Terror von Rechts

Der andere Deutsche Herbst
von am 18. November 2013 veröffentlicht in Neonazis, Tagessatz, Titelstory

Kaum im kollektiven Gedächtnis verankert: Der Neonazi-Terrorist Gundolf Köhler.

Vor 23 Jahren ereignete sich auf dem Münchener Oktoberfest der verheerendste terroristische Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Tat war der Höhepunkt einer blutigen Terrorwelle von Rechts, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Der Versuch einer Erinnerung von Tagessatz-Redakteur Leon Kloke.

Beim Klang der Namen Baader und Meinhof, Schleyer und Buback überfällt viele Leser ein Schaudern. Die Erinnerung an den RAF-Terrorismus, der auf seinem Höhepunkt im sogenannten Deutschen Herbst 1977 die BRD in Atem hielt, wird wach.

Die Namen Köhler und Behrendt, Shlomo Levin oder Ignatz und Ilona Platzer dürften kaum Aufsehen erregen. Es sind die Namen dreier Opfer der rechtsextremen Terrorwelle, die 1980 die Bundesrepublik Deutschland durchzog – und die Namen ihrer Mörder. Die jüngsten Opfer, die Geschwister Platzer, waren, als eine Bombe auf dem Oktoberfest ihr Leben auslöschte, noch nicht einmal im Alter von Teenagern. Der Rabbiner Shlomo Levin und seine Frau wurden von dem Neonazi Uwe Behrendt in ihrem Erlanger Haus ermordet. In jenem Jahr starben in der BRD 17 Menschen durch rechtsextremen Terror, 211 weitere wurden teils schwer verletzt.
Köhler und Behrendt waren Mitglieder der zum Zeitpunkt der Taten bereits verbotenen, offen rechtsextrem-militanten Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG). Köhler explodierte mit seiner Bombe, Behrendt nahm sich während der Untersuchungshaft das Leben. Eine direkte Verbindung zwischen den Anschlägen im Herbst und Winter 1980 und dem organisierten Rechtsextremismus konnte juristisch daher nie nachgewiesen werden. Zweifelhaft erscheint, ob dies politisch immer gewünscht war.

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Während der linke Terrorismus der RAF ins historische Gedächtnis der Westdeutschen eingebrannt ist, erweist sich der Terrorismus von Rechts als Leerstelle. Die gravierenden ermittlungstechnischen Fehlleistungen, der gesellschaftliche Unglaube, und die politische Abwehrhaltung gegenüber den viel zu späten Erkenntnissen über die terroristischen Aktivitäten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) erweisen sich, neben ihren rassistischen Indikationen, vor allem als Meisterleistung in Ignoranz einer Gemeinschaft, die sich weder mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit noch mit deren neofaschistischen Wiedergängern je in ausreichendem Maße konfrontiert sehen wollte.

Als am 26. September 1980 der Geologie-Student Gundolf Köhler auf dem Münchener Oktoberfest eine Bombe zündete, dadurch sein eigenes und zwölf weitere Menschenleben auslöschte sowie mehrere Hundert Personen an Leib und Seele verstümmelte, war die Republik für einen kurzen Moment gelähmt von diesem schwersten Terroranschlag ihrer Geschichte. Anders als die politischen Morde der RAF, war dieses Massaker charakterisiert durch eine Wahllosigkeit in Bezug auf seine Opfer.

Behördenblindheit erweist sich als Muster in der Aufklärung rechtsextremen Terrors

Die Ermittlungsbehörden hatten früh eine wichtige Spur. Verbindungen des Attentäters zur WSG ergaben das Bild eines neonazistisch motivierten Blutbades. Zwei Tage nach dem Anschlag wurde im Leitmedium Tagesschau die Verantwortung der Gruppe um Hoffmann zugeschrieben. Köhler war als Täter ermittlungstechnisch identifiziert, seine Kontakte zu Hoffmann bekannt und letzterer sowie weitere Mitglieder der WSG verhaftet. Eine Einzeltat wurde von Generalbundesanwalt Rebmann aufgrund Köhlers Verbindungen nicht mehr angenommen, was die bayerische Landespolitik jedoch von Anfang an anders sah. Dort schloss man eine Verbindung zur WSG, die erst im Frühjahr 1980 durch den Bundesinnenminister Baum verboten wurde, nachdem die bayerischen Landesbehörden hierzu auch im dritten Anlauf keinen Entschluss fassen wollten, aus. Die Ermittlungen gegen den so exaltierten wie exponierten Neofaschisten Hoffmann und seine Gruppenmitglieder jedoch liefen kurz darauf ins Leere, die Theorie des Einzeltäters Köhler gewann plötzlich juristisch wie massenmedial die Oberhand und hat bis in die Gegenwart offizielle Gültigkeit. Nun wetterte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Kanzlerkandidat Franz Josef Strauß gegen den liberalen Bundesinnenminister, dem er vorwarf, die Arbeit der Nachrichten- und Sicherheitsdienste über Jahre behindert und damit dem allgemeinen Terror Vorschub geleistet zu haben. Die Wahl zum Bundestag stand kurz bevor. Das rechtsextreme Attentat wurde seines Kontextes enthoben und zur Wahlkampfmunition, die Untätigkeit der bayerischen Behörden gegenüber der WSG blieb selbstverständlich unerwähnt. Viele Indizien einer Zusammenarbeit Köhlers mit Hoffmanns Gruppe wurden unberücksichtigt gelassen.

Besonders stutzig machen bis heute die vermeintlichen ermittlungstechnischen Pannen, die frappierend an die behördlichen Aktenschredder-Aktionen nach Aufdeckung des NSU erinnern. So verschwand in den 1990er Jahren der gesamte Asservatenbestand zum Oktoberfest-Attentat, darunter mehr als 40 Zigarettenstummel aus Köhlers Kraftfahrzeug, die heutzutage mittels DNA-Analyse die Frage nach der vermeintlichen Einzeltäterschaft Köhlers beantworten könnten. Eine Frage, die sich besonders aufgrund der Tatsache stellen muss, dass auf dem Attentatsgelände eine abgerissene Hand gefunden wurde, die niemals einem der Opfer zugeordnet werden konnte. Ganz offenkundig hatte der ehemalige Besitzer der Hand berechtigte Furcht, behördlich mit dem Fall in Verbindung gebracht zu werden. Die Einzeltätertheorie müsste allein aufgrund dieser Tatsache auf tönernen Füßen stehen. Eine ermittlungsbehördliche und von Teilen der Politik mindestens geduldete Vertuschung erscheint kaum mehr fragwürdig.

Ihre Gründe allerdings liegen im Dunkeln. Nicht auszuschließen, dass die rechtsterroristischen Aktivitäten, die in den 1970er und 1980er Jahren auch in anderen westeuropäischen Staaten, ganz besonders in Italien und Belgien, viele Menschenleben forderten, auf ganz spezifische Machtstrukturen des Kalten Krieges zurückzuführen sind. Es gibt glaubwürdige, jedoch mit gegenwärtigem Informationsstand nur schwer nachzuweisende Anhaltspunkte, dass der rechtsextreme Terrorismus logistische Unterstützung durch geheime NATO-Operationen erfuhr, die im Falle eines sowjetischen Einmarsches in Westeuropa in den Rechtsextremen eine geeignete Gruppierung für den Kampf hinter den Linien, als sogenannte „stay-behinds“, sahen. Auch existieren Vermutungen, der rechtsextreme Terror sei von konservativen Politikern instrumentalisiert worden, um mittels einer Politik der Spannung die Bevölkerungen zu verunsichern und das Feld für die Umsetzung der eigenen autoritären Sicherheitspolitik zu bereiten. Der Umgang des bayerischen Kanzlerkandidaten mit der Oktoberfest-Bombe lässt zumindest letzteren Zusammenhang naheliegend erscheinen. Was immer dahinter stehen mag, die deutlichen Pannen-Parallelen zwischen den Ermittlungen zum NSU und den Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentat lassen dem kritischen Beobachter bestenfalls die Hoffnung auf das energische Eintreten zivilgesellschaftlicher Kräfte für eine möglichst hinlängliche Aufklärung der Fälle bei gleichzeitiger Erkenntnis der Unzuverlässigkeit bundesdeutscher Ermittlungsinstanzen im Falle rechtsextremen Terrors.

Mehr zum Thema:

Andrea Röpke/Andreas Speit (Hg.), Blut und Ehre – Geschichte und Gegenwart
rechter Gewalt in Deutschland, Bonn 2013

Film: „Der blinde Fleck – Oktoberfest, das Attentat“, Filmstart 16.01.2014, mit Benno Führmann

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