Nach G20-Protesten

Polizeirazzien in Göttingen
von am 5. Dezember 2017 veröffentlicht in Polizei & Justiz, Titelstory

Im Auftrag der hamburgischen Polizei durchsuchen Göttinger Einheiten mehrere Privathäuser und -wohnungen in Göttingen. (Foto: Nico Kuhn - LinksUnten Göttingen)

In den heutigen frühen Morgenstunden durchsuchten in Göttingen mehrere Polizeihundertschaften zwei Wohnungen, eine Presseagentur und ein Auto. Die Polizei begründete ihr Vorgehen mit Ermittlungen im Zuge der G20-Proteste. Bereits kurz nach dem Einsatz regt sich Protest gegen das als „martialisch“ beschriebene Vorgehen.

Gegen sechs Uhr morgens stürmten Polizeihundertschaften aus mehreren Bundesländern eine Wohngemeinschaft in der Lange-Geismar-Straße und ein Haus im Düstere-Eichen-Weg, in dem die Familie des Kreistagsabgeordneten Mohan Meinhart Ramaswamy lebt. Zudem brachen sie in der Humboldtallee das dort parkende Auto eines Beschuldigten zwecks Ermittlungen auf. Die Durchsuchungen stehen dabei im Kontext eines bundesweiten Vorgehens gegen Verdächtige im sogenannten Rondenbarg-Verfahren, bei dem Razzien in insgesamt 24 Objekten in ganz Deutschland stattfanden. Gegenstand des Verfahrens ist die Festnahme von 59 Demonstrierenden in der Straße Rondenbarg während der G20-Proteste – ihnen wirft die Polizei Hamburg Landfriedensbruch vor. Wie das generelle polizeiliche Verhalten wurde gerade dieser Einsatz, bei dem sich mehrere DemonstrantInnen schwer verletzten, in Medien und Zivilgesellschaft stark kritisiert. Unter anderem zeigte ein Panorama-Fernsehbericht die Härte des Polizeieinsatzes. In der gleichen Sendung interviewte Panorama 3 auch einen beschuldigten Aktivisten aus Göttingen, dessen Wohnung nun die Polizei mit durchsuchte. Auch bei diesem Einsatz gab es einen Verletzten; ein WG-Bewohner musste mit einem Rippenbruch ins Krankenhaus gebracht werden.

Angehörige der Familie Ramaswamy berichten ebenfalls von einem rüden Vorgehen der Polizeieinheiten. Diese überraschten nicht nur das Ehepaar beim Frühstück, sondern drangen auch bewaffnet und vermummt in das Schlafzimmer der 92-jährigen Großmutter ein und weckten diese unsanft. Dabei richtete sich der Durchsuchungsbefehl nur gegen ihre Schwiegertochter und galt nicht für die Räumlichkeiten der Großmutter. Auch die Büroräume von Mohan Meinhart Ramaswamy, der unter anderem eine Presseagentur leitet, durchsuchte die Polizei möglicherweise rechtswidrig und beschlagnahmte dabei mehrere Datenträger. Die Familienangehörigen sprachen auch von weiteren Schikanierungen während des Einsatzes. Es sei etwa der Großmutter nicht gestattet worden, alleine die Toilette aufzusuchen.

Mehrere linke Gruppen, die auch zu den G20-Protesten aufriefen, kritisieren die „martialischen“ Einsätze deutlich. Die Sprecherin der Basisdemokratischen Linken, die in der spätestens durch die Gipfelproteste bundesweit bekannten Interventionistischen Linken organisiert ist, erwähnt das „starke zivile Engagement“ einer Beschuldigten, die auch für den Zivilcouragepreis nominiert worden war. Die Polizei versuche „gegen politisches Engagement“ vorzugehen und dabei „emanzipatorische Arbeit“ kriminalisieren. Bereits vor knapp einem Jahr hätte die Polizei die Familie Ramaswamy nur unzureichend gegen Neonazis geschützt, die diese mehrmals bedrohten.

Auch die Sprecherin der redical [m], die über das Ums-Ganze-Bündnis ebenso gegen das G20-Treffen mobilisierte, kommentiert den heutigen „räudigen“ Einsatz. Es überrasche sie nicht, dass die Polizei „auf die schlechte Presse“ reagiere und nun versuche, „die Opfer von Polizeigewalt als Organisatoren von militanten Aktionen öffentlich zu brandmarken“. Sie kündigt zudem, wie auch andere politische Gruppen und AktivistInnen, zeitnahe Proteste an. Die Hausdurchsuchungen werden also das Göttinger Stadtgeschehen noch einige Tage beschäftigen.

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