Weiterhin streit um die Nutzung des ehemaligen Wohnheims in der Geiststraße

Auf die Besetzung folgt der Umbau
von am 19. Juni 2014 veröffentlicht in Soziale Bewegungen, städtisches, Titelstory, Unipolitik

Am 17. Juni 2014 wurde das Wohnheim in der Geiststraße erneut besetzt.

Um ihre Forderung nach bezahlbaren Wohnraum zu bekräftigen, haben AktivistInnen am Dienstag das ehemalige Wohnheim in der Geiststraße besetzt. Zahlreiche BesucherInnen nutzten die Gelegenheit sich im leerstehenden Gebäude umzusehen. Derweil hat die Universität bekanntgegeben, dass der Umbau des Gebäudes zum Forschungszentrum Juli beginnen sollen.

Das seit 2010 leer stehende Wohnheim in der Geiststraße ist am Dienstagabend neu besetzt worden. Nachdem zunächst einige Aktivist*innen den Hauseingang von Bretterverschlägen befreit hatten, sorgte die Nachricht schnell dafür, dass vor und in dem Wohnheim die Besetzung mit Musik und herbeigeschafften Getränken ihren Lauf nahm. Die Polizei war zwar von Anfang an vor Ort, hielt sich aber zunächst zurück und schickte lediglich regelmäßig zivile Fahrzeuge zur Kontrolle an der Straße vorbei.

Die Besetzung ist nicht die erste, die auf diese Situation hinweisen soll. Zuletzt wurde das Gebäude im Oktober 2013 besetzt (wir berichteten). Seit 2010 die Universität dem Studentenwerk die Nutzung und dies wiederum den Bewohnern gekündigt hatte, steht das Gebäude leer. Die Universität beteuerte zwar, das Gebäude für ein Kooperationsprojekt mit der Akademie der Wissenschaften nutzen zu wollen. Statt einer Nutzung erfolgte allerdings lediglich eine Entkernung des Gebäudes – es stand weiterhin leer.

Umbauarbeiten sollen im Juli beginnen

Dies soll sich nun ändern: Der Rohbau soll Romas Bielke von der Pressestelle der Universität zufolge im Juli beginnen. Die Fertigstellung ist für 2015 geplant. Finanziert wird das 2,6 Millionen Euro teure Projekt aus Eigenmitteln der Universität. Die Kosten sollen Bielke zufolge durch die anschließende Vermietung an die Akademie der Wissenschaften refinanziert werden. Die Akademie der Wissenschaften ist eine Einrichtung des Landes Niedersachsen, die laut Selbstdarstellung „über 20 Langzeitprojekte von nationalem und internationalem Rang“ betreut. Ursprünglich wurde der Umzug der Akademie der Wissenschaften in die Geiststraße noch zu Zeiten der Exzellenzinitiative geplant. Mit dem Wegfall des Status als Elite-Universität scheint der Universität jedoch zwischenzeitlich die Finanzierung weggebrochen zu sein.

Kommentar: Knapper Wohnraum ist kein Schicksal

Der Umzug der Akademie der Wissenschaften muss nicht sein – von dem Projekt profitieren Studierende in keinster Weise, hier wird leichtfertig Wohnraum vernichtet – zugunsten eines Prestigeprojekts. Auch das Studentenwerk tut wenig, um die Auswirkungen der rasant steigenden Mieten abzufedern: Neue Wohnheime lassen weiter auf sich warten, viel mehr stehen Sanierungen im Vordergrund. Dabei haben viele Sanierungsvorhaben des Studentenwerks ebenfalls zu Preissteigerungen geführt: Im Kreuzbergring stiegen nach Sanierungen die Monatsmieten um bis zu 80%, auch im Bezug auf den Rosenbachweg kursieren Mietsteigerungen von fast 100%. Der Mangel an bezahlbaren Wohnraum in Göttingen ist dementsprechend kein Schicksal. Viel mehr zeigt sich seit Jahren, dass die Lokalpolitik, die Universität und das Studentenwerk zu wenig tun, um günstigen Wohnraum zu schaffen. Die Leidtragenden sind junge Menschen mit häufig kleinem Geldbeutel.

Eine Sprecherin der BesetzerInnen kritisierte dementsprechend, dass das Gebäude mittlerweile seit 4 Jahren leersteht und dass die Universität trotz mehrerer Besetzungen und akutem Wohnraummangel an ihren Plänen festhält. Dabei wäre der Sprecherin zufolge auch jetzt noch eine Nutzung als Wohnraum möglich – solange am „Grundriss  noch nichts geändert sei“. Dies bestätigte auch Hendrik von der Verdi.Jugend, demzufolge ein“ gescheiter Bautrupp das Gebäude in 2-3 Monaten wieder bewohnbar machen könnte“. Bielke zufolge hält die Universität jedoch am Nutzungskonzept der Akademie der Wissenschaften fest.

Den BesetzerInnen von gestern Abend geht es jedoch um mehr: „Insgesamt verschlechtert sich die Wohnsituation durch hohe Neuvermietungspreise  in Göttingen gerade massiv“, so die Antifaschistische Linke International (ALI) in einer Pressemitteilung. Die Sprecherin der der BesetzerInnen spricht diesbezüglich von einer „städtischen Umstrukturierung, von der nicht nur Studis betroffen sein“. Tatsächlich ist Göttingen im Bundesweiten Vergleich Spitzenreiter beim Anstieg der Durchschnittsmieten (Stand 2012). So interessieren sich nicht nur Studierende für die Besetzung in der Geiststraße: Auch Jan von Alvensleben, Jugendsekretär bei der Gewerkschaft Ver.di, findet es wichtig, dass die Wohnungsnot in den öffentlichen Fokus gerückt wird.

Studentenwerk blitzt ab

Zumindest das Studentenwerk geht derweil auf Protestierenden zu: Der Wohnrauminitiative Göttingen zufolge, versuchte Geschäftsführer Jörg Magull auf einer vorherigen Veranstaltung zum Thema Wohnraummangel mitzudiskutieren. Angesichts vorheriger Abmahnungen und Drohungen habe man ihm allerdings den Zutritt zu Veranstaltung verweigert. Für die ALI ist das Studentenwerk für die gegenwärtige Situation mitverantwortlich: Durch Sanierungen und die Umwandlung von Gruppenwohnungen zu Einzelappartements würden „die ohnehin knappen Plätze noch knapper und die Mieten steigen um teils über 100%“. Dabei sollte das Studentenwerk eigentlich „soziale Härte abfedern“, so die ALI weiter.

Bilder:

Das ehemalige Wohnheim - künftig Sitz der Akademie der Wissenschaften

Das ehemalige Wohnheim – künftig Sitz der Akademie der Wissenschaften

Früher Gemeinschaftsraum - nun komplett entkernt.

Früher Gemeinschaftsraum – nun komplett entkernt.

Reichlich Platz: Als Wohnheim bot das Gebäude Raum für mehr als 60 Personen

Reichlich Platz: Als Wohnheim bot das Gebäude Raum für mehr als 60 Personen

Rausgerissen: Die Sanitäranlagen hatte die Universität bereits kurz nach der letzten Besetzung entfernen lassen

Rausgerissen: Die Sanitäranlagen hatte die Universität bereits kurz nach der letzten Besetzung entfernen lassen

Text: Harvey & Topf
Fotos: Chrima

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Ein Kommentar auf "Auf die Besetzung folgt der Umbau"

  1. Baboo sagt:

    Leider geht in diesem Artikel völlig unter, dass sich die Politik der Besetzenden hauptsächlich an den Bedürfnissen von Studierenden orientierte. So war bereits in der vorherigen Veranstaltung, mit dem viel versprechend klingenden Titel „Recht auf Göttingen“, im roten Zentrum wenig von armen Menschen oder Geflüchteten oder anderen präkarisierten Menschen die Rede. In einem Vortag ging es gar eine geschlagene halbe Stunde lang über die Probleme eines einzigen Studierendenwohnheims.

    Der darauf folgende folgende Vortrag über die Häuserkampfgeschichte der Stadt Göttingen war zwar informativ, ließ aber zu wenig auf mögliche Handlungsperspektiven blicken die gemeinsam mit anderen Klassen und Bevölkerungsgruppen umzusetzen wären. Hauptsächlich ging es in der folgenden Diskussion um den Konflikt der Studierenden in Göttingen mit dem Studierendenwerk und wie es möglich wäre die Studierendenwohnheime dem Mietmarkt zu entreissen. Von inklusiver Stadtteilpolitik war nicht die Rede, obwohl nur ein Fünftel der Einwohner*innen Göttingens überhaupt Studierende sind.

    Die anschließende Besetzung war eine auf kurze Dauer ausgelegte Event-Party. Das merkte wohl auch die zunächst anwesende Polizei recht schnell, die sich schnell wieder verzog. Die teilnehmenden Personen der kurzfristigen Besetzung waren, meines Erachtens, zum überwiegenden Großteil aus dem Studierendenmilleu und hauptsächlich unter dreißig Jahre alt. Der an die Wand gesprühte Satz „Refugees welcome“ war zwar mit Sicherheit nett gemeint, aber in das völlig entkerntes Gebäude – ohne Toiletten oder Duschen – wären viele Illegalisierte vermutlich eher still und heimlich eingezogen, als vorher groß auf die Pauke zu hauen.

    Für die Zukunft müssen Perspektiven entwickelt werden, wie die in der Veranstaltung beschriebenen Lebenswelt der Studierenden mit den Bedürfnissen der Stadtgesellschaft zu vereinbaren sind. Die hohe Mobilität in der Stadt, ausgelöst durch das Bachelor- und Mastersystem, muss in so fern kritisch beäugt werden als dass genau hierdurch die Mieten immer schneller steigen (können). Statistisch gesehen ist das aber für viele Studierende nicht sehr schlimm, da diese im Schnitt aus gut situierten Elternhäusern kommen. Es braucht also neue Allianzen und Strategien um auf die Kommerzialisierung von (sozialem) Wohnraum reagieren zu können und das „Recht auf Göttingen“ für alle durchsetzen zu können.

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