Prozess wegen falscher Verdächtigung

Lügende Polizisten vor Gericht
von am 15. August 2010 veröffentlicht in Politik, Polizei & Justiz, Titelstory

Drei Polizisten aus Hannover wird gerade vor dem Göttinger Amtsgericht der Prozess gemacht. Der Vorwurf: falsche Verdächtigung. Sie hatten einen Journalisten beschuldigt, ein nun aufgetauchtes Video widerlegt aber die Schilderungen der Beamten. Der Prozess ist eine Farce.

Eigentlich sollte es im Amtsgericht am vergangenem Dienstag um die Widersprüche zwischen den Aussagen der Polizisten und dem Video eines Bürgerjournalisten gehen. Diese waren eigentlich offenkundig: Die Polizisten hatten ausgesagt, der Journalist M. hätte sie durch Ziehen an der Uniform und einen Tritt an der Durchführung einer Festnahme hindern wollen. Das war im Oktober 2006 im Rahmen der Proteste gegen eine Neonazi-Kundgebung vor dem Bahnhof. Die fragliche Szene spielte sich in der Groner Straße vor dem Geschenkartikelgeschäft „Nanunana“ ab. M. Gegen M. wurde daraufhin wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte ein Strafverfahren eingeleitet. Das Amtsgericht lehnte es allerdings ab, die Hauptverhandlung zu eröffnen. Grund: mangelnde Aussicht auf eine Verurteilung.

Das nachträglich aufgetauchte Video zeichnet ein anderes Bild der Situation. Deutlich ist zu sehen, wie M. den Polizeibeamten, der gerade mit einer brutalen Festnahme beschäftigt ist, mit der flachen Hand berührt, um auf sich aufmerksam zu machen. „Was soll das denn?“ ruft M. Er habe sich Sorgen um die Gesundheit des Festgenommenen gemacht, weil der Beamte offenbar „wütend“ gewesen sei und „die Kontrolle verloren“ habe, sagte M. vor Gericht. Als „eindeutigen Angriff auf einen Polizeibeamten“ bezeichnete der Zugführer der drei Angeklagten, der als Zeuge geladen ist, die in dem Video zu sehende Situation.

Eigentlich hätte ein Abgleich von Polizeiaussagen und Videodokumentation ausgereicht um festzustellen, dass die Angeklagten in ihren Zeugenaussagen gelogen hatten. Doch die Verhandlung zog sich sieben Stunden in die Länge und wurde auf kommenden Mittwoch vertagt. Verhandelt wurde über viel mehr als nur das „richtig oder falsch“ der damaligen Aussagen der Angeklagten.

Zunächst drehte sich die Verhandlung lange Zeit darum, wie aufwühlend für die Beamten ein solcher Einsatz in Göttingen ist. Denn immer, wenn die Beamten in die Universitätsstadt reisten, hätten sie ein ungutes Gefühl im Bauch, sagte einer der drei Beamten. Stets käme es zu Ausschreitungen des „militärisch agierenden“ schwarzen Blocks, Göttingen habe „erheblichstes Gewaltpotential“. Über die Praxis des schwarzen Blocks lernten die Zuhörer*innen auch einiges, zum Beispiel, dass er immer wieder Polizisten in Hinterhalte locke und miut Zwillen auf sie schieße. Aus allen erdenklichen Richtungen könnten die Beamten jederzeit von Gegenständen getroffen werden. Das alles müsse man bedenken, wenn man die Situation in der Groner Straße richtig beurteilen wolle – obwohl die fragliche Situation der erste Kontakt mit Demonstrierenden für die angeklagten Beamten an diesem Tag gewesen sei.

Und die Beamten mussten richtig Angst haben an ihrem Kontrollpunkt weit entfernt von jeglichem Demonstrationsgeschehen. Sogar Zivilisten hätten ihre Maßnahmen durch Nachfragen nach dem Grund gestört. „Es gab also eine grundagressive Stimmung in der Stadt“, wertete der Angeklagte das Interesse der Bürger*innen an den Personalienkontrollen. Aus dieser Situation heraus habe man als Polizist zum eigenen Schutz eine „eigene Wahrnehmung“. Da könne man keine 100%ige Aussage treffen.

Viel gestritten wurde darüber, wie die fragliche Berührung zu bewerten sei. War es nun ein Tippen oder ein Schubsen? Von einem Ziehen ist keine Rede mehr, diese Behauptung widerlegt das Video eindeutig. Einer der Anwälte argumentiert gar, dass der stämmige Polizeibeamte durch die Berührung ins Wanken gekommen sei. Die Schutzausrüstung der Polizei sei dermaßen gut gepolstert, dass selbst ein Schlag mit einem Baseballschläger keine blauen Flecken hinterlasse. Folglich müsse die Berührung mit großer Kraft ausgeführt worden seien, sonst hätte der Beamte sie schließlich gar nicht bemerken können. Etwas später argumentiert einer der Rechtsbeistände, der Schlagstock, den der berührte Polizist auf dem Rücken trug, habe vermutlich die Berührung verstärkt. „Für den einen ist es ein Ziehen, für den anderen ein Anfassen, objektiv ist es ein Stoß“, relativierte ein Angeklagter seine falsche Aussage nach dem Einsatz.

Die Anwälte der Verteidigung übten sich in Missachtung der gerichtlichen Gepflogenheiten. Bei Befragungen fielen sie Richter und Mandant immer wieder ins Wort. „Aber Herr X., war das nicht eigentlich so?“ unterbrach einer der Verteidiger die Aussage seines Mandanten offensichtlich in der Absicht, diesen am munteren weiteren Berichten der eigenen Wahrnehmung zu hindern.

Immer wieder musste Oberstaatsanwalt Hans Hugo Heimgärtner Ordnung in den Gerichtssaal bringen. Der Richter selbst ließ sich einiges bieten, war zum Schluß aber sichtlich genervt vom Verhalten der Verteidigung. Kritisch fragte Heimgärtner auch nach, warum eigentlich die ganze Zeit von „Störern“ die Rede sei und ob die schwarze Kleidung der einzige Grund für die Personalienkontrollen gewesen sei.

Um zu klären, ob die schriftliche Aussage des einen Angeklagten tatsächlich dessen Worten entsprach oder der die Aussage aufnehmende Beamte womöglich selbst interpretiert hat, soll letzterer zum nächsten Termin geladen werden. Denn der Angeklagte selbst kann sich daran nicht mehr erinnern. Ebenfalls erwartet wird eine Kollegin der drei Angeklagten. „Was soll die schon sagen?“, fragten sich die Beamten nach der Verhandlung im Gerichtsflur. „Die muss das selbe sagen, wie wir, und dann kriegt sie auch eine Anzeige!“

Fortsetzung folgt: am 18. August um 9 Uhr im Göttinger Amtsgericht.

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7 Kommentare auf "Lügende Polizisten vor Gericht"

  1. hm sagt:

    da überlege ich mir ob ich mir das am mittwoch mal anschaue…

  2. Rakete sagt:

    Die Beamten wurden soeben freigesprochen. Mehr in Kürze.

  3. Captain Banane sagt:

    „We all live in a Bananenrepublik, hey, Bananenrepublik, hey, Bananenrepublik, hey“

    (Music: The Beatles, Text: Göttinger Amtsgericht)

  4. mamabär sagt:

    1. „Wie einer der Beamten im Prozess aussagte, hätten Polizisten in so einem Einsatz zum eigenen Schutz eine „eigene Wahrnehmung“ und könnten „keine hunderprozentige Aussage treffen.“ Entsprechend widersprachen sich die drei Angeklagten in ihren Aussagen auch im Detail.“
    2. „´Es sei den Beamten nicht nachzuweisen gewesen, dass sie vorsätzlich falsche Angaben gemacht hätten. Die Polizisten seien aufgrund der hohen Belastung an diesem Tag „körperlich und geistig nicht in dem Zustand, den wir uns von einem Zeugen wünschen würden“ gewesen, so der Richter.
    3. „Aber wir können von Polizisten auch nicht immer Überdurchschnittliches erwarten“, sagte Malskies.
    (aus dem von rakete verlinkten taz-artikel)
    1. eine eigene wahrnehmung haben und keine 100%igen aussagen treffen können – da wird also von ihnen selbst mal zugegeben, dass bullenzeugen juristisch unbrauchbar sind, sowieso die realitiät im einsatz anders wahrnehmen, nicht genau wissen, was sie tun, und sich dann aber dennoch für geeignet halten, über anzeigen, festnahmen, körperlichen zwang zu entscheiden.
    2. wieso darf wer körperlich und geistig nicht in dem zustand ist, die geschehnisse zu beurteilen, überhaupt über die bewegungsfreheit, die körperliche unversehrtheit, die frei meinunsäußerung entscheiden?
    3. in der theorie ist von jedem bullen zu erwarten, dass er seinen job macht. für mich wer das unter umständen vielleicht auch überdurchschnittlich, aber einE bus- oder fernfahrerIn ist für mich auch überdurchschnittlich, die machen ihren job.

    der freispruch war eh nicht anders zu erwarten, denn schließlich machen justiz und cops ja einen anderen job, wo es nunmal dazugehört mißliebige menschen zu verknacken, zu verdreschen oder einzusperren.
    als begründung anzuführen, dass die beteiligten eben gerade nicht in der lage ihren „normalen“ job zu machen, ist mir allerdings recht neu

  5. Jansen sagt:

    „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Polizeibeamte Widersprüche (in ihren Aussagen) untereinander absprechen“, sagte Malskies.

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