Monsters-Feature zum Kitastreik

Vereinigt für mehr Wertschätzung
von am 31. Mai 2015 veröffentlicht in Gespräche, Lokalpolitik, Titelstory, ver.di

Zwischen 500 und 800 TeilnehmerInnen liefen am Samstag auf der Demo mit. Foto: Monsters

Der „Kita-Streik“, der eigentlich keiner ist, hält an. Angestellte des Sozial- und Erziehungsdienstes streiken seit rund drei Wochen für eine höhere Gehaltseinstufung. Dazu gehören Angestellte in den Jugendeinrichtungen, Kinder- und Jugendämtern und eben auch ErzieherInnen in Kindertagesstätten. Eine Einigung ist bis jetzt nicht in Sicht.

Die ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen fordern mit dem Streik eine bessere Anerkennung und eine höhere Wertschätzung ihrer Berufe ein – konkret: eine höhere Einstufung, durch die sie im Durchschnitt 10% mehr Gehalt bekommen würden. Die Gehaltserhöhung geht mit einer höheren Tarifeinstufung einher.

Dabei weisen sie Behauptungen zurück, 2009 bereits Erhöhungen von 33 Prozent erstreikt zu haben. In dem monatelangen Auseinandersetzungen seien durchschittlich höchsten 2,4 Prozent Erhöhung erreicht worden. Ebenso lehnt ver.di ein aktuell vorliegendes Angebot der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) ab, da dieses nicht für alle Angestellten des Sozial- und Erziehungsdienstes gelten würde.

Am 8. Mai begann der Streik auch im Landkreis Göttingen. Dabei haben ver.di und die Angestellten des Erziehungs- und Sozialdienste des öffentlichen Dienstes zu einem unbefristeten Streik aufgerufen. In den letzten zwei Wochen machten sie durch verschiedene Protestaktionen auf ihre Forderungen aufmerksam.

Protest Innenstadt

Kinderaktionstag in der Innenstadt Göttingen. Foto: Monsters

Eine Frage der Finanzierbarkeit

Derzeit befinden sich etwa 35 Kitas in der Region, davon 12 von 13 öffentlichen Kitas in Göttingen, sowie ca. 100 SozialarbeiterInnen im Landkreis Göttingen, im Streik. Die Reaktionen der Kommunalpolitik fallen allerdings eher zurückhaltend aus. Kommunen, ebenso wie die Stadt Göttingen, halten die Forderungen für unbezahlbar. Die VKA verweist dabei auf die schlechte Finanzlage in Kreisen, Städten und Gemeinden.

In Göttingen werden derzeit 26 Millionen Euro pro Jahr „für die Kinder der Stadt“ ausgegeben. Dazu zählen auch die Gehälter für den Sozial- und Erziehungsdienst- allerdings nicht für die Zeit, in der die Arbeit aufgrund von Streik niedergelegt wird. Die streikbedingten Kürzungen werden laut Stadtpressesprecher Johannson genau für die Zeiten, in denen der Streik zur Arbeitsniederlegung geführt hat, berechnet. Gleichzeitig sollen nach Beendigung Elternbeiträge an Einrichtungen für die Zeit ab dem vierten Streiktag zurückerstattet werden. Eine Gegenrechnung der ersparten Gehälter und Rückerstattungen könnte nach Beendigung des Streiks interessant werden.

Rückhalt aus der Lokalpolitik

Die Solidarität für die Streikenden von Göttinger Ratsparteien fällt unterschiedlich aus. Die meisten fordern, dass den kommunalen ArbeitgeberInnen mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die Piraten plädieren dafür, die frühkindliche Erziehungsarbeit direkt dem Landesbildungsetat zu unterstellen und halten zudem die Forderung von einer Erhöhung um durchschnittlich 10 Prozent für zu gering, die Göttinger Linke hat angekündigt, sich im Stadtrat für höhere Gehälter einzusetzen. Und einer kann sich nicht entscheiden: Oberbürgermeister Köhler schlagen „zwei Herzen in einer Brust“. Das Geld für die Beschäftigten müsse er anderen wegnehmen.

Dabei geht es den Streikenden gar nicht um eine Umverteilung. Kommunen seien strukturell unterfinanziert, so Frederike Güler, Gewerkschaftssekretärin in Göttingen. Man dürfe aber nicht die Angestellten darunter leiden lassen und gegeneinander ausspielen. Vielmehr sollten sich die politisch Verantwortlichen für eine Umstrukturierung der Finanzierung einsetzen.

Transpi Care Workers Unite

Soli-Transpi der Wohnrauminitiative Göttingen zum Streik. Foto: Wohnrauminitiative

Mehr als nur ein Streik

Anders als im Streik der Lokführer der GDL erfreuen sich die streikenden ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen einer großen Solidarität von betroffenen Eltern oder müssen zumindest keine Anfeindungen und Drohungen fürchten. Da Eltern sich selbst um eine Kita-Betreuungsersatz kümmern müssen, geraten viele jedoch in Betreuungsengpässe. Neben dem Einspannen von Großeltern, Tagesmüttern und -vätern, Babysittern bleibt nur die Option Urlaub zu nehmen, wenn ArbeitgeberInnen ihnen nicht z.B. durch flexiblere Arbeitszeiten oder das Mitbringen von Kindern zur Arbeit entgegen kommen. Viele merken erst jetzt, wie wichtig die Arbeit von z.B. ErzieherInnen ist, damit sie selbst ungehindert zur Arbeit gehen können.

Neben z.B. der Altenpflege handelt es sich auch hier um einen Beruf, der die Sorgearbeit um andere Menschen betrifft. Bezeichnend ist, dass dies Berufe sind, die früher gesellschaftlich von Hausfrauen unbezahlt verrichtet wurden. Die geschlechtliche Arbeitsteilung – der Mann arbeitet und die Frau bleibt zuhause bei den Kindern – hat sich auch in die Berufswelt übertragen. 96 Prozent der streikenden ErzieherInnen sind Frauen. Und die Bezahlung ist schlecht.

Zu Streikbeginn hat sich in Göttingen das „Bündnis für gute Sorgearbeit und Geschlechtergerechtigkeit“ – Care Workers Unite zusammengefunden. Sie wandten sich mit einem offenen Brief an betroffene Eltern aus bestreikten Kitas, um auf das gesamtgesellschaftliche Geschlechterungleichverhältnis u.A. in der Lohnarbeit im Sorgebereich aufmerksam zu machen. Am Samstag rief das Bündnis zu einer Demonstration mit anschließendem Kulturfest auf dem Nikolaikirchhof auf. Dort sollte noch einmal auf die Ernsthaftigkeit ihrer Forderungen aufmerksam gemacht werden, denen die VKA nicht entgegenkommt. Zudem sollte auf die gesellschaftlichen Dimensionen des „Kita-Streiks“, der eigentlich keiner ist, aufmerksam gemacht werden. Es geht nämlich weit über Kindertagesstätten hinaus.

Artikel teilen


Themen

, ,

Schreibe einen Kommentar

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar zu schreiben. Anmelden | Registrieren

Bitte lese dazu unsere Regeln und Hinweise zum Kommentieren.