Interview mit Michael Mießner

„Am Bedarf vorbei investiert“
von am 19. November 2013 veröffentlicht in Gespräche, Hintergrund, Lokalpolitik, Titelstory
Auch ausserhalb Göttingens: Kritik an hohe Mieten

In Göttingen herrscht Unruhe auf dem Wohnungsmarkt. Insbesondere viele Studierende haben zum Wintersemester keine dauerhafte Bleibe gefunden oder zahlen überhöhte Mieten. Wir haben den Geographen Michael Mießner von der Uni Frankfurt gefragt, ob die Wohnraumknappheit alle BewohnerInnen betrifft, wer davon profitiert und was die marktförmige Organisation der Wohnraumfrage damit zu tun hat.

Wir haben zur Zeit in Göttingen eine Diskussion zur Wohnungsfrage und zum Wohnungsmarkt – wie ist ihre aktuelle Einschätzung des Wohnungsmarktes in Göttingen?

Ich würde sagen, dass die Situation angespannt ist, auch wenn es im Bundesvergleich noch nicht besonders dramatisch ist. Die Mietpreise im Göttinger Landkreis sind vergleichsweise durchschnittlich, vielleicht ein wenig überhöht. Allerdings haben wir es mit einer relativ starken Mietpreissteigerung in den letzten 1-2 Jahren zu tun, die höher ist als in vielen anderen Städten und Regionen. Und andererseits haben wir seit den letzten Semestern einen Wohnungsengpass bei den Studierenden.

Michael Mießner studierte Geographie in Göttingen. Er promoviert zurzeit zu Fragen der Regionalentwicklung und –politik am Institut für Humangeographie in Frankfurt am Main in der Arbeitsgruppe Kritische Geographie. Er lehrt seit 2010 am Geographischen Institut in Göttingen.

Was bedeutet das für die BewohnerInnen Göttingens?

In Göttingen läuft das gerade entweder darauf hinaus, dass die Studierenden pendeln müssen und teilweise aus Hannover kommen, in Notunterkünften wie der vom AStA untergebracht sind oder arbeiten gehen müssen, um darüber dann höhere Mieten bezahlen zu können. Daran hat sich die Debatte ja auch entzündet. Es führt aber auch dazu, dass Menschen mit geringem Einkommen Schwierigkeiten haben passende Wohnungen zu finden – so müssten im Landkreis Göttingen eigentlich beispielsweise 3000 BezieherInnen von Transferleistungen ihre Wohnung wechseln, weil sie zu teuer wohnen.

Es gibt also Probleme auf dem Wohnungsmarkt – betreffen diese Entwicklungen alle BewohnerInnen Göttingens oder sind die eher für bestimmte AkteurInnen oder soziale Gruppen relevant?

Meines Erachtens sind diese Entwicklungen eben nicht für alle BewohnerInnen relevant. Insbesondere im mittleren oder höheren Preissegment gibt es eher keine Probleme. Was wir aber erkennen können ist ein Abdriften des niedrigeren Preissegments in das mittlere oder höhere Preissegment. Das heißt also, dass das untere Preissegment gerade stetig kleiner wird, während die Nachfrage in diesem Segment besonders groß ist und tendenziell steigt. Betroffen sind also nicht alle Bevölkerungsgruppen, sondern nur die mit geringen Einkommen.

Wir haben eine steigende Nachfrage im unteren Preissegment und gleichzeitig kein steigendes Angebot. Woher kommt so eine Entwicklung, ein funktionierender Markt würde schließlich anders aussehen?

Insgesamt kann man vielleicht sagen, dass in Göttingen in den letzten Jahren am Bedarf vorbei gebaut und saniert wurde. Einerseits haben Sanierungen zur Folge, dass dort Mietpreissteigerungen stattfinden, weshalb wir es im unteren Preissegment mit einer Aufwertung oder Verteuerung zu tun haben. Gleichzeitig wurde zwar in den letzten Jahren gebaut, das sind aber überwiegend im hochpreisigen Segment angesiedelte Projekte wie der Windausweg oder das Quartier im Leinebogen. Diese Entwicklungen sind aber gerade das Ergebnis des funktionierenden Marktes.

Welche Prozesse führen dann dazu, dass trotz der vergleichsweise niedrigen Nachfrage vor allem in diesem Bereich investiert wird?

Es lohnt sich für einen Investor viel mehr in den Bereichen zu investieren, wo man hohe Renditen erwirtschaften kann – das ist eben das hochpreisige Segment. Einen Investor interessiert dementsprechend, dass er hohe Mieten erwirtschaften kann. Also baut er als Investor nicht, was für sozial Schwache oder Studierende interessant ist.

Wie kommt es, dass diese Entwicklung in den letzten Jahren eingesetzt hat?

Das hat auch bundesweite, generellere Gründe. Es liegt zum Einen daran, dass es in den 1990er Jahren Deregulierungsmaßnahmen der Bundesregierung gab, die darauf abzielten den Immobiliensektor immer stärker für Finanzinvestoren zu öffnen und es damit sowohl deutschen als auch internationalen Unternehmen ermöglicht wurde dort zu investieren. Diese haben wiederum ein besonders großes Interesse an hohen Mieten um eine hohe Rendite zu erwirtschaften.

Auch die Umstrukturierungen im Rentenbereich sind da ein relevanter Punkt: Das hat einerseits zur Folge, dass Leute verstärkt in eigenen Wohnraum investieren, wenn sie es sich leisten können. Und andererseits  wird immer stärker in private Rentenfonds investiert und die investieren unter anderem in Wohnimmobilien. All das erhöht das Kapital, welches versucht wird in Immobilien zu investieren – dementsprechend ist viel Kapital auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten.

Investoren* spielen also eine wichtige Rolle – wie wirkt sich das auf die MieterInnen aus?

Um diesen Prozess zu verstehen, finde ich das Bild einer Brille ganz passend. Um wirklich dreidimensional sehen zu können, müssen wir durch beide Augen gucken. Durch das linke Brillenglas, das wäre die Perspektive als Mieter, sehe ich meine Wohnung als Dach über dem Kopf, aber auch als Ort wo ich essen, relaxen und schlafen kann – mich interessiert dabei vor Allem der Nutzen. Das andere Brillenglas wäre eher die Perspektive der Investoren: Diese sehen die Wohnung eigentlich nur als Mittel zum Zweck, nämlich Gewinne zu erwirtschaften.

Damit ist aber der konkrete Bedarf, den ich als Mieter habe, auch nur ein Mittel zum Zweck – nämlich Profite zu erwirtschaften. Dementsprechend gibt es sehr ungleiche Voraussetzungen: MieterInnen haben oft nicht genug Geld um sich eine Wohnung zu kaufen, deshalb mieten sie. Die Anderen haben das Geld und wollen daraus aber nur möglichst hohe Gewinne erzielen. Das macht das Kräfteverhältnis sehr ungleich und führt dazu, dass die Investoren am Bedarf vorbei investieren – insofern, als dass sie sich nicht für das untere Preissegment, also bezahlbaren Wohnraum, interessieren und viel mehr für die oberen Preissegmente mit hohen Renditen.

Was für Optionen bieten sich für die Politik, da gegen zu steuern?

Auf Bundesebene könnte man eine Mietpreisbremse einführen, und damit eine Mietobergrenze einführen. Man könnte auch ins Mietgesetz einfügen, dass Sanierungen nur mit Zustimmung der MieterInnen durchgeführt werden können, womit sichergestellt wäre, dass nur Sanierungen durchgeführt werden, die keine MieterInnen verdrängen.

Auf kommunaler Ebene könnte man Quoten für bezahlbaren Wohnraum etablieren und andernfalls Bauten nicht genehmigen. Auch könnte die städtische Wohnungsbaugesellschaft nicht etwa, wie hier im Windausweg, ins hochpreisige Segment investieren, sondern ins niedrigpreisige – das wäre eine sehr konkrete Möglichkeit.

Und auf ganz kleiner Ebene könnten wir als MieterInnen versuchen uns in gemeinnützigen Vereinen zu organisieren und uns damit Wohnraum anzueignen und diesen damit dauerhaft aus dieser Verwertungslogik herauszuziehen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dass das funktioniert, sieht man ja unter anderem an Projekten wie dem ehemaligen historischen Kolloquium in Göttingen.

Herr Mießner, ich danke Ihnen für das Gespräch

*gemeint sind institutionelle Akteure und weniger konkrete Personen, weshalb wir auf eine genderneutrale Formulierung verzichtet haben.

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