Reaktionen auf Amnesty-Studie zu Polizeigewalt

Göttinger Reaktionen auf Studie zu Polizeigewalt
von am 23. Juli 2010 veröffentlicht in Hintergrund, Politik, Polizei & Justiz, Titelstory

Göttingens Polizeipräsident Robert Kruse bezieht Stellung zu einer Studie zu Polizeigewalt von Amnesty International. Die Polizei habe die Lage „im Griff“, die Forderungen der Menschenrechtsorganisation seien bereits erfüllt. „Erstaunliche Parallelen“ zu Fällen aus Göttingen will hingegen Rechtsanwalt Johannes Hentschel in der Amnesty-Studie entdeckt haben. Amnesty fordert unter anderem eine unabhängige Ermittlungsinstanz bei Polizeiübergriffen und eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen.

„Es heißt häufig: Täter unbekannt, wenn Polizisten wegen übermäßiger Gewaltanwendung oder Misshandlung zur Rechenschaft gezogen werden sollen“, sagte Amnesty-Deutschland-Generalsekretärin Monika Lüke anläßlich der Vorstellung der Studie. Systematische Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei gebe es in Deutschland nicht, dennoch gebe es strukturelle Probleme. „Ein gewisser Corps-Geist, das heißt ein missverstandenes Wir-Gefühl führt dazu, dass Polizisten sich häufig decken und dadurch Rechtsverletzungen, ja man muss sagen: Menschenrechtsverletzungen, kaschieren“, so Lüke. Zudem werde bei Vorwürfen gegen die Polizei nicht umfassend ermittelt, Beweismittel verschwänden und die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft seien in solchen Fällen auch nicht unvoreingenommen, berichtet Lüke. Und das sei auch kein Wunder, schließlich ermittele keine Institution gerne gegen sich selbst.

Amnesty International hat daher vier Forderungen aufgestellt. Unabhängige Untersuchungskommissionen sollen eingeführt werden, Polizeibeamte sollen durch Kennzeichen identifizierbar werden, Polizeistationen sollen Videoüberwacht werden und Menschenrechtsbildung soll Bestandteil der Polizeiaus- und Weiterbildung werden. „Unterm Strich führen doch unsere Forderungen zu einer Win-Win-Situation“, meint Amnesty-Chefin Lüke. „Die Verantwortung der Polizei wird gestärkt, die Opfer erhalten Aufklärung und die Polizei wird vor unberechtigten Vorwürfen geschützt. Vor Allem aber gewinnen die Menschenrechte.“

Kruse gegen Amnesty

Göttingens Polizeipräsident Robert Kruse hat die Forderungen von Amnesty gegenüber dem StadtRadio zurück gewiesen. Zwar gebe es auch in der Polizeidirektion Göttingen Straftäter*innen in Reihen der Polizei, das Problem habe die Behörde aber „im Griff“, so Kruse im Radio. Die Forderungen von Amnesty International hält er für bereits erfüllt: die Staatsanwaltschaft sei eine unabhängige Ermittlungsbehörde, darüber hinaus gebe es freie Presse und parlamentarische Kontrolle, die Fehltritte verhinderten.

Auch von einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen hält Kruse nichts. Die Erkennbarkeit von Polizeibeamten sei auch ohne eine Pflicht zur Kennzeichnung gegeben, zitiert ihn das StadtRadio. Namensschilder brächten die Polizist*innen in Gefahr, Nummernschilder hingegen seien zu anonym, Polizist*innen keine bloßen Nummern.

Amnesty International hat mittlerweile auf Kruses Äußerungen reagiert. „Die Staatsanwaltschaft bedient sich in ihren Ermittlungen der Polizei als Ermittlungsbehörde und ist daher keineswegs unabhängig“, schreibt die Menschenrechtsorganisation. Die Staatsanwaltschaft entscheide in der Regel aufgrund der Ermittlungsergebnisse der Polizei darüber, ob sie Anklage erheben will oder das Ermittlungsverfahren einstellen möchte. Amnesty International habe festgestellt, „dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren gegen Polizisten sehr schnell einstellt.“

Auch die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht bekräftigte Amnesty. Viele Fälle mutmaßlicher Polizeigewalt könnten mangels Identifikationsmöglichkeit nicht aufgeklärt werden. „Insbesondere die Identifizierung von Polizisten, die in geschlossenen Einheiten tätig sind, in denen sie eine Schutzuniform und einen Helm tragen, gestaltet sich als schwierig“, so die Organisation.

Göttinger Parallelen

„Wenn ich mir die Studie von Amnesty International durchlese, sehe ich doch erstaunliche Parallelen zu Fällen hier aus Göttingen, mit denen ich selber zu tun hatte“, sagt Rechtsanwalt Johannes Hentschel. Als Beispiel nennt er einen Fall aus dem Jahr 2004. „Unser Mandant wird bei einer Demonstration von einem Beamten ins Gesicht geschlagen, das ist natürlich schmerzhaft und dann fällt seine Brille noch zu Boden und der Beamte tritt gezielt auf diese Brille noch drauf.“ Trotz Zeugenaussagen sei das Verfahren eingestellt worden, berichtet Hentschel. Zudem sei der schlagende Beamte nicht zu identifizieren gewesen. Ein Beispiel dafür, dass eine Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten dringend notwendig sei, so Hentschel. Der Anwalt berichtet von Teamgeist unter den Polizisten, die sich oft gegenseitig decken würden und vermisst auch bei der Staatsanwaltschaft die nötige Neutralität: oftmals ermittele diese nicht von Amts wegen gegen Straftäter in Uniform.

Ähnliche Vorwürfe hatte im Frühjahr die Initiative für gesellschaftliches Engagement. Gegen Kriminalisierung und politische Justiz. erhoben. Auch, wenn die von der Initiative bemängelten Zustände einen anderen Schwerpunkt als die Amnesty-Studie haben, wird doch deutlich: ganz so sehr „im Griff“, wie sie es behauptet, scheint die Polizei Straftäter*innen in Uniform nicht zu haben.

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