahmemöglichkeiten der Stadt mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Unter schwammigem Hinweis auf „Zinsen“ stellte er fest, dass die Profiteure der Politik hier „die Banken“ seien. Solch eine Politik mache die LINKE nicht mit. Die anderen Fraktionen forderte er auf, sich mehr mit alternativen Sparmöglichkeiten zu beschäftigen. Den Verweis darauf, dass die eigentliche Entscheidung der neue Rat nach den Kommunalwahlen träfe, erklärte er für „unehrlich“. Es ginge um einen „Vorratsbeschluss“, der der Stadt die weiteren Verhandlungen ermögliche. Andere Fraktionen sollten sich auch darin engagieren, eine andere Landespolitik durchzusetzen.

Ratsmitglied Frank-Peter Arndt (SPD) wies darauf hin, dass Göttingen mit seiner desolaten Haushaltslage kein Einzelfall sei, dass die Probleme tatsächlich weit verbreitet seien. Auch sei die Haushaltslage nicht auf verschwenderische Kommunalpolitik zurückzuführen. „Neoliberale Technokraten“ in Hannover zwängen zur Konsolidierung und immer weitgehender Privatisierungszwänge. Die Entschuldungshilfe über den Zukunftsvertrag sei insofern ein „unmoralisches Angebot“. Es sei aber, betont er, zumindest zu prüfen. Protest regt sich leise in den Zuschauerbänken, als das ausgesprochen wird. Auch er erlaubt sich einen Ausflug in die Volkswirtschaftslehre: Es sei nämlich nicht unbedingt abgemacht, dass sich zukünftige Generationen damit in der Mehrheit abfinden wird, dass „eine Minderheit von 10% immer reicher wird“. Eine Entschuldungshilfe solle allein das Land tragen – eine Beteiligung der Kommunen daran solle es nicht geben. In Richtung der LINKEn richtete er den Vorwurf, diese würden durch das Schüren unberechtigter Ängste reinen Populismus verbreiten und sich der Verantwortung in der Haushaltspolitik entziehen. Die von der LINKEn publizierte Liste vorgeblich ausgemachter Kürzungsvorschläge entspräche nicht den Vorstellungen der SPD. Er wünschte sich eine „ernste öffentliche Diskussion“ um den städtischen Haushalt, die mit Bürgerbeteiligung stattfinden solle. Wie der Oberbürgermeister betonte er vor allem die Vorläufigkeit der Entscheidung.

Dann redete Wolfgang Thielbörger (FDP): Ohne fremde Hilfe, darin seien sich wohl alle einig, würde die Stadt Göttingen ihre Schulden wohl niemals los. Hier sei nun ein Angebot des Landes – und zumindest die Fristwahrung sei unter diesen Umständen wohl selbstverständlich. Natürlich sei man gespannt, wie es der Stadt gelingen könnte, über zehn Jahre einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Vorweg nahm er bereits eines: Die Einnahmen könnten nicht erhöht werden, alle Bürger wären davon betroffen. Er verwies auf eine schuldenfreie Zeit Göttingens im Jahr 1985/86 – unter einer CDU/FDP-Mehrheit. Als „vollends ungelegte Eier“ bezeichnet er die skizzierten Kürzungsszenarien, die die LINKE verbreitet hatte. „Damit machen Sie nur die Pferde scheu“.

Kommentar

Das Gezeter im Rat, die überall sichtbaren Animositäten und persönliche Anfeindungen – es geht um die politische Glaubwürdigkeit. Die Kommunalwahlen im Nacken gibt es eine weitere Kraft, die in der Debatte um ökonomische Zwangslagen kaum vorkam, aber die für die Tiefe des Grabens zwischen den Fraktionen verantwortlich ist. Grüne und SPD sind empört, von der LINKEn in die Ecke der Kürzungswütigen gestellt zu werden. Und tatsächlich ist die Vorstellung schon ein wenig absurd, dass Kürzungen bereits beschlossene Sache wären. Aber: Es ist auch absurd, Folgen einer Haushaltskonsolidierung schlicht auszublenden.
Natürlich: „fristwahrend“ sei der Antrag. Dem neuen Rat soll er nach den Wahlen alle Möglichkeiten offenhalten. Tatsächlich schiebt man aber dem neuen Rat, der aufgrund des gesetzlichen Fristablaufs eigentlich gar keine Möglichkeit dazu hätte, diese Entscheidung zu. Der Vorwurf, sich hier eines Problems durch Vertagung zu entledigen, um vor den Wahlen keine politische Angriffsfläche zu bieten, ist also berechtigt. Und: Bürgerbeteiligung und eine breite Debatte sind sicher hehre Ziele. Dass diese nicht schon längst passiert ist, muss sich die Stadt aber vorhalten lassen. Freilich: mit dem Ausplaudern von Inhalten nicht-öffentlicher Treffen beim Oberbürgermeister hat die LINKE wohl politische Gepflogenheiten verletzt. Das Gerangel um dort angeblich gemachte oder nicht gemachte Aussagen haben sich aber auch diejenigen zuzuschreiben, die es für nötig halten, Debatten in Hinterzimmer zu verlagern. Die Auseinandersetzungen um die Nutzung des Entschuldungsfonds zeigt das Fehlen einer politischen Kultur – und von politischen Spielräumen. Die Ratsmitglieder jedenfalls präsentieren sich dabei nicht sympathisch.
Der Vorwurf an die LINKE, mit Panikmache vor Kürzungen jetzt auf Wählerstimmenfang zu gehen, ist ebenso berechtigt. Nun ist aber Stimmenfang das tägliche Geschäft aller Fraktionen. Dennoch: auch die LINKE muss sich noch Fragen stellen lassen. Sei es wegen dem unsäglichen Rekurs auf „die Banken“, mit dem pauschal – und politisch problematisch – argumentiert wird. Oder sei es wegen des Vermischens der politischen Ebenen: Bei den Kommunalwahlen wird eben keine Landes- oder Bundespolitik gemacht. Zugleich scheinen sich aber alle einig zu sein, dass Kommunen vom Land zuwenig Zuschüsse bekommen – und deshalb ist auch die Forderung, sich in dieser Debatte ebenfalls zu engagieren, doch berechtigt.

Michael Höfer (Grüne) stellte die Position der Ratsfraktion der Grünen vor. So werde es mit der Fraktion keine Kürzungen wie skizziert in Göttingen geben – jedenfalls nicht ohne große, breite Diskussion. Dafür aber reiche die Zeit bis zu den Kommunalwahlen aber schlicht nicht aus. Er betont, dass eine Entscheidung bereits heute dem zukünftigen Rat nach den Wahlen seiner Entscheidungsmöglichkeiten berauben würde. Denn der neue Rat solle schließlich dann nach weiterer Debatte über die mögliche Teilnahme am Zukunftsvertrag abschließend befinden. Wenn über Einsparungen diskutiert würde, so kündigt er an, dann seien alle Haushaltsposten zu prüfen. Ein Kaputtsparen der sozialen, kulturellen und sportlichen Initiativen und Einrichtungen dürfe es nicht geben. In Richtung der FDP unterstrich er noch einmal, dass die Haushaltslage nicht etwa auf Verschwendung zurückginge. Er wies wie bereits der Oberbürgermeister darauf hin, dass die bestehenden Kredite ein erhebliches Risiko mitbrächten, dass in den kommenden Jahren die aktuell niedrige Zinslast ansteigen könnte. Er regte auch an, möglicherweise dann 2012 eine Bürgerbefragung zum Thema zu veranstalten – räumte aber gleich ein, dass dazu das Thema möglicherweise zu komplex sei. Es gäbe aber auch andere Möglichkeiten, wie Internet-gestützte Beteiligungsformen. Vorweg nahm er bereits die Einschätzung, dass ein ausgeglichener Haushalt wie für die Teilnahme am Zukunftsvertrag nötig nicht allein durch Kürzungen zu stemmen sei.

Brigitte Eiselt (CDU) wies darauf hin, dass die gesetzlichen Vorschriften für Kommunen ohnehin einen ausgeglichenen Haushalt verlangen würden, sofern der denn möglich sei. Seit 1994 habe es keinen ausgeglichenen Haushalt mehr gegeben – es sei mehr Geld ausgegeben worden, als sich die Stadt habe leisten können. Sie unterstrich andererseits die Wichtigkeit der kulturellen und sozialen Einrichtungen, die über „freiwillige Leistungen“ der Stadt gefördert werden. Es ginge nun konkret um ein Angebot des Landes – und darum, dieses dem neuen Rat offen zu halten. Und das Angebot sei keinesfalls ein „unmoralisches“. Sie forderte eine „neue Haushaltsdisziplin“ – und plädierte dafür, dem Oberbürgermeister bei den Verhandlungen mit dem Land nicht „in den Rücken zu fallen“.

Abschließend warf Patrick Humke den anderen Fraktionen vor, keine wirklichen Argumente zu haben. Unehrlich und intransparent sei der Versuch gewesen, die Entscheidung ohne Aufhebens bloß nebenher schnell zu treffen. Er kündigte an, eine Liste eigener Vorschläge zur Haushaltspolitik zu verabschieden. Die Bürgervertretung im Rat dürfe sich jedenfalls nicht von der Verwaltung „das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen“. Unseriös sei es, dass in der Frage von möglichen Kürzungen von Seiten der anderen Fraktionen beschwichtigt würde, wo dies doch eine zwangsläufige Folge sein wird. Den Vorschlag, eine intensive Bürgerbeteiligung vorzunehmen, begrüßte er.

„Langsam auf den Keks“ gingen Oberbürgermeister Meyer die unberechtigten Vorwürfe, die Humke anderen Ratsmitgliedern machen würde. Kurz platzt ihm der Kragen und er fällt ins Oberlehrerhafte, als Humke ihn mit Zwischenrufen auffordert, doch „die Powerpoint-Präsentation“ aus dem Hinterzimmergespräch öffentlich zu machen. Meyer verteidigt dieses Gespräch – und nimmt andere Ratsmitglieder in Schutz: Das Szenario umfangreicher Kürzung hätten sie sich nicht zueigen gemacht, wie von der Fraktion der LINKEn dargestellt. „Hören Sie auf, so ihre Geschichte zu erzählen, sie stimmt so nicht“, richtete er abschließend an Humke.

Jörg Miehe, ein Vertreter vom „Bündnis lebenswertes Göttingen“, wurde dann noch als „sachkundiger Bürger“ gehört. Eindringlich forderte er, dem Antrag nicht zuzustimmen. Er warnte davor, dass die Entschuldungshilfe das strukturelle Haushaltsdefizit eben nicht beseitigen würde. Vielmehr würden die Auseinandersetzungen um den Haushalt absehbar noch schärfer. Er betonte noch einmal, dass in jedem Fall Kürzungen in Höhe von 3,5 Millionen Euro nötig wären, um die Kriterien zu erfüllen. Die Ratsvertreter, so Miehe, seien von den Verhältnissen gezwungen, diese Debatte zu führen. Tatsächlich seien beide Entscheidungsalternativen letztlich eine Sackgasse. Er forderte die Ratsmitglieder auf, zu helfen, das Geld „dort zu holen, wo es sich aufgrund der Politik gesammelt hat“. Das Geld solle im Rahmen der Kommunalen Spitzenverbände vollständig von den Ländern und dem Bund eingefordert werden – und darüber die Schuldenlast getilgt werden. Die Bürger_innen müssten zur politischen Teilhabe an diesen Forderungen schon jetzt, noch vor den Kommunalwahlen aufgefordert werden.

Nach kurzer Pause ging es dann ganz schnell: Alle Fraktionen bis auf die LINKE stimmten für eine fristwahrende Antragstellung zur Teilnahme am Zukunftsvertrag. Umgekehrt erfuhr der Antrag der LINKEn eine Abfuhr aller anderen Fraktionen, die darin aufgefordert worden waren, eine Liste von konkreten Kürzungen und Mehreinnahmen vorzulegen. Die politische Debatte über diese Frage ist damit pünktlich zum Kommunalwahlkampf eröffnet.

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16 Kommentare auf "Thema „Zukunftsvertrag“ weiter aktuell"

  1. Jenny sagt:

    Es war gut, dass so viele Menschen da waren und das Schauspiel im Rat verfolgten! Das lässt hoffen, was die Gegenwehr gegen von „der großen Politik“ verordnete Einschränkungen und Kürzungen angeht.

    Trotzdem muß es noch besser gelingen, die allgemeine Vernebelungstaktik der Politiker_innen zu durchdringen, denn wer kennt sich schon mit den Grössenordnungen aus, um die es hier geht, wer ist schon bereit, die wirklichen Risiken der augenblicklichen Finanzpolitik und deren mögliche Folgen auf „unsere kleine Welt“ herunter zu brechen?

    Einen windigen „Entschuldungsvertrag“ über zehn Jahre ernsthaft diskutieren zu wollen, in der der Zusammenbruch des europäischen Finanzsystems und seine möglichen Folgen schon sehr wahrscheinlich sind?

    Einfach lächerlich!

  2. retmarut sagt:

    „Miel“ heisst jedoch Miehe.
    Jörg Miehes Redetext liegt schriftlich vor, stelle ich gerne als Ergänzung des Beitrags der Redaktion zur Verfügung.

  3. Antiatomico sagt:

    Was für ein Wischi-Waschi-Kommentar … hätte die GöLINKE also das Maul halten sollen, oder was? Und wie naiv ist das denn von wegen „Kürzungen ja noch gar nicht beschlossen“ … was erwartest du denn bitte schön?

  4. Guten Morgen,

    ich bitte Euch darum, Aussagen, die Ihr im Zusammenhang mit meinen Redebeiträgen gemacht habt und vollkommen falsch sind, zu korrigieren:

    1.Ich habe zu keinem Zeitpunkt ‚andere Ratsfraktionen‘ dazu aufgefordert, sich mit alternativen Sparmöglichkeiten zu befassen. Im Gegenteil: Ich habe dazu aufgefordert, dazu beizutragen, sich für andere politische Mehrheiten einzusetzen, die die Rahmenbedingungen für die kommunale Selbstverwaltung derart ändert, dass die finanzielle Ausstattung der Kommunen deutlich verbessert wird, damit sie die umfangreichen Aufgaben überhaupt wahrnehmen kann. DAS werde nicht ohne Änderungen der Rahmenbedingungen der Landes- und Bundesebene möglich sein. Darauf habe ich stets in den HH-DEbatten der letzten 15 Jahre hingewiesen und auf die damit im Zusammenhang stehenden Vorschläge unserer Partei. Dabei habe ich kritisiert, dass die anderen Fraktionen immer so täten, als könne die Stadt ihren finanziellen Probleme von selbst lösen – die bisherigen HH-Beschlüsse hätten das Gegenteil bewiesen und zu einer schleichenden Kürzung der freiwilligen Leistungen geführt.

    2. Ich habe nicht angekündigt eine eigene Liste eigener Vorschläge zur HH-Politik zu verabschieden, sondern habe nach Vorhaltungen von Herrn Arndt (SPD) auf unsere beschlossenen Kommunalwahlprogramme der Wahlperioden 2006-2011 und 2011-2016 verwiesen, in denen unsere umfangreichen Vorstellungen einer alternativen HH-Führung und unsere Vorstellungen zur Änderung der Rahmenbedingungen dargestellt sind. Diese sind im Internet dargestellt.

    Was mich wirklich an Eurer Berichterstattung extrem ärgert ist die Behauptung des ‚Wahlkampfmachens‘! Mich würde in der Tat gerade Eure Reaktion interessieren, wenn ich die Informationen aus dem ‚Hinterzimmergespräch‘ beim OB nicht öffentlich gemacht und somit die öffentliche Debatte erst angeschoben hätte. Dann wäre der Fahrplan der anderen Fraktionen – nämlich eine Beschlussfassung noch vor der Sommerpause herbeizuführen – in handstreichartiger umgesetzt worden. DAS war nämlich der Konsens der anderen Fraktionen und des Bürgermeisters. Wie groß wäre das (berechtigte!!!) Geschrei bei den betroffenen und bei Medien wie Euch erst gewesen? (Ich verweise hier gerne nochmals auf mein Protokoll dieser Geheimsitzung unter http://www.patrick-humke.de)

    Ich kann nur wiederholen: Das Transparentmachen von Informationen und das Einfordern einer öffentlichen Debatte hat nichts mit Wahlkampf zu tun, sondern gehört zu den Grundsätzen LINKER Politik. Letztlich werden wir auch dafür gewählt und entspricht unserer Grundüberzeugung für ein Gläsernes Rathaus. Es ist zudem eine Frage der Glaubwürdigkeit – nicht mehr und nicht weniger.

    Mit solidarischen Grüßen

    Patrick Humke, MdL
    Fraktionsvorsitzender der GöLINKE.

  5. retmarut sagt:

    @ Harvey:
    „Sei es wegen dem unsäglichen Rekurs auf „die Banken“, mit dem pauschal – und politisch problematisch – argumentiert wird.“

    Die Kredite werden bei deutschen Banken aufgenommen, also am privaten Kapitalmarkt. Diese Kredite müssen irgendwann getilgt werden. Wichtiger jedoch: da fallen jedes Jahr Zinsen an, die an diese Banken gezahlt werden. – Was an dieser Aussage ist denn „unsäglicher Rekurs“ und wo wird hier „pauschal“, gar „politisch problematisch“ argumentiert?

  6. Harvey sagt:

    Antiatomico: Sachlichkeit und keine Hysterie.

    retmarut: Danke für den Namen, eigentlich wollte ich ihn ganz rausnehmen, hatte ihn aber einmal noch übersehen. Habe ihn nun (richtig) reingenommen.
    Mit dem unsäglichen Rekurs meine ich, dass immer nur pauschal auf das „Großkapital“ verwiesen wird, dem man endlich das hier benötigte Geld abknöpfen sollte. Die Banken werden immer schnell als die „Bösen“ ins Spiel gebracht. Politisch problematisch, weil ich mir durchaus über strukturellen Antisemitismus meine Gedanken mache bei solchen Gelegenheiten. Zumal nicht differenziert wird. Die von dir erstmal sachlich erwähnten Zinsen werden manchmal eben auch als „böse“, als „ungerechte“ „Bereicherung“ dargestellt.

  7. retmarut sagt:

    Hier die Rede von OB Wolfgang Meyer: http://www.goettinger-tageblatt.de/content/download/852110/13727714/file/OB_Erklaerung.pdf

    OB Wolfgang Meyer stellt darin zu Recht fest:

    „Eine ganz reale Erkenntnis lautet aber auch: Selbst wenn die örtliche Wirtschaft floriert, selbst wenn die Arbeitslosenzahlen sinken, selbst wenn beispielsweise die wissenschaftlichen Einrichtungen in unserer Stadt in erheblichem Umfang neue Beschäftigungsverhältnisse schaffen – selbst wenn alle diese Rahmenbedingungen für Göttinger Verhältnisse top sind, selbst dann schließen wir unseren kommunalen Haushalt mit rund zehn Millionen Euro Minus ab.“

    Das heisst: Selbst bei „florierender“ Wirtschaft schließt die Stadt Göttingen noch mit 10 Mio. EUR Neuverschuldung pro anno ab. (Bei schlechterer Wirtschaftslage eben mit noch mehr Neuverschuldung.)
    Der Schuldenstand beträgt derzeit 197 Mio. EUR an Liquiditätskrediten (also kurzfristigen Krediten, die immer wieder neu aufgenommen werden müssen) und 35 Mio. EUR an langfristigen Krediten, also zusammen derzeit 232 Mio. EUR Kreditschuld, die abgezahlt werden muss.

    Selbst wenn von diesen Schulden jetzt 3/4 vom Land per „Zukunftsvertrag“ übernommen würden, hätte die Stadt Göttingen weiterhin einen Schuldenberg, den sie nicht selbständig abbauen kann, weil die strukturellen Voraussetzungen dafür fehlen. Gleichzeitig müsste die Stadt aber gemäß „Zukunftsvertrag“ an den sog. „freiwilligen Leistungen“ massiv kürzen, d.h. soziale, kulturelle, Sport- und Bildungsprojekte würden massiv ausbluten und etliche Projekte schlicht absaufen. Der Stadtrat selber hätte durch diesen Knebelvertrag (Schuldenbremsen und ähnliche Geschichten sind ja im Standort Deutschland gerade „in“) seine sowieso schon beschnittene Souveränität weitgehend verschachert, Spielräume für politisches Handeln wären damit minimal. So etwas nenne ich Selbstentmächtigung im vorauseilenden Gehorsam.

    Oder wie OB Meyer es formuliert:

    „Da werden in Berlin Gesetze zu Lasten der Kommunen beschlossen, denen das Land Niedersachsen im Bundesrat fröhlich zustimmt.
    Und da werden vom Land Gelder des Bundes vereinnahmt, die nicht an die Kommunen durchgereicht werden.“

    Sollte mensch doch mal fragen, wo denn der Aufschrei seiner SPD (aber auch der Grünen, CDU und FDP) bleibt, wenn diese Parteien und Fraktionen auf Landes- und Bundesebene solcherlei Treiben „fröhlich zustimmen“. Schließlich waren es Rot-Grün und Schwarz-Gelb, die im Bund und im Land dafür gesorgt haben, dass die Kommunen strukturell unterfinanziert werden.
    Wo haben denn SPD-Grüne-CDU-FDP auf Landes- oder Bundesebene, wenn sie selbst am Ruder waren, etwas für die Stärkung der Kommunalfinanzen getan?
    Wenn die wirklich etwas ändern wollen, sollten sie mal in ihrem eigenen Laden anfangen und ihre Abgeordneten sowie ihre Parteistrukturen auffordern, sich für eine strukturelle Verbesserung der Kommunalfinanzen stark zu machen. Beispielsweise indem die kommenden Steuergewinne auf Bundesebene (laut offizieller Steuerschätzung: 2011: 17,6 Mrd. EUR, 2012: 21,4 Mrd. EUR, 2013: 47,3 Mrd. EUR, 2014: 49,0 Mrd. EUR, zusammen immerhin über 135 Mrd. EUR) zur Schuldentilgung der Kommunen genutzt werden. Aber bei solchen und ähnlichen Anträgen im Bundestag steht dann wieder die Front der ganz großen Koalition aus SPD-Grüne-CDU-FDP geschlossen dagegen.

  8. retmarut sagt:

    @ Harvey: Natürlich gibt es auch platten, kleinbürgerlichen Antikapitalismus, wo sich das „eigene“ (hier: deutsche) Kapital als das gute und das übrige dann als das böse und zinswuchernde herbeihalluziniert wird (im deutschen Diskurs dann wahlweise als „Geldjude“ oder „US-amerikanische Heuschrecken“ tituliert). Das hat ja im (historisch zuspätgekommen) bürgerlichen Deutschland eine lange, unrühmliche Tradition.
    Gegen solch verkürzten Antikapitalismus (der im Grund ja gar kein Antikapitalismus ist, sondern Rechtfertigungslogik für die heimische Bourgeoisie, wodurch die Grundlage des kapitalistischen Systems nicht in Frage gestellt wird) ist es natürlich notwendig, argumentativ vorzugehen. – Aber das kann ja im Gegenzug wiederum nicht heißen, Banken (und hier handelt es sich übrigens vorwiegend um deutsche Großbanken) jetzt nicht mehr als Akteure zu benennen. Das wäre dann ein ebenso verkürztes Kapitalismusverständnis, welches zudem den aggressiven deutschen Imperialismus verschleiert und verharmlost.

    Es handelt sich eben auch nicht um „Großkapital“, sondern (wie Lenin schon feststellte) um Monopolkapital, also den (zwangsläufigen) Zusammenschluss von Finanz- und Industriekapital in der imperialistischen Phase des Kapitalismus.

    Die ökonomischen Auswirkungen des nach 1990 erstarkten deutschen Imperialismus sehen wir heute, wenn wir uns die wirtschaftliche Durchdringung seines Hinterhofs (Mittel-Ost- sowie Südosteuropa) anschauen, aber auch z.B. im aktuellen Fall Griechenland und offene politische Attacken auf den „Partner“ Frankreich. Über die militärische Komponente des deutschen Imperialismus, der schon zwei Weltkriege vom Zaun gebrochen hat und auch derzeit (v.a. Afghanistan) wieder fröhlich militärisch mitmischt, muss hier ja nicht gesondert hingewiesen werden.

  9. Harvey sagt:

    Patrick: Ich werde den Artikel nicht wesentlich ändern, die Aussagen wurden während der Rede mitgeschrieben. Zu 1.: das ist kein entweder-oder, du hast beides gemacht, also aufgefordert „auch mal woanders zu schauen, wo Geld herkommt“ (platt gesagt, aber ich habe während der Rede mitgeschrieben) *und* freilich auch aufgefordert, sich für andere politische Rahmenverhältnisse zu engagieren. Das steht auch oben im Text. Du kommst da ja 2x drin vor. Zu 2.: Ah, OK. Leicht angepasst im Text.

    Zur Transparenz: Wunderbar, prima, und ja, dafür werdet ihr wohl gewählt. Gute und wichtige Leistung. Aber das, was du nicht erwähnst, nämlich das Fingerzeigen auf die SPD und Grüne, das verbuche ich unter „Wahlkampf“. Du reitest schon eine ziemliche Attacke. Wie oben aber gesagt – aus politischer Sicht ist das ja nun aber im Wettstreit der Parteien nicht unbedingt etwas besonderes. Ich möchte mich ja nun wirklich nicht zum Verteidiger der anderen Parteien aufschwingen – aber auch die LINKE ist halt eine.

    retmarut: wichtige Beiträge, ja. Aber bezüglich der Kapitalismuskritik in einer Debatte im Rat der Stadt Göttingen kaum diskutierbar – und letztlich auch nur (zu) sehr oberflächlich passiert. Hatte dort eher den Charakter eines identitären „ceterum censeo“.

  10. A.M.P. sagt:

    Sind hier alle zu heiß gebadet worden? Harvey sinniert über „strukturellen Antisemitismus“, sobald er/sie das Wort Bank hört und retmarut kommt mit den klassischen Stamokap-Imperialismus-Theorien um die Ecke, die eben nicht erklären konnten und können, warum der „faulende Kapitalismus“, in seiner notwendig letzten Phase stecke und vor allem, warum dieser nach wie vor die Vergesellschaftung bestimmt.
    @retmarut: Wo siehst du denn bitte Monopolkapital am werkeln? Das grundsätzlich keine Zirkulationssphäre ohne Produktionssphäre existiseren kann, sollte doch klar sein. Und, an der Stelle würde ich ja Lenin sogar Recht geben, wenn er sagt, dass sich die Zentralisation und Konzentration des Kapital vollzieht. Aber daraus abzuleiten, dass es keine Konkurrenz der Kapitale und Kapitalfraktionen gebe, ist in Bezug auf die Krise seit 2008 mehr als naiv. Denn hätten Bankhäuser etc. ein Monopol, hätten sie auch nicht durch staatliche Maßnahmen gestützt werden müssen. Was Banken primär dort gehandelt haben, war fiktives Kapital – Ansprüche auf die Wahrscheinlichkeit von noch nicht realisierten Profite aus der Produktion, welche wiederum verbrieft wurden etc. Sich den Staat auch einfach aus diesem behaupteten Monopol abzuleiten, als Interessensträger und kriegslüsterner Raubritter im Namen dieses Monopols geht auch hart an der Realität vorbei. In einem hast du allerdings, den Nagel auf den Kopf getroffen. Nämlich, dass die militärische, geostrategische Ausrichtung Deutschlands und seine Außenpolitik einen zunehmenden Dominanzanspruch hegt.

    Aber, den Nationalsozialismus und die industriell organisierte Vernichtung von Jüdinnen und Juden, als imperialistischen Akt zu relativieren, lässt mich an deiner Geisteshaltung doch sehr zweifeln.

    Ach ja, hätte ich fast vergessen: Verkürzten Antikapitalismus, nicht als Kapitalismuskritik werten zu wollen und damit ernst zu nehmen, verschleiert den immanenten Zusammenhang der Forderung, dass der souveräne Staat die Gefahren der Weltmarktkonkurrenz zugunsten der eigenen Nation auflösen soll und die Vorstellung dessen, wie Kritik am Kapitalismus in dieser Gesellschaft formuliert wird. Nämlich nur als reines Distributionsverhältnis in dem es Sieger und Verlierer gibt und die Sieger die „Bösen“ seien gegen die nur angegangen werden müsse und dann ist alles gut.

    Das reicht erst mal…

  11. Harvey sagt:

    Ach, ich wusste gleich, ich hätte es mal im abstrakten lassen sollen. Mea Culpa. War wirklich nur ein sehr oberflächliches „Sinnieren“. Und wirklich extrem ungeeignet für dieses Diskussionsformat.

  12. retmarut sagt:

    @ A.M.P.: „Aber daraus abzuleiten, dass es keine Konkurrenz der Kapitale und Kapitalfraktionen gebe, ist in Bezug auf die Krise seit 2008 mehr als naiv.“

    Das wäre in der Tat naiv. Aber weder Lenin noch ich haben behauptet, es gäbe keine Konkurrenz unter den nationalen Kapitalfraktionen mehr.
    Wenn Du Dir mal die aktuelle Auseinandersetzung um die Euro-Zone und den Libyeneinsatz anschaust, siehst Du sehr gut, dass da innerhalb der Bourgeoisie nicht eitel Sonnenschein herrscht, sondern zwei große Kapitalfraktionen um die einzuschlagende Linie ringen. Die einen wollen weiterhin im (zeitweiligen) Bündnis mit einem anderen Imperialismus (sog. Transatlantiker_innen und Anhänger_innen eines deutsch-französischen Kerneuropa) vorgehen, die anderen setzen mittlerweile auf einen schrittweisen deutschen Alleingang, weil sie sich wirtschaftlich und militärisch entsprechend stark aufgestellt wähnen. – Übrigens die beiden klassischen Europastrategien des deutschen Imperialismus. Erstere war traditionell immer dann an der Reihe, solange der eigene Handlungsrahmen noch beschränkt war (Versailler Vertrag, Potsdamer Abkommen und antikommunistische Systemkonfrontation), die zweite geht von einer derartigen erreichten Stärke aus, dass ein Alleingang wieder möglich ist (1914, 1933).

    „Aber, den Nationalsozialismus und die industriell organisierte Vernichtung von Jüdinnen und Juden, als imperialistischen Akt zu relativieren, lässt mich an deiner Geisteshaltung doch sehr zweifeln.“

    Ich sehe es eher andersherum: Den deutschen Faschismus allein auf die Shoa zu fokussieren oder ausschließlich darauf zu begrenzen, verschleiert die eigentlich dahinterliegende Gefährlichkeit und die immanenten Triebkräfte des deutschen Imperialismus. Da wir ja demnächst den 70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion (22.06.1941) vor uns haben, sei nur kurz angemerkt, dass allein der Vernichtungskrieg gegen die SU (gegen das „jüdisch-bolschewistische Regime“, wie es im Nazi-Jargon hieß) über 27 Mio. Sowjetbürger_innen das Leben gekostet hat, darunter über 2 Mio. Juden und Jüdinnen.
    Wer sich ein bisschen mit der Wirtschaftsstrategie im Kaiserreich, der Weimarer Republik und im Faschismus auseinandersetzt, wird ganz schnell auf den zentralen Begriff deutscher Großwirtschaftsraum stoßen, also die Eroberung und Einverleibung weiter Teile Südost- und Mittelost-Europas. Neben der Ermordung der jüdischen Bevölkerung sowie der Sinti und Roma sahen die Planungen während des Faschismus für diesen Raubkrieg vor, große Teile der slawischen Bevölkerung ebenfalls zu ermorden, den Rest als „Untermenschen“ in elenden Zwangsarbeitsverhältnissen zu halten.
    Der deutsche Faschismus umfasst in seiner strategischen Ausrichtung die Massenvernichtung von Menschengruppen mittels offen antisemitischer und rassistischer Begründung sowie das Streben nach wirtschaftlicher (und militärischer) Hegemonie in Europa durch militärische Aneignung eines Hinterhofs in Osteuropa und auf dem Balkan. Ohne diese strategische Ausrichtung des deutschen Imperialismus gen Osten hätte es keine entsprechenden Raub- und Vernichtungskriege gegeben und auch keine derartige quasi industrielle Massenvernichtung wie die Shoa. Bezeichnenderweise war es ja erst der Überfall auf die Sowjetunion, der im Sommer und Herbst 1941 die breitangelegten Massenermordungen und den Aufbau von Vernichtungslagern ermöglichte. Diese Dinge gehen also durchaus Hand in Hand.

    Verkürzten Antikapitalismus nehme ich in der Tat als Gefahr ernst, denn hier besteht ein relativ breites Einfallstor, durch das kleinbürgerliche Ideologie in linke Diskurse hineinschwappt. Mensch denke nur an das „Heuschrecken“-Geschwafel, das ja bis weit in gewerkschaftliche und sozialistische Kreise reicht. (Dass die BRD weitaus mehr Kapitalexport in die USA betreibt als andersherum, sei hier nur am Rande erwähnt. Die „Heuschrecke“, um dieses absurde Bild mal aufzugreifen, schwärmt nämlich maßgeblich auch von deutschen Konzernzentralen in alle Welt aus.)

    Ich glaube, wir sind in wesentlichen Punkten recht nah beieinander, A.M.P., bei anderen (ich vermute mal u.a. bei der Klassenanalyse und sich daraus ableitenden Erkenntnissen) sicher aufgrund unterschiedlicher theoretischer Herangehensweise eher weiter entfernt.

    Vielleicht kann dies – statt hier im Monsters-Kommentarbereich – mal in einer gemeinsamen internen oder öffentlichen Diskussionsveranstaltung vertieft werden. Ich stehe dafür jedenfalls zur Verfügung.

  13. retmarut sagt:

    Hier der Redebeitrag des Vertreters des Bündnisses Lebenswertes Göttingen in der Ratssitzung:

    Ein Rettungsschirm für die Kommunen – statt eines Vertrages ohne Zukunft
    Stellungnahme von Jörg Miehe, geladen als „fachkundiger Bürger“ in der Ratssitzung vom 15.6.11 zum TOP Zukunftsvertrag.

    Sehr geehrte Mitglieder des Rates, werte Anwesende!
    Ich danke für das Rederecht vor dem Rat zum Tagesordnungspunkt: Zukunftsvertrag …. Dank auch für dessen Beantragung durch die Fraktion der Göttinger Linke.
    Ich bin vom Bündnis Lebenswertes Göttingen und weiteren Organisationen gebeten worden, zum aufgerufenen TOP Stellung zu nehmen.
    (Beschlussvorschlag: Zukunftsvertrag mit dem Land Niedersachsen; Antrag auf Entschuldungshilfe zur Fristwahrung; Die Antragstellung erfolgt fristwahrend und für die Stadt Göttingen unverbindlich.)
    Ich darf mich kurz vorstellen:
    Mein Name ist Jörg Miehe und ich bin seit 1962 Bürger dieses netten Städtchens, seit ich angefangen habe, mein Studium an der hiesigen Uni fortzusetzen. Ich bin weder beruflich noch geschäftlich mit den genannten Organisationen verbunden und habe auch sonst keine politischen Ämter.
    Mein Appell und die Forderung des Bündnisses an Sie lauten heute:
    Stimmen sie dem vorliegenden Beschlussantrag nicht zu! – Beauftragen Sie den OB nicht mit der Aufnahme von Verhandlungen mit der Landesregierung um einen sog. Zukunftsvertrag!
    Die sehr kurze Begründung dazu lautet:
    Ein Zukunftsvertrag der Stadt mit dem Land nach § 14 a-e des Nieds. Finanz-Ausgleichsgesetzes (NFAG), würde das strukturelle Defizit der Stadt von weit über 10 Millionen jährlich, nicht beseitigen; das Land würde dafür keine müde Mark zusätzlich heraus rücken. Die jährliche Hängepartie mit dem Haushalt, das jährliche Gerangel und Geschacher, wem man mehr streichen kann, weil er weniger laut schreit, würde noch verstärkt werden. Die Ausübung der Gemeinde-Autonomie nach Artikel 28,2 Grundgesetz würde weiterhin in der Selbstamputation der Gemeinde bestehen – so wie es schon heute in erheblicher Weise der Fall ist.
    Wenn das Land maximal 75 Prozent der Kassenkredite übernähme, was sehr zu bezweifeln ist, ergäbe sich eine Ersparnis von etwa 3,75 Millionen der bisherigen laufenden Zinskosten für den Haushalt.
    Dem stünde die freiwillig und leichtfertig eingegangene Verpflichtung gegenüber, natürlich unter dem Druck der Verhältnisse, ab 2013 zehn Jahre lang einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. D.h., die Ausgaben der Stadt wären um jeweils mehr als 3,5 Millionen zu kürzen. Für den Rest der nicht getilgten Kassenkredite und der sonstigen Verschuldung müssten aber weiterhin Zinsen und irgendwann auch Tilgungen gezahlt werden.
    Das Strukturelle Defizit des Haushaltes bestünde weiter, es wäre jetzt nur als Kröte durch die Stadt heruntergeschluckt worden, konkret in der weiteren Vernachlässigung der Infrastruktur, in der Erdrosselung von sozialen, kulturellen und vielen anderen Aktivitäten.
    Aus einer noch immer lebenswerten Stadt würde dieser Rat mit der Zustimmung zu einem Zukunftsvertrag ein Abrissunternehmen im Auftrag des Landes machen. Der Zukunftsvertrag schreibt die schlechte Vergangenheit und Gegenwart fort – mit ihm gibt es kein Licht am Ende des Tunnels – der Tunnel würde nur noch länger werden!!
    Die peinliche Vorgeschichte der heutigen Sitzung und Beschlussvorlage, dass der OB und die Mehrheit des Rates den ganzen Vorgang offenbar am liebsten an den Wählern und der Öffentlichkeit vorbei jongliert hätten – bis nach der Kommunalwahl, will ich nicht weiter skandalisieren, das haben andere schon hinreichend getan -jetzt geht es um konstruktive Auswege aus der schon jahrelang verfahrenen Situation der Kommunalfinanzen – nicht nur in Göttingen.
    In diesem Sinne haben SPD und Grüne am 10. Okt 2010 eine Resolution vorgelegt, in der es heißt: (Ich darf zitieren)
    „ Göttingen befindet sich – wie andere Kommunen – in einer finanziellen Abwärtsspirale, die ihre wesentliche Ursache in einer strukturellen Unterfinanzierung hat und durch Maßnahmen der Haushaltskonsolidierung nicht aufgefangen werden kann….
    Wenn die Bundesregierung die Kommunen weiterhin herunterwirtschaftet, zwingt sie den Rat die Stadt kaputt zu sparen und nimmt der kommunalen Selbstverwaltung ihre Existenzgrundlage!“
    Das bezog sich vor allem auf die Belastungen durch zusätzliche Sozialaufwendungen, die der Bund den Kommunen auferlegt hat.
    Weiter heißt es:
    „In Übereinstimmung mit den Forderungen des Deutschen Städtetags auf der Grundlage des Gemeindefinanzberichtes 2010 fordert der Rat der Stadt die Bundes- und Landesregierung insbesondere auf, – die Steuersenkungen der letzten Jahre zu Lasten unserer Kommune durch eine gerechte Besteuerung von Einkommen und Vermögen zu kompensieren,… „
    Dann folgt eine Reihe mehr oder weniger triftiger Vorschläge zur Erhöhung der Steuereinnahmen. Und als Schluss heißt es wiederum ganz richtig:
    „ Der Rat der Stadt stellt diese Forderungen zu einer auskömmlichen Finanzausstattung auch im Namen der vielen Organisationen und Einrichtungen, die für das soziale und kulturelle Leben in Göttingen einen wichtigen Beitrag leisten und deren Existenz durch die strukturelle Unterfinanzierung der Stadt bedroht ist. „
    Danach wird dann die erstaunliche Einsicht formuliert:
    „Geld zur Stärkung der Kommunen fehlt in unserer Gesellschaft nur deshalb, weil dem Staat der Mut und Wille fehlt, Vermögende stärker in die Verantwortung zu nehmen.“
    Zunächst muss man wohl sagen, dass in unserer Gesellschaft das Geld für die Stärkung der Kommunen sehr wohl vorhanden ist – es wird nur unproduktiv verschwendet.
    Diese 4,6 Billionen, – Sie wissen, die mit den 12 Nullen, im Privatbesitz deutscher Staatsbürger, wird von seinen Eigentümern u.a. lieber in die Finanzspekulation, z.B. von Banken und Hedgefonds eingespeist – was uns die Finanz- und anschließend die Wirtschaftskrise eingebrockt hat, und diesen dann ihre Rettung durch Hunderte Milliarden Sicherungskredite bescherte.
    Zurück zur Diagnose: Wer aber war und wer ist der Staat, dem der Mut und der Wille fehlen, den Reichen ans Vermögen zu gehen?
    Die Handelnden sind bekannt:
    Es sind die Mehrheiten der Parlamente, also die Abgeordneten der Koalitionen, die die jeweiligen Regierungen getragen haben und noch tragen, im Bundestag, in den Ländern und zusammen dann im Bundesrat zur Absegnung der Projekte dieser etwas unheimlichen, ganz großen Koalition.
    Die drei letzten Bundesregierungen sind mit ihren unsäglichen Steuersenkungen auf der Welle neoliberaler Begeisterung der Privatisierung für die Begüterten, hauptsächlich verantwortlich für die Misere der Kommunalfinanzen und auch für den Absturz der sozialen Verhältnisse, die in den Kommunen dann verarztet und repariert werden müssen.
    Es ist nicht der ferne Staat in den Ländern und im Bund, ein etwas undurchsichtiger ministerieller Apparat, sondern es sind die von den Bürgern gewählten Vertreter des Volkes aus Ihren eigenen Parteien, die diese Misere zugelassen oder gar mit herbeigeführt haben.
    Der Mut und der Wille fehlen also nicht einem anonymen Staatsapparat – fehlen diese nicht vielmehr Ihren politischen Kollegen und vielleicht auch Ihnen selbst? – Denn: Wählen Sie nicht Ihre Kandidaten, Gremien und Vorsitzenden und beschließen Sie nicht Ihre Regierungs- und Parteiprogramme mit?
    Der Mut fehlt Ihnen, wenn sie zahnlose Resolutionen verfassen und an die Landes- und die Bundesregierung versenden – die doch gerade die Misere angerichtet haben.
    Allerdings haben Sie dann doch den Willen zur folgsamen und ordentlichen Durchführung der inhaltlichen und finanziellen Vorgaben aus Land und Bund.
    Statt also mit einem angeblichen Zukunftsvertrag die Augenwischerei und das Schwarze-Peter-Spiel mit den Kommunalfinanzen eine Runde weiter zu treiben, fordere ich, fordern wir den Rat der Stadt Göttingen auf, – seine Mitglieder und seine Fraktionen, nicht vor allem Buße für ihre politischen Sünden und die ihrer Parteikollegen zu tun, sondern endlich eine andere Richtung des politischen Handelns einzuschlagen:
    Sie müssen jetzt helfen das Geld durch Steuern dort holen, wo es sich dank der Politik in den vergangenen Jahren, den Regierungen und Koalitionen angesammelt hat!
    Und Sie müssen es für die Sanierung der Verhältnisse in den Kommunen ausgeben.
    Dazu bietet Ihnen die aktuelle steuerpolitische Situation eine einmalige Chance: Der unzuverlässige Gott der kapitalistischen Konjunktur hat ein goldenes Ei in das Prognosenest gelegt – wir brauchen also nicht abzuwarten, bis die knirschenden Mühlen einer Föderalen Finanzreform und Steuergesetzgebung evt. wieder nur ein Mäuschen gebären: Laut Handelsblatt vom 01.06.11 hat die neueste offizielle Steuerschätzung bis einschließlich 2014 ein zusätzliches Steuervolumen von sage und schreibe
    2011: 17,6 Mrd.
    2012: 21,4 Mrd
    2013: 47,3 Mrd.
    2014: 49,0 Mrd.
    insgesamt also 135 Mrd. Euro ergeben.
    Bevor sich nun alle Haushälter und Finanzminister darauf stürzen und Pläne machen, wie sie diese Mittel in den vorgegebenen Bahnen der Mittelverteilung einsetzen, um die idiotische, neoliberale Schuldenbremse im Grundgesetz zu bedienen – seien Sie einmal schnell, seien Sie einmal mutig, seien Sie politisch und handeln Sie im Interesse Ihrer Wähler und dem der öffentlichen Angelegenheiten.
    Fordern Sie – mit den Kommunen und deren Spitzenverbänden – diese gewaltige Summe sofort und vollständig für die unmittelbare Beseitigung der Kassenkredite der Gebietskörperschaften (etwa 40 Mrd.) und den Rest für den jährlichen Ausgleich der strukturellen Defizite der Kommunen bis zu dem Zeitpunkt, an dem endlich eine soziale und demokratische föderale Finanzreform und Steuergesetzgebung durchgesetzt sind.
    Nun wissen wir ebenso wie Sie, dass ein lauter Aufschrei im Rat der Stadt Göttingen und in den Göttinger Parteigremien die Republik nicht zum Umdenken oder gar zu einem anderen Handeln bringt – aber man wird doch Hoffen dürfen, dass dazu kein soziales oder ökonomisches Fukushima erforderlich sein wird.
    Eine Art politisches Erdbeben müssen wir und müssen Sie allerdings in Gang bringen, um dem Elend der Kommunalfinanzen, das auch ein soziales und eines der Demokratie ist, endlich ein positives Ende zu setzen:
    Entwerfen und beschließen Sie also mit uns zusammen einen Aktionsplan für den Rat und seine zustimmenden Fraktionen, für den OB und die Verwaltung, und für die aktionswilligen Bürger und Organisationen der Stadt, wie Göttingen die Schwesterkommunen und Körperschaften in Niedersachsen und die im sonstigen Bundesgebiet von dem obigen finanziellen Sofortplan überzeugen können.
    Wenn sie das aber nicht wollen, weil sie eine andere Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik bevorzugen, oder weil Ihnen der politische Mut und der Wille dazu fehlen, Sie stattdessen mit der Zustimmung zum Antrag für einen Zukunftsvertrag das Schwarze-Peter-Spiel weiter spielen wollen, dann sollten sie bei den Kommunalwahlen im September offen für die Kürzungen in den künftigen Haushalten der Stadt Göttingen und die Beibehaltung der sozialen Schieflage eintreten.
    Dann allerdings werden Sie sich bei der kommenden Kommunalwahl als nicht wählbar erweisen.
    Und wir werden die Wähler schon heute auf diese entscheidende kommunal- und bundespolitische Weichenstellung aufmerksam machen.
    Und wir werden Ihnen in die Programme, in Ihre Reden und auf ihre Handlungen schauen – und das den Wählern zur Kenntnis bringen.
    Sie müssen also ihre eigenen Parteien, Abgeordneten und Regierungen für eine neue soziale und demokratische Politik gewinnen – sie müssen Ihren Wahlkampf endlich in Ihren eigenen Reihen führen.
    Damit Sie dies nicht vergessen,
    haben die Initiativen vor dem Rathaus einen symbolischen Rettungsschirm aufgespannt.
    Und deshalb hängen daran so viele Projekte, die im Moment nur wissen, dass sie zur Zeit in der Luft hängen wegen der ungeklärten Perspektive der Finanzierung.
    Bisher müssen sie befürchten, dass sich ihre Arbeit und ihre Projekte schlimmstenfalls in Luft auflösen, wenn die Förderungen wegfallen oder drastisch beschnitten werden sollten – was mit einem Zukunftsvertrag zu befürchten steht.
    Heute haben zunächst Sie die Wahl – die Bürger werden sie in ein paar Monaten haben.
    Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
    Jörg Miehe

  14. Harvey sagt:

    Wobei ich anmerken möchte, dass der wiederum nicht in voller Länge gehalten wurde.

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