Nachtrag zum Schünemann-Besuch

Uniformierte Wahlkampfhelfer
von am 11. Januar 2012 veröffentlicht in Politik, Polizei & Justiz

Am Dienstag Abend besuchte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) auf Einladung des RCDS die Universität Göttingen. Angesichts der umstrittenen Politik des Ministers hatten bereits im Vorfeld zahlreiche Gruppen Proteste angekündigt. Es kam, wie es kommen musste: Massive Polizeipräsenz auf dem Campus, ein inhaltlich uninteressanter Vortrag und eine Reihe verletzter DemonstrantInnen.

Bei der Veranstaltung unter dem Titel „wie sicher ist Niedersachsen“ ist es am Dienstag zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Polizeikräften und DemonstrantInnen gekommen. Im Umfeld der Veranstaltung wurden mehrere DemonstrantInnen und PolizistInnen verletzt, der Vortrag Schünemanns verlief jedoch weitgehend ungestört. Mittlerweile werden jedoch Stimmen laut, die das Verhalten der Polizei kritisieren. Auch der RCDS Göttingen steht für die provokative Wahlkampfveranstaltung in der Kritik.

Bereits im Vorfeld hatten zahlreiche Gruppen aus Göttingen zu Protesten aufgerufen, die sich gegen die Politik des Innenministers wendeten. Zentrale Kritikpunkte waren Schünemanns Abschiebepolitik und seine Verharmlosung von Rechtsextremismus. So kritisierte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GFBV) Schünemann für seine Haltung in Abschiebungsfragen, insbesondere in Bezug auf die Familie Nguyen. Die Antifaschistische Linke International (A.L.I.) betonte, dass Schünemann und Polizeipräsident Kruse „in ihrer Bewertung rechter Gewalt mindestens auf einem Auge blind zu sein scheinen.“ Auch die harte Haltung des Innenministers und des Göttinger Polizeipräsidenten Kruse gegenüber linken Gruppen wurde kritisiert.

Zu Beginn der Veranstaltung hatten sich ca. 500 DemonstrantInnen vor dem Hörsaal versammelt. Offensichtlich wurde jedoch der Einlass reguliert, RCDS-Mitglieder assistierten der Polizei bei Gesichtskontrollen. Im Ergebnis war der Vorlesungssaal etwa zu 2/3 voll, während zahlreiche kritische Stimmen von der Veranstaltung ausgeschlossen wurden. Vor 270 ZuhöhrerInnen referierte der Innenminister über innere Sicherheit in Niedersachsen. Polizeipräsident Kruse ergänzte seine Einschätzungen für den Bereich Göttingen. Einige AktivistInnen in konservativem Schick saßen auch im Publikum und störten Schünemann durch übertriebenen Jubel und lautes Klatschen. Drei Demonstranten mit migrantischem Hintergrund wurden vom Sicherheitsdienst hinausgeworfen. „Schiebt mich doch ab!“ rief einer dabei.

Kommentar

„L´etat c´est moi“ und der Staat muss vor den Bürgern geschützt werden*. So oder so ähnlich dürfte Schünemanns Logik hinter seinem Auftritt in Göttingen ausgesehen haben. Ob das aber einige Dutzend leichte Verletzungen, Gehirnerschütterungen und den Einsatz von 300 PolizistInnen rechtfertigt, ist mehr als fraglich. Erst recht, wenn die Veranstaltung klar ersichtlich Schützenhilfe für eine ansonsten weitgehend unpolitische Hochschulgruppe war.

Die Bilanz des Tages hat dann auch der frühere RCDS-Vorsitzende Sascha Tietz gezogen: „Herzlichen Dank an alle freiwilligen und unfreiwilligen Wahlkampfhelfer. Ihr seid spitze!“ – ob er damit die 300 PolizistInnen oder die „ExtremistInnen“ meint, bleibt offen. Fakt ist aber, dass die Veranstaltung eine reine Provokation war, es ist eben Wahlkampf an der Uni. Das hat geklappt. Aber dass der RCDS für seinen Wahlkampf einen sündhaft teuren Polizeieinsatz instrumentalisiert, diverse Verletzte (auch auf Seiten der Polizei) in Kauf nimmt und sich eines selbst in konservativen Kreisen umstrittenen Innenministers bedient, kann eigentlich nur entsetzen. Und dass der Innenminister eines Bundeslandes bei solchem Blödsinn mitmacht, auch.

* Etwa bei 20:10

Zeitgleich kam es vor der Tür zu heftigen Rangeleien zwischen Demonstrantinnen und der Polizei, bei denen mehrere DemonstrantInnen verletzt wurden (Monsters berichtete). Insbesondere ein harter Zugriff gegen Ende der Veranstaltung wird vom ASTA als völlig unverhältnismäßig bezeichnet. Bei diesem wurde ein Sitzblockierer ohne Vorwarnung hinterrücks mit dem Schlagstock niedergeschlagen, bei ihm wurde im Krankenhaus eine Gehirnerschütterung diagnostiziert. Die Polizei kritisierte hingegen die Demonstrantinnen. Diese hätten die Eskalation erst herbeigeführt, als sie „versuchten, sich durch Drücken gegen die Zugangstür unberechtigt und gewaltsam Zutritt zum Veranstaltungsraum (Hörsaal) zu verschaffen“. Angesichts der Tatsache, dass die Tür des Hörsaalgebäudes nach aussen geöffnet wird, erscheint dies reichlich absurd. Tatsächlich hatte sich eine Polizeieinheit in der geöffneten Tür des Hörsaals positioniert um mit einer Kamera Videoaufnahmen der Demonstrantinnen anfertigen zu können. Der harte Polizeieinsatz wird mittlerweile von zahlreichen Gruppen aus Göttingen bemängelt, auch der NDR berichtete recht kritisch.

Völlig anders sieht die Geschichte der RCDS. Der ehemalige Niedersachsen-Vorsitzende Sascha Tietz feierte kurz nach der Veranstaltung auf Twitter „Herzlichen Dank an alle freiwilligen und unfreiwilligen Wahlkampfhelfer. Ihr seid spitze! #RCDS #schuenemann #goettingen“. Ob sich die im Hexenkessel eingesetzten Polizeikräfte über das Dankeschön freuen, wissen wir bei Monsters auch nicht. Eine Sprecherin der Grünen Hochschulgruppe kritisierte die Veranstaltung dementsprechend: „Wir gehen davon aus, dass es sich um eine bewusste Provokation des RCDS handelt. Es hätte auch jede andere Person eingeladen werden können, doch man hat sich nicht ohne Grund für einen CDU-Rechtsaußen entschieden“.

Auch die Universitätsleitung steht für die Veranstaltung in der Kritik. Diese hatte den Einsatz der Polizei im voraus genehmigt. Der ASTA reagierte entsetzt: „Wir sind schockiert, dass die Universitätsleitung derartige Einsätze gegen die eigenen Studierenden offensichtlich billigt.“ so Kay Bents, Vorsitzender des ASTA. Auch die A.L.I. griff die Universitätsleitung für die Genehmigung an, immerhin habe das Präsidium damit wiederholt ein seit der NS-Zeit existierendes Tabu gebrochen. Dies besagt, dass der Campus im Sinne freier Wissenschaft und Lehre tabuisiertes Terrain für politische Polizeieinsätze ist. Die Universitätsleitung hält davon wenig, „angesichts der akuten Bedrohungsanlage sei eine polizeiliche Begleitung der Veranstaltung offenbar unumgänglich gewesen.“ Dass Menschen verletzt wurden, bedauere man jedoch ausdrücklich.

Text: Topf und Rakete, Fotos: Rakete u.a. Wer weitere Fotos hat, kann sie uns gern per Mail an monstersofgoe@gmx.de schicken

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5 Kommentare auf "Uniformierte Wahlkampfhelfer"

  1. Bazi sagt:

    Um das Auftreten von Schünemann und seinen Schergen zu rechtfertigen, ist mittlerweile eine Pressemitteilung der GdP (Gewerkschaft der Polizei) erschienen. Hier wird die knüppelnde Garde als Opfer darzustellen versucht.
    http://www.ndr.de/regional/niedersachsen/harz/protest229.html
    Das Spannende daran finde ich, dass diese rechte Polizei-Lobby-Organisation meist dann aktiv wird, wenn das staatstragend-menschenverachtende Vorgehen ihre Mitglieder OFFENKUNDIG geworden ist. Dann schmeißt die GdP halt mit Dreck auf „den Gegner“, damit das eigene Image in der Öffentlichkeit gewahrt bleiben möge.
    Das funktioniert z.T. leider auch immer wieder mal, aber es zeigt auch, wie sehr die Cops um Rechtfertigung bemüht sind und sich eigentlich ins Abseits gestellt haben. Das, was jede_r aktive Linke am eigenen Körper bereits an Polizeigewalt erfahren musste, kann endlich mal wieder durch entsprechende Medienarbeit belegt werden und eben nicht so einfach unter den Teppich gekehrt werden.
    Die BFE-Einheit hat erneut einer breiten Öffentlichkeit „demonstriert“, wofür sie da ist. Schünemann, Kruse, Wargel und Konsorten sind am Wackeln! BFEs und Verfassungschutz auflösen!

  2. mussausgefuelltwerden sagt:

    Ein aktueller Lektüre-Tipp:

    In der neuen Ausgabe der Zeitschrift „Ossietzky. Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft“, Nr. 3/2012, findet sich ein Artikel von Hartwig Hohnsbein zu lesen, der auch auf Uwe Schünemanns Auftritt in Göttingen eingeht: .

  3. Die Mitte verteidigen! sagt:

    „In den Tumulten, die entstanden, offenbarten die christlichen Studenten auf vorbereiteten Plakaten, wes Geistes Kind sie sind. Auf einem Plakat war zu lesen: »Wehrhafte Demokratie stärken: Arbeitslager für linke Schmarotzer«. Die Göttinger Presse nahm die faschistische Parole auf und verbreitete die Botschaft.“

    Wenn nichts anderes mehr hilft, muss man sich seinen Gegner halt selber konstruieren, damit man ein Legitimationsrecht hat. Ganz schön traurig.

  4. topf sagt:

    Bitte unterlasst Beleidigungen und persönliche Angriffe in unserer Kommentarspalte. Dankeschön.

    Und was den verlinkten Artikel betrifft: Tja…ich möchte Schünemanns AnhängerInnen sicher nicht in Schutz nehmen, weil „Arbeitslager für linke Schmarotzer“ wohl schon eine legitime Zuspitzung von deren politischer Agenda sein dürfte („geht doch arbeiten!“). Die im ZHG anwesende Schünemann-Jugend war aber wohl eher eine Form des kreativen Protests GEGEN Schünemann….

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