Interview zu Pluralität in den Wirtschaftswissenschaften
Globaler VWL-Frust
von meresh am 5. Mai 2015 veröffentlicht in Diskussion, Gespräche, Titelstory, UnipolitikTeilnehmende einer Veranstaltung der Kritischen Wirtschaftswissenschaften stimmen im letzten Jahr per Papierflieger ab.
Was taugen Wirtschaftswissenschaften, die die Krisen der letzten Jahre weder erklären noch verhindern konnten? Die Frage stellen sich auch angehende ÖkonomInnen. Wir haben anlässlich des heutigen „Global Action Day for pluralism in economics“ mit Zweien gesprochen, die sich in Göttingen für eine kritische Wirtschaftswissenschaft einsetzen.
Am heutigen Dienstag feiern plurale ÖkonomInnen weltweit einen „Global Action Day“. Genau vor einem Jahr verabschiedete das internationale Netzwerk studentischer Initiativen für Pluralismus in den Wirtschaftswissenschaften einen breit rezipierten Apell, der zur Umstrukturierung und Neuausrichtung des Faches aufrief. In Göttingen findet dazu am heutigen Dienstag Abend um 18 Uhr ein Streitgespräch zum Thema Normativität in den Wirtschaftswissenschaften statt.
An der Göttinger Uni treibt die Hochschulgruppe Kritische Wirtschaftswissenschaften (ehemalig Kritische Ökonomie) diese Vorhaben voran. Deutschlandweit sind sie im Netzwerk Plurale Ökonomik organisiert. Wir haben uns mit Max und Sascha der Hochschulgruppe getroffen und ihnen einige Fragen zum Thema gestellt.
Für Dienstag Abend habt ihr eine Veranstaltung organisiert, in der im Podiumsformat die Normativität der Wirtschaftswissenschaften diskutiert werden soll. Ist das nicht eigentlich eine Frage, die sich eine Wissenschaft ständig selbst stellen sollte, die nicht von einer studentischen Initiative herangetragen werden muss?
Max: Das stimmt. Eine Wissenschaft sollte den eigenen normativen Standpunkt stets reflektieren. Allerdings besteht in der herrschenden (ökonomischen) Lehrmeinung ein gewisser Konsens darüber, dass die Wirtschaftswissenschaften so etwas wie einen „positiven Kern“ aufweisen. Es gäbe also wirtschaftswissenschaftlich feststellbare Tatsachen, die völlig frei von Werturteilen und somit auch nicht politisch seien. Angesichts z.B. der unter den Ökonomen verbreiteten Meinung, dass Mindestlöhne „schädlich für die Wirtschaft“ seien – wie so schön von den sog. Wirtschaftsweisen verkündet – gilt es, mindestens diese Auffassung von „wertfreier“ Wissenschaft zu hinterfragen. In diesem Sinne haben wir Gäste zum Streitgespräch eingeladen, die sehr unterschiedliche Positionen vertreten. Wir wollen damit eine grundlegende wissenschaftliche Frage aufgreifen, die im Curriculum keinen Platz findet.
Normativität in der Wissenschaft stellt ja eine wissenschaftstheoretisches Problem dar. Inwiefern werden Studierende des Faches denn ausgebildet, um sich damit auseinandersetzen zu können? Finden denn keine Debatten um die Behaftung mit Normen innerhalb des Studium statt?
Max: Das wirtschaftswissenschaftliche Studium bietet keine Kompetenzen zur Behandlung von Fragen dieser Art und das ist vielleicht auch gar nicht so schlimm. Letztendlich kann ja ein gewisser Grad an Arbeitsteilung zwischen den Disziplinen sinnvoll sein. Bedauernswert ist allerdings, dass grundlegende Fragen wie die Normativitätsfrage kaum behandelt werden. Die herrschende Lehrmeinung zu dieser Frage wird – wenn überhaupt – in zwei oder drei Sätzen ohne jegliche Problematisierung vermittelt. Die Bekanntmachung und Diskussion unterschiedlicher Positionen zu diesem, aber auch zu anderen Themen, sollten eine Selbstverständlichkeit für das Studium darstellen.
Am Dienstag finden in 11 Ländern weltweit Aktionen statt, die auf die Einseitigkeit in den Wirtschaftswissenschaften hinweisen sollen. Sind bei einem solchen Druck denn auch Änderungen in Lehre und Forschung absehbar?
Sascha: Ja, genau, ich bin immer wieder beeindruckt wie global unsere Bewegung ist. Es sind nicht nur 12 Gruppen in Deutschland die Aktionen an Unis veranstalten sondern auch z.B. 4 Gruppen in Argentinien, eine Gruppe in Peking, eine in Melbourne, Australien, usw. Ich hoffe, dass die Bewegung noch weiter wächst, denn das ist nötig damit die Mainstream-Ökonomie gezwungen ist sich tiefergreifend mit den Themen zu beschäftigen. Es gibt zwar viele positive Rückmeldungen und Unterstützung für alternative Lehrinhalte – auch an der Uni Göttingen. Jedoch entsteht bei mir der Eindruck, dass Akteure die maßgeblich die wirtschaftswissenschaftliche Agenda beeinflussen, alternativen Lehr- und Forschungsinhalte zwar als ‚interessanten Gedanken‘ wahrnehmen, aber im Prinzip nicht ernst nehmen. Ich glaube, dass der dogmatische Ausschluss von Ideen zutiefst problematisch ist für eine Disziplin, welche soviel Einfluss auf die materielle und soziale Ausgestaltung von gesellschaftlichem Leben hat.
Medien wie die Süddeutsche Zeitung oder das Handelsblatt greifen die Debatte um Pluralität in den Wirtschaftswissenschaften in letzter Zeit immer wieder auf. An was hängt es derzeit noch, damit sich eurer Meinung nach die Lage verbessert?
Sascha: Es ist schon komisch, wenn Debatten, wie z.B. die Diskussionen um nachhaltiges Leben, lange Zeit in der Öffentlichkeit geführt werden, doch in einer zentralen Disziplin wie den Wirtschaftswissenschaften erst Jahre später ankommen. Es scheint, dass die Debatte um die Richtigkeit der ökonomischen Theorien, welche nach der Finanzkrise 2008 auch in der Wissenschaft geführt wurde sehr schnell an Wirkung verloren hat. Die Wirtschaftswissenschaft ist zwar sehr dynamisch was etwa die Themen anbelangt, die gerade ‚en vogue‘ sind, doch bewegen diese sich alle in dem gleichen ideellen Rahmen. Sie sind oft sehr kleinteilig und arbeiten sich an mathematischen Modellen ab. Mehr Grundlagenforschung über die Grundannahmen unseres Wirtschaftens wäre sicherlich wichtig.
Um das zu erreichen sind Hypes wie um das Werk von Thomas Piketty essentiell, denn dann werden Grundlagendebatten geführt. Doch letztendlich muss sich die Forschungsgemeinde, allen voran die ProfessorInnen, weiter alternativen Ansätzen öffnen. Dafür ist die Arbeit von Hochschulgruppen genauso essentiell wie die in Medien geführten Debatten. Auch die Universitätsverwaltung kann bei der Berufung von wirtschaftswissenschaftlichen Lehrstühlen darauf achten, dass alternative Inhalte mehr Platz finden.
Eure Veranstaltungen erfreuen sich in letzter Zeit eines großen Publikums. Wo soll es denn noch weiter hingehen mit eurer Gruppe hier in Göttingen und mit dem Netzwerk Plurale Ökonomik deutschlandweit?
Sascha: Da wir uns basisdemokratisch organisieren ist die Frage nach der Bewegungsrichtung unserer Gruppe und des Netzwerks immer eine etwas offene. Was wir gerade bemerken ist, dass sich immer mehr Menschen kritisch mit ihrem wirtschaftswissenschaftlichen Studium auseinander setzen wollen und dass die Göttinger Gruppe weiter wächst. Deshalb bin ich mir sicher, dass wir weiter Lehrveranstaltungen, Podiumsdiskussionen und andere inhaltliche Auseinandersetzung veranstalten und so weiter den Diskussionsraum für andere Sichtweisen auf die Wirtschaftswissenschaften aufspannen. Ich glaube der Bedarf für Änderung ist da und deshalb werden unsere Bemühungen auch in größeren Kreisen fruchten.
Termintip:
Bei dem Streitgespräch mit dem Titel „Wie politisch sind die Wirtschaftswissenschaften?“ diskutieren heute Abend Prof. Dr. Michael Weimann (Universität Magdeburg) und PD Dr. Ulrich Thielmann (MEM-Denkfabrik für Wirtschaftsethik, Berlin). Die Moderation führt Dr. Alex Engel (Universität Göttingen). Die Veranstaltung findet um 18 Uhr im ZHG 008 am Göttinger Zentral Campus statt.