Lumière-Chef im Interview

Übrig bleiben kleinere Filme
von am 24. Februar 2011 veröffentlicht in featured, Leinwand, Titelstory

Unsanft durcheinander gebracht wurde im Februar der Göttinger Programmkinomarkt. Zwei von drei kleinen Kinos haben geschlossen, nur noch das Lumière existiert neben dem Multiplexkino Cinemaxx. Was das für das Lumière und das Filmangebot in Göttingen bedeutet, berichtet uns Lumière-Chef Willi Arnold im Interview. Er erklärt auch, nach welchen Kriterien die Filme auf die Kinos verteilt werden.

Das Lumière ist derzeit Göttingens letztes Programmkino. Sternkino weg, Cinema weg… eigentlich könntet ihr jetzt ja froh sein, dass ihr keine Konkurrenz mehr habt…

Wenn man es aus so einem egoistischen Blickwinkel betrachten würde, könnte man natürlich sagen: „Klasse, es kann alles hier laufen!“ Aber wenn man es aus dem Blickwinkel des Kinogängers betrachtet, dann ist es ein Jammer. Wir sind ja ein Kinoverein, der ein Interesse an Filmen hat und kulturpolitisch denkt. Eine Leinwand kann gar nicht alles spielen, was vier Leinwände vorher gespielt haben. Das heißt, es fällt einfach sehr viel weg und das ist ein großer Verlust. Manche Filme werden gar nicht mehr nach Göttingen kommen.

Wir stellen mit dem Lumière ja Öffentlichkeit her, indem Leute nicht privat Film konsumieren, sondern in der Öffentlichkeit gemeinsam Film konsumieren. Wenn man das mal mit Verstand denkt, ist es natürlich besser und sinnstiftender, wenn es dafür mehr Orte gibt. Das ist eigentlich das wichtigste, was wir in unserer Stadt und in der Gesellschaft insgesamt haben: Öffentliche Orte, an denen Leute zusammen kommen und sich gemeinsam mit wasauchimmer auseinander setzen.

Welche Filme werden denn nun nicht mehr nach Göttingen kommen und warum?

Große Filme, wie The King’s Speech zum Beispiel, werden auch weiterhin ins Cinemaxx gehen. Was übrig bleibt, sind kleinere Filme. Davon werden wir weiterhin das, was wir spannend finden, zeigen. Aber wir können logischer Weise nicht die Zahl von Filmen spielen, die insgesamt auf den Markt kommen. Wir können nicht alles auffangen, was die anderen Kinos gemacht haben.

„Wir sind kein kommerzielles Kino

Wird sich das Lumière-Programm vielleicht trotzdem verändern? Zum Beispiel habt ihr oft auch Filme, die im Stern liefen, erst ein halbes Jahr später selbst gezeigt.

Wir werden den einen oder anderen kleinen Film, der im Stern als Erstaufführung gelaufen wäre, hier als Erstaufführung spielen können. Das Profil, dass wir haben, wollen und werden wir aber beibehalten. Wir sind ein Kino mit vielen Kooperationen, das ist auch unsere Aufgabe. Im Gegensatz zu den anderen beiden Kinos sind wir kein kommerzielles Kino, sondern eine öffentlich geförderte Einrichtung. Wir müssen jetzt schauen, dass wir die damit verbundene Aufgabenstellung verbinden mit der Tatsache, dass es im Augenblick weniger Kinos in Göttingen gibt.

Worin genau siehst du denn eure Aufgabe?

Unsere Aufgabe ist es, verstärkt solche Filme zu zeigen, die im weitesten Sinne gesellschaftswissenschaftlichen Anspruch haben, die Inhalte transportieren, die Anregungen geben, über Gesellschaft nachzudenken. The Green Wave ist da ein gutes Beispiel. Oder Dokumentarfilme, die es sonst auch selten gibt. Oder Filme in der Originalfassung mit Untertitel und alles, was es in den anderen Kinos nicht zu sehen gibt. Früher haben wir das unter „Andere Filme anders zeigen“ zusammen gefasst.

Trotzdem könnt ihr euch die Filme ja auch gar nicht unbedingt selbst aussuchen, weil die Verleihe die Kinoketten vorziehen…

Als Stern und Cinema noch gespielt haben, gab es eine ganz klare Regulierung im Markt: zuerst das Cinemaxx. Was das Cinemaxx spielen wollte, hat das Cinemaxx gespielt. An zweiter Stelle stand das Stern. Wenn ein Filmverleih genügend Kopien von einem Film hatte, hat das Stern eine zweite Kopie bekommen. Sonst wären Filme wie Die Päpstin oder Black Swan nur im Cinemaxx gelaufen.

Wenn das Cinemaxx einen Film nicht wollte, hat ihn das Stern bekommen. Wenn das Stern ihn auch nicht wollte, dann bekam ihn das Cinema. Und wenn das Cinema ihn nicht gespielt hat, dann haben wir ihn gespielt. So ungefähr war die Reihenfolge.


Hat reihenweise Kinosessel aus dem Sterntheater gekauft: Willi Arnold

Wie kam es denn genau zu dieser Hierachie?

Wir spielen Filme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht so lange, bis sie ausgelutscht sind. Das hat das Stern gemacht und das macht auch das Cinemaxx. Wir geben dem Filmverleih also nicht die Garantie, dass wir den Film drei oder vielleicht sogar fünf Wochen spielen, sondern wir haben ein Festprogramm. Unsere Grenze liegt bei zehn oder 14 Tagen, wir spielen keinen Film drei Wochen lang. An diesem Kriterium hat sich das immer ausgerichtet. Sobald das Cinema zugesagt hat, einen Film drei Wochen lang zu spielen, war klar, dass der Verleih ihn nicht ans Lumière gibt.

Im Augenblick kommt nach dem Cinemaxx gleich das Lumière. Wir könnten jetzt auch bekanntere Filme bekommen, wenn das Cinemaxx sie nicht will.

Macht sich denn das Fehlen der anderen Kinos bereits in den Besucherzahlen bemerkbar?

Sie sind leicht gestiegen im Februar. Das kann aber auch an den Filmen liegen. Wobei wir Filme gezeigt haben, die vorher wahrscheinlich im Stern gelaufen wären.

Generell klagen Kinos ja gerne über einen Rückgang der Zahlen, auch die Programmkinos. Woran liegt das denn? Ist das Internet schuld?

Neben den digitalen Medien gibt es nicht mehr so viele starke Programmkinofilme. Es gibt jede Menge kleine Stoffe, aber es gibt wenig Filme, die eine große Sogkraft haben. Drittens gibt es sehr viele Filme, die sich gegenseitig auch ein bisschen kannibalisieren. Es kommt sehr viel gleichzeitig auf den Markt, in schlimmen Wochen bis zu 15 Filme. Bevor sich einer davon so richtig durchsetzt, kommt schon wieder der nächste. Kino funktioniert aber über Mundpropaganda. Ein Film kriegt richtig gute Zuschauerzahlen, wenn die Leute, die ihn schon gesehen haben, darüber reden.

Im Bereich der Uni kommt noch der Streß des Bachelor-Studiums dazu. Das hat überall zu sinkenden Zuschauerzahlen geführt. Wir haben im Lumière in den letzten Jahren sinkende Zuschauerzahlen gehabt, das Cinema auch und das Stern ist auch wegen sinkender Zuschauerzahlen in die Unrentabilität gegangen.

Wie wirkt sich denn die Einführung von 3D-Filmen auf Kinos wie das Lumière aus? Sie werden hier ja wahrscheinlich nie solche Filme zeigen können…

Nö, ich glaube auch, das ist nicht nötig. Ich habe erst einen 3D-Film gesehen. Das ist was fürs Cinemaxx, für so ein Action geneigtes Publikum und ich glaube nicht, dass sich das durchsetzen wird. Das ist mehr so’n Gag, die Sensation wird nicht so sensationell sein. Es sei denn bei so einem Teenie-Publikum, dass so Popcorn-mäßig da rein rennt … Für Kinos wie das Lumière wird das nicht laufen, auch deshalb, weil wir die Anlagen gar nicht bezahlen können.

„Die Bachelorisierung an der Uni hat uns Besucher gekostet

Aprospos Teenie-Publikum. Wie sieht es denn mit Nachwuchs für Kinos wie das Lumière aus? Gibt es den?

Ich glaube, dass das Publikum im Arthouse-Bereich in der Tendenz eher älter wird. Die Bachelorisierung an der Uni hat uns auf jeden Fall Besucher gekostet. Das ist ein viel stressigeres Studium für den ganzen Bereich der Philologie. Für die Naturwissenschaften hat sich nicht so dramatisch viel verändert, der Streß ist jetzt in allen Fächern gleich hoch. Das führt zu einem anderen Freizeitverhalten.

Außerdem sind in Göttingen viele medienaffine Fachbereiche geschlossen worden. Der ganze Bereich Publizistik und Kommunikationswissenschaften und auch die Lehrerausbildung. Ich glaube, dass diese Sachen mit dazu beigetragen haben, dass es schwieriger ist, ein jüngeres Publikum zu erreichen. In den Anfängen des Lumières ist das Publikum studentischer gewesen. Hier ein Laptop, da ’ne DVD, hier der Bachelor, so kommen die Sachen zusammen.

Nichts desto trotz wird ja das Lumière allein ob seiner öffentlichen Förderung in absehbarer Zeit nicht in die Lage kommen, schließen zu müssen…

Nein, davon gehe ich eigentlich nicht aus. Durch die Veränderung in der Kinolandschaft ist es für uns entspannter geworden. Nicht, dass wir es gewollt hätten. Wir hatten ja auch nichts damit zu tun, es ist die wirtschaftliche Entwicklung gewesen. Es gäbe aber auch den Markt für ein zweites Kino da. Wir hoffen also nicht, dass das Cinema nicht wieder aufmacht, im Gegenteil. Für die Göttinger wäre es schön, wenn es mehr als nur ein Programmkino geben würde. Es wird bei uns den einen oder anderen größeren Film zusätzlich geben, was dem Lumière sicherlich nicht schadet.

Artikel teilen


Themen

, ,

Ein Kommentar auf "Übrig bleiben kleinere Filme"

Schreibe einen Kommentar

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar zu schreiben. Anmelden | Registrieren

Bitte lese dazu unsere Regeln und Hinweise zum Kommentieren.