Happy End in der Roten Straße?
von am 12. Juni 2010 veröffentlicht in Antirassistische Politik & Verfolgung, Politik

Offensichtlich stellt sich sämtliche Kritik, die am polizeilichen Vorgehen um das Feuer im Kreishaus und die Hausdurchsuchung in der Roten Straße geübt wurde, als richtig heraus. Einem Bericht des Göttinger Tageblatts zu Folge soll das Ermittlungsverfahren eingestellt werden, Beschuldigte hätten Staatsanwaltschaft und Polizei nicht ausfindig machen können. Der angeblich „szenetypische Brandsatz“ stellt sich als manipulierte Klebstofftube heraus.

Hintergrund:
Nachdem im Januar ein Brandsatz für ein Feuer in der Teeküche der Ausländerbehörde im Göttinger Kreishaus gesorgt hatte, starteten Polizei und konservative Politiker*innen eine förmliche Hetzkampgagne gegen die linke Szene Göttingens. Die „Schwelle zum Terror“ sei überschritten worden, waren die ersten Worte des neuen Verfassungsschutzpräsidenten Hans Wargel Ende Januar. Begleitet von zahlreichen offenkundigen Widersprüchen durchsuchte die Polizei eine linke WG in der Roten Straße und sprach von Spuren in die „linksextreme Szene“, ohne auch nur einen Beweis vorgelegt zu haben.

Für die vier Bewohner*innen der im Januar durchsuchten WG haben die Ermittlungen dem Bericht zu Folge keine weiteren Konsequenzen – ihnen konnte nichts angehängt werden. Ohnehin hatten die Spürhunde, die angeblich eine Spur vom Kreishaus in die Rote Straße gefunden haben sollen, bei ihnen nicht angeschlagen – was die Polizei nicht von entsprechenden Vorverurteilungen abgehalten hatte. Es ist nun offenbar auch klar, was die Beamt*innen den Hunden unter die Nase gehalten hatten, bevor sie vor die linke WG gelaufen sein sollen: Ein „beschrifteter Pappdeckel“, schreibt Jürgen Gückel im GT, „der entfernt vom Anschlagsort im Treppenhaus gefunden wurde, den außer dem Verlierer mindestens drei Personen in der Hand gehabt hatten und dessen Text sich gegen Abschiebung und die Asylpraxis der Ausländerbehörde des Kreises richtet.“

Ein „in der Nähe des Tatortes“ gefundenes Flugblatt musste zunächst herhalten, um den Brand im Kreishaus zu einem politischen Anschlag zu stilisieren. Die Polizei hatte nach der Durchsuchung unter Verschluss gehalten, was genau sie dem Hund unter die Nase gehalten hatten. Jetzt wird offenbar, dass es eben jenes Flugblatt war, das eigentlich nur beweist, dass Linke etwas gegen Abschiebungen haben, wie es nun auch das GT erkennt.

Die Beweiskraft der der Hausdurchsuchung zu Grunde liegenden Indizien: gleich null. (Siehe auch unser Artikel vom 3. Februar: „Die Sache mit dem Hund“) Offensichtlich braucht die Polizei so etwas nicht, wenn es ihr um die Missachtung des Rechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Grundgesetz) geht. Eine politische, medienwirksame Kampagne gegen unliebsame Mitbürger*innen reicht zur Rechtfertigung aus.

An der Einschätzung des Rechtsanwalts der durchsuchten Bewohner*innen, die Hausdurchsuchung sei rechtswidrig gewesen, ändert das freilich nichts – im Gegenteil. Die Klage gegen die Durchsuchung vor dem Amtsgericht läuft allerdings noch. Rechtsanwalt Sven Adam rechnet erst in den nächsten Monaten mit einem Beschluß. Zu einer öffentlichen Verhandlung werde es nicht kommen, die Sache werde im schriftlichen Verfahren verhandelt, so Adam.

Die Staatsanwaltschaft hat nach den GT-Angaben auch Details des angeblich „szenetypischen unkonventionellen Brand- und Sprengsatzes“ gelüftet, der zum Feuer im Kreishaus geführt haben soll. Es handelte sich dabei im Wesentlichen um eine Tube Klebstoff und ein paar Streichhölzer. Eine Konstruktion, wie sie wohl jede*r, nicht nur vermeintliche „Linksextremisten“, zu Stande bringen würden.

Medien & Polizei

Polizeireporter Gückel, dem polizeilichen Treiben in diesem Fall durchaus kritisch gegenüber stehend, hatte Ende April schon ganz andere Töne angeschlagen. Nachdem das LKA auch von einem irgendwie typisch linken Sprengsatz gesprochen hatte, ohne die Untersuchung zu veröffentlichen, sah Gückel „krude Verschwörungstheorien“ als widerlegt an. „Tatsachen muss man ins Auge sehen“, schrieb er und meinte damit, dass dem Brand im Kreishaus ein linker Anschlag zu Grunde liegen müsse und damit alle Ungereimtheiten aus der Welt geschafft wären. Den Tatsachen ins Auge sehen tut der GT-Reporter in seinem neuesten Kommentar dann auch: „Voreilige Schlüsse aus derart schwacher Spurenlage als Beweis zunehmender Gewalt von Links zu bewerten, ist ebenso dilettantisch – oder war politisch gewollt“, schreibt Gückel über das polizeiliche Vorgehen. Und damit hat er recht.

Das Ganze war offensichtlich ein Paradebeispiel für das politisch motivierte Vorgehen der Polizei gegen die linke Szene. Medienwirksam wurde gehetzt und damit das Fehlen von Beweisen überspielt, womöglich unter der Federführung des CDU-Innenministeriums. Die Medien, allen voran die HNA, haben dieses Spiel zum großen Teil unkritisch mitgespielt. Jetzt ist klar, dass die Polizei bewusst gehetzt und gelogen hat – eigentlich ein Skandal. Doch den großen Aufschrei in der bürgerlichen Öffentlichkeit wird es kaum geben. Die Polizei wird versuchen, den Ball flach zu halten und mit Stellungnahmen zu geizen. Etwas anderes bleibt ihr auch gar nicht übrig, denn ihr Vorgehen hatte so wenig mit Rechtsstaatlichkeit zu tun, dass es durch nichts zu rechtfertigen ist.

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3 Kommentare auf "Happy End in der Roten Straße?"

  1. weltgeist sagt:

    obwohl der kommentar von gückel stellenweise ganz lustig war – im prinzip fügt er sich lückenlos in die politik von polizei und provinzpresse der vergangenen monate: nachdem man einfach jede pressemitteilung der polizei übernommen hat, bis sich vermutlich nicht nur in den kommentarspalten des gt der eindruck breit gemacht hat, göttingen sei fest in der hand marodierender und brandschatzender linksextremisten, wird nun noch einmal die arbeit der ermittler gelobt und gleichzeitig „rechtstaatlichkeit“ eingefordert. ein happy end sieht anders aus, auch wenn man natürlich froh sein muss, dass es der polizei nicht gelungen ist, diese farce noch künstlich zu verlängern…

  2. SpritzKid sagt:

    Dass die Durchsuchung Teil einer politischen Kampagne war oder eben doch notwendiger Bestandteil von Repression gegen Leute, die weiter als von der Tapete bis zur Wand denken, steht weiterhin zur Diskussion. Diese sollte z.B. auf der Veranstaltung über „den Extremismusbegriff und seine praktischen Folgen“ von der Gruppe Gegenstrom am kommenden Dienstag im Theo geführt werden.

    Sehen wir mal, wie es weiter geht. Spannend bleibt es in unserem beschaulichen Dorf allemal!

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