Gelesen: „Rote Straße“ von Wolf S. Dietrich
von Rakete am 28. August 2009 veröffentlicht in gelesenGöttingen 1968. Die Universitätsstadt ist geprägt von der Studentenbewegung und ihren Aktionen. In dieser Zeit spielt die Hälfte des Krimis „Rote Straße“ von Wolf S. Dietrich, die zentralen Figuren der Geschichte wohnen allesamt in der WG „Rote Grütze“ in einem der selbstverwalteten Studentenwohnheime in der Roten Straße.
„Die Rote Straße war ’68 Sitz der studentischen Linken, da war ihre Keimzelle“ erzählt der Autor im Gespräch. „Die haben dort ihre Ideen ausgebrütet.“ Rainer, einer der Protagonisten des Romans lebt in dieser Zeit dort – und taucht in der Gegenwart wieder auf.
Denn: Die andere Hälfte des 248 Seiten dicken Buchs spielt in eben dieser der Gegenwart. Ein Mord will aufgeklärt werden, der sein Motiv in den 60er Jahren hat. Kurz nachdem Rudi Dutschke seine erste Rede in Göttingen hielt, wie es im Krimi beschrieben ist. All das wird spannend erzählt und Stück für Stück von einer Journalistin der Gegenwart aufgedeckt. „Meine Protagonistin Anna Lehnhof merkt, dass mit einem Todesfall im Jahr 2009 etwas nicht stimmt und macht sich auf Spurensuche“, erzählt Dietrich. „Je länger sie gräbt, desto tiefer kommt sie in die Vergangenheit.“
Es ist nicht der erste Göttingen-Krimi, den Dietrich geschrieben hat. Nach „Grobecks Grab“, „Die Tote im Leinekanal“ und „Johannisfeuer“ ist es bereits der vierte. Sie alle spielen in Göttingen und bedienen sich der selben, zentralen Charaktere: der besagten Journalistin Lehnhoff, die Bekanntschaft mit einem Polizisten macht und später auch mit ihm zusammen kommt. „Das ist das Ermittlergespann, das in allen vier Krimis auftaucht“, sagt Dietrich.
Eine Besonderheit an der Geschichte ist wohl, dass an ihrem Anfang kein Verbrechen steht. Das kommt erst in der Mitte des Buches. Dietrich hat sich bewusst dafür entschieden, wie zum Beispiel auch dafür, die Hauptprotagonistin seines Krimis eine Frau sein zu lassen – weil Ermittler in anderen Kriminalromanen fast immer Männer sind, meint der Autor: „Ich versuche, Krimis so anzulegen, dass sie nicht dem Üblichen entsprechen.“ Weil es die klassischen Konstellationen so viel gäbe, habe er etwas anders machen wollen. „Ich versuche, andere Ermittler mit einzubeziehen und die Geschichten anders zu konstruieren“, erzählt der Autor.
„Rote Straße“ spielt in Göttingen – und das hat durchaus seinen Reiz. Als BewohnerIn dieser Stadt findet man sich schnell in der Geschichte wieder. Der Streit um den Bau der Südumgehung, der Mord im Bowlingcenter oder die so genannte Göttinger Bettelaffäre – sie alle gehören zur Rahmenhandlung des Krimis. Und wenn die ProtagonistInnen durch Göttingens Staßen fahren, dann wird der Autor nicht müde, jede einzelne davon aufzuzählen. Dann wirkt es manchmal ein wenig zu sehr gewollt, als wenn der lokale Bezug mit dem Dampfhammer eingeprügelt werden soll. Aber trotzdem ist „Rote Straße“ ein ungewöhnliches und spannendes Buch, dass zu lesen sich wohl nicht nur, aber insbesondere für Bewohner Göttinges lohnt.
Rote Straße ist im Göttinger Pro Libris Verlag erschienen und für 12 Euro im Buchladen Rote Straße erhältlich.