GÖHC im Interview

„Bock auf eine breite Szene“
von am 20. Januar 2014 veröffentlicht in Gespräche, Kultur, Titelstory

Große Namen in der kleinen Stadt: Bane im Lumière (Foto: GÖHC)

Göttingen hat nicht erst seit gestern eine vitale Punk- und Hardcore-Szene, die vor allem von „ehrenamtlich“ engagierten Leuten getragen und am Leben gehalten wird. Die übers Jahr gesehen zahlreichen Konzerte erreichen allerdings vor allem ein Nischenpublikum. Seit einigen Monaten gibt es in Göttingen nun eine neue Konzertgruppe, die sich dem Veranstalten von Hardcore-Shows im etwas größeren Stil widmet. Ein Gespräch mit GÖHC.

Monsters: Göttingen ist ja nicht unbedingt arm an Punk- und Hardcore-Konzerten. Es gibt die Konzertgruppe1, Peter Krustig und diverse andere Grüppchen, die Konzerte veranstalten. Was hat Euch bewogen trotz dieser blühenden Konzertgruppenlandschaft noch GÖHC an den Start zu bringen?

GÖHC: Unsere Beweggründe kann man wohl am Besten über unser musikalisches Interesse erklären. Wir sind Leute mit ganz unterschiedlichen Hintergründen, die aber gemeinsam haben, dass sie sich immer mal wieder auf Hardcore-Konzerten außerhalb Göttingens getroffen haben. Darüber sind wir ins Gespräch gekommen und haben festgestellt, dass wir die Bands, die wir gerne mögen, in der Regel nicht auf Shows in Göttingen finden. Daraus hat sich – ganz banal – die Idee entwickelt eine Konzertgruppe zu machen. Du hast Recht, wenn du sagst, dass Göttingen in Anbetracht der Größe eine ganz beachtliche Anzahl an Konzertgruppen hat. Diese decken aber – genauso wie wir ja letztlich auch – einen bestimmten Bereich ab. In musikalischer, wie auch in kultureller Hinsicht.

Mit Bane habt ihr im vergangenen Jahr mal einen etwas bekannteren Namen der Szene nach Göttingen geholt. Geht es Euch darum, so etwas wie „Stars“ der Szene in die kleine Stadt zu holen oder war das eher Zufall als Absicht?

Die Show mit Bane war tatsächlich ein Glücksfall. Die hatten auf ihrer Tour noch nen Day Off und nach ein paar Telefonaten mit der Booking-Agentur haben wir kurzfristig einen aus unserer Sicht realistischen Deal ausgehandelt. Grundsätzlich geht es uns aber schon darum Bands mit einem ähnlichen Bekanntheitsgrad, wichtiger aber mit der Klasse, nach Göttingen zu holen. Zum einen natürlich, weil wir die Bands fett finden, zum anderen spielt da aber auch das finanzielle Risiko eine Rolle. Insofern ist das auch immer eine Abwägung, ob eine Band genügend „Zugkraft“ hat, auch genügend Leute aus anderen Städten zu ziehen, damit wir keine Verluste machen. Wobei wir an dieser Stelle anmerken wollen, dass es uns nicht darum geht persönlichen Profit aus den Konzerten zu schlagen. Sollte es uns gelingen GÖHC zu etablieren ist das mittelfristige Ziel, die Gewinne aus Konzerten an gemeinnützige Projekte weiterzugeben.

Es ist auffällig, dass die GÖHC-Konzerte im Lumière im Gegensatz zu Shows im Juzi eher auf ein großes Publikum angelegt sind. Gehört das zu Eurem Konzept?

Auf jeden Fall. Die finanziellen Zwänge, die dabei halt eine Rolle spielen, haben wir ja schon genannt. Zum anderen, und da kommen wir zum kulturellen Aspekt, geht es uns definitiv darum, die HC-Szene in ihrer Breite anzusprechen. Bei Konzerten im Juzi, aber nicht nur, um diesen Gegensatz mal aufzugreifen, findet sich – so ist zumindest unser Eindruck – ein eher akademisches Publikum, dass sich mit dem Gedanken von DIY stark identifiziert. Zumindest in Hinblick auf den Klassenbackground bleibt das bei einer Studistadt wie Göttingen natürlich nicht aus. Gleichzeitig spiegelt das aber nicht unbedingt die Verhältnisse der HC-Szene insgesamt, aber auch nicht unserer Gruppe wieder. Um nicht falsch verstanden zu werden: wir wollen nicht sagen, dass eine wäre besser oder schlechter. Wir allerdings haben Bock auf eine breite Szene- trotz und wegen der entsprechenden Heterogenitäten. Einerseits, weil wir uns da mehr „zuhause“ fühlen, zum anderen, weil das auch eher unserem politischen Verständnis entspricht. Aber dazu später mehr.

Kriegt Ihr den großen Laden denn voll? Wie lockt ihr das Publikum?

Hoffentlich! Was die Werbung angeht unterscheiden wir uns wahrscheinlich kaum von irgendwelchen anderen VeranstalterInnen. Plakate, Flyer, Online-Medien, das Übliche halt. Und wir bieten Tickets im VVK zu nem günstigeren Preis als an der Abendkasse an. Aber auch das ist ja nix Besonderes.

Wo wir beim Publikum sind: Man hat ja bisweilen den Eindruck, dass die Hardcore-Szene ein Bißchen gespalten ist, in eine eher als unreflektiert geltende „Bollo“-Fraktion auf der einen und eine vor allem an linken Ideen und Diskursen orientierte Polit-Fraktion auf der anderen Seite. Könnt Ihr mit dieser Unterscheidung was anfangen und was haltet Ihr davon?

Dass es diese Aufspaltung gibt ist wahrscheinlich nicht ganz von der Hand zu weisen und hat auch seinen historischen Hintergrund. Mit dem Streit um LostAndFound Ende der 90er, der für viele Bands und Leute ganz deutlich vor Augen geführt hat, dass der Gedanke von DIY häufig leider doch nur einen Scheiss bedeutet, hat letztlich eine Trennung verursacht, deren negative Auswirkungen wir bis heute spüren. Denn viele linke Hardcore-Kids haben sich zu dem Zeitpunkt aus der Breite des Hardcore verabschiedet und sich in einer Szene daneben wiedergefunden, die sich dann explizit als DIY bezeichnet hat. Dass ebenfalls in der 90ern im Rahmen dessen, was dann später Pop-Antifa genannt wurde, von Antifagruppen verstärkt auf Massenkultur gesetzt wurde und ein teilweiser Rückzug aus den Subkulturen stattfand, hat beides zu einer Entpolitisierung der Hardcore-Szene beigetragen, die heute in vielen Teilen der DIY-Szene beklagt wird und ironischerweise auch zur identitären Abgrenzung dient. Wenn sich der überwiegende Teil der HC-Szene zwar auf ein „gegen Nazis“ einigen kann, sind die verschiedensten Formen von Diskrimierung latent vorhanden – wenn sich auch viele abstrakt gegen beispielsweise Sexismus und Homophobie aussprechen. Anstelle einer weiteren Fragmentierung, halten wir es allerdings für erstrebenswert, linke Positionen im Hardcore inhaltlich wieder stärker zu unterfüttern.

„Hardcore is more than music“ – auch Ihr werbt mit diesem populären Slogan, in dem sich die grundsätzlich politische Szenehaltung ausdrückt. Worin besteht das „more“ für Euch?

Die Hardcore-Szene hat weitestgehend immer für sich in Anspruch genommen einen Raum bereit zu stellen wo Menschen unabhängig von ihren Klassenbackground, ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht und ihrer sexuellen Orientierung zusammen kommen und zumindest für nen Moment ihren Frust über ihren Alltag rauslassen können. Inwieweit dieser Anspruch häufig Phrase ist, mag vor dem Hintergrund des oben angesprochenen jede und jeder selbst beurteilen. Grundsätzlich halten wir diesen Gedanken aber für richtig und möchten ihn auch nach außen tragen. Konkret bieten wir unter anderem lokalen linken Gruppen an Stände auf unseren Konzerten zu machen.

Ein weiterer Punkt ist der Umgang der Leute auf den Konzerten untereinander. Seit ein paar Jahren hat sich auf vielen Konzerten mehr und mehr violent dancing durchgesetzt. Das hat zur Folge, dass der Pit vor der Bühne von einigen Leuten genutzt wird, der Großteil der BesucherInnen sich aber am Rand drängen muss. Wir haben an dieser Stelle keine einheitliche Position, da der Grad gerade noch verantwortungsbewusstem Tanzens und unsolidarischem Verhalten sicher manchmal nicht ganz eindeutig ist. Worauf wir aber keinen Bock haben und was wir auch konsequent unterbinden, ist wildes Umsichschlagen. Um aber im eher tanzfaulen Göttingen nicht falsch verstanden zu werden: zum Hardcore gehört Pogo! Wir finden es gut, wenn sich die Leute vor der Bühne stapeln und nach dem Konzert durchgeschwitzt und mit erschöpften aber zufriedenen Gesichtern nach Hause gehen. Pogo heißt aber nicht survival of the fittest, sprich alle müssen entsprechend ihrer körperlicher Voraussetzungen und der der anderen Rücksicht nehmen. Wenn ich 100 Kilo wiege sollte ich mir vorher überlegen, ob Stagediving für mich das Richtige ist.

Angenommen, Bands aus der Region lesen dieses Interview und denken sich „Jo, da sollten wir mal spielen!“ und fragen bei Euch an, habt ihr bestimmte Vorgaben, die erfüllt werden müssen damit Ihr ein Konzert mit ihnen veranstaltet?

Wenn eine Band den Kram, den wir hier erzählen, als Beweggrund sieht uns anzuschreiben, dann ist eine erste Vorgabe erfüllt. Ob es dann zeitlich, inhaltlich und von den Kapazitäten passt, wird sich dann zeigen. Wir haben grundsätzlich Bock Konzerte mit lokalen und größeren Bands zusammen zu machen, so wie bei unserer nächsten Show mit Landscapes, Empty Handed und My Last Famous Words am 22. Januar. Insofern schreibt uns an, wenn ihr Interesse habt!

Das Jahr hat grade erst begonnen und in Kürze steht euer nächstes Event an. Habt Ihr darüber hinaus schon irgendwelche Highlights à la Bane geplant?

Nach dem Konzert diese Woche planen wir eine Show Ende März mit All For Nothing und Wolfdown. Darüber hinaus haben wir im Rahmen des 50-jährigen Geburtstags des T-Kellers in diesem Jahr vor, auch wieder eine Show mit einer Band in der Liga von Bane zu organisieren. Konkreteres können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.

Wie würde Euer Traum-Lineup für einen Abend aussehen, wenn Ihr freie Auswahl hättet?

Puh, unmöglich zu beantworten. Zu viele zu gute Bands bei zu vielen verschiedenen Meinungen darüber bei uns.

Vielen Dank für das Interview. Wenn Ihr noch etwas loswerden möchtet wäre hier die Gelegenheit…

Dann Dank zurück. Und hoffentlich sehen wir uns mal auf einem der nächsten Konzerte.

 

Das nächste Konzert von GÖHC mit Landscapes, Empty Handed und My Last Famous Words findet am 22.1. im Lumière statt. Karten gibt es im VVK  über tickets@göhc.de oder tickets@xn-ghc-sna.de sowie im Theaterkeller und im Buchladen Rote Straße. Weitere Informationen gibt es auf der Website von GÖHC.

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