Bequemes Frühlingsfest gegen Rechts

Keine Mittagsruhe für Nazis
von am 28. Februar 2015 veröffentlicht in Neonazis, Politik, Titelstory
Die symbolische Blockade des nicht-stattgefundenen Neonaziafmarsches
Die symbolische Blockade des nicht-stattgefundenen Neonaziafmarsches. Bild von ALI

Die Sonne schien und das wunderbare Frühlingswetter ludt geradezu ein, Nazis zu blockieren. So hätte es in Güntersen im Landkreis Göttingen laufen können: Das Dorf gründete eine eigene Initiative gegen Rechts unter dem Motto „Wir zeigen Flagge“ und mobilisierte zu einem Fest mit Livemusik, Redebeiträgen, Kaffee und Kuchen ein. Gut 1300 Menschen folgten der Einladung, nur die Neonazis sind gleich zuhause geblieben.

Beitrag von Meresh

Es war eine fast skurrile Situation, als am Samstagmorgen 100 aus Göttingen angereiste AntifaschistInnen wie auf einer Zielgeraden in das 650 EinwohnerInnen Dorf einliefen. Die BewohnerInnen, die gerade noch mit dem Aufbau des Festzeltes beschäftigt waren, bildeten einen Spalier und klatschten zur Begrüßung. Barbara vom Festkomitee Güntersen kommentierte: „Es ist wirklich toll zu sehen, wie viele junge Menschen extra aus Göttingen kommen, um uns zu unterstützen.“

Noch am Morgen kamen die Angereisten gemeinsam mit Güntersern für eine fotowirksame Aktion zusammen. Dort setzten sie sich in einer symbolischen Blockadeaktion so in Szene, dass damit das proklamierte „Ending Road“ der Mobilisierungsplakate abgerundet wurde. Dann begann eine eher bequeme Naziblockade. Aber bequem war eigentlich das ganze Frühlingsfest: Das Göttinger Symphonie Orchester spielte in der Dorfkirche, verschiedene Popbands bespielten die Festzeltbühne und im Gasthaus Kesten drängten sich die Massen.

Dort boten sich teils skurrile Szenen – ein Ausschnitt:

In der Ecke spielen fünf Punks gegeneinander Tischkicker. Währenddessen geht es am Tortenbuffet politisch zu: An der 13 Meter langen Tafel begrüßen ältere Damen ihre FreundInnen aus dem Umland. 90 Torten haben sie hausgemacht gebacken. Das Fest sehen sie als zweierlei: „Natürlich geht es gegen Rechte, deswegen haben wir das organisiert,“ sagt eine und puhlt eine frische Waffel aus dem Eisen. „Aber es ist auch unser Fest und dafür kommen unsere Freunde und Unterstützer.“ „Die Rechten und Nazis wollen wir hier überhaupt nicht haben,“ ergänzt eine andere, nimmt ihr die Waffel ab und meint: „Wir Günterser kennen die Nazis hier ganz genau. Mit dem Fest können wir ihnen zeigen, dass wir sie hier nicht wollen!“

Mit „den Nazis“ meinen sie wohl vorallem Mario Messerschmidt. Der Neonazi aus dem Bundesvorstand der Partei „Die Rechte“ hatte den Aufmarsch mit Kranzniederlegung zu Ehren des SA-Manns Horst Wessel angemeldet. Nach massivem antifaschistischem Widerstand in Göttingen und Güntersen und einer Verbotsandrohung durch den Landkreis, zog der nach eigenen Angaben „bekennende Nationalsozialist“ die Anmeldung zurück. Trotzdem mobilisierten Günterser und in Göttingen insbesondere die Antifaschistische Linke International (A.L.I.) dazu aufs Land zu fahren.

Auch sonst eine renitente Dorfgemeinschaft

Schon im vergangenen Jahr war das Dorf in die Schlagzeilen der Lokalpresse geraten: Die Hells Angels veranstalteten dort mehrmals bundesweite Treffen, bis sich die BewohnerInnen wehrten. Aus dieser Zeit stammen auch die ganzen Stückchen Eichenholz, die am Samstag versteigert wurden. Um die Rocker zu stören zersägten DorfeinwohnerInnen stundenlang eine alte Eiche mit der Motorsäge, bis sich diese mit Verweis auf die Mittagsruhe beschwerten. Frech antworteten die BürgerInnen, diese gäbe es in Güntersen nicht und machten weiter. Im Frühjahr vergoldeten die Werkstätten des Göttinger Deutschen Theaters die Holzstücke. Auf der Bühne des Festzeltes wurden sie dann am Samstag zur Refinanzierung des ganzen Frühlingsfestes versteigert.

Gegen Nachmittag, als es kühler wurde, veranstaltete die A.L.I. noch eine Gedenkaktion. In dem Dorf liegen die drei im Nationalsozialismus ermordeten Zwangsarbeiter Sygmund Lusike, Egon Dornitschew und Vjasily Harwalow begraben. Mit gut recherchierten Texten erinnerten die AntifaschistInnen an eine kaum beachtete Tatsache des dritten Reichs. In einem Moment der Ruhe legen 50 Teilnehmende rote Nelken vor dem Friedhof des Ortes ab und gedachten so den Opfern statt den Tätern des NS-Faschismus.

Die Polizei war für ein Dorffest sehr viel präsenter als erwartet, hielt sich jedoch meist zurück. Ein Wehmutstropfen: Während des Festes in Güntersen konnten in Hildesheim circa 50 Anhänger der Partei „Die Rechte“ zu einer Kundgebung zusammenkommen.

In dem kleinen Dorf bei Dransfeld sollte hingegen auch heute den angekündigten Nazis keine Mittagsruhe gegönnt werden. AntifaschistInnen und BürgerInnen des Dorfes feierten so gemeinsam einen Erfolg: Für Nazis schien die Sonne am Samstag in Güntersen nicht. Sie mussten zuhause bleiben.

Text: Meresh
Foto: Gemopst von http://www.inventati.org/ali

Artikel teilen

Schreibe einen Kommentar

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar zu schreiben. Anmelden | Registrieren

Bitte lese dazu unsere Regeln und Hinweise zum Kommentieren.