Ermittlungen gegen Antifaschisten

Fahndungsfoto 2.0
von am 12. August 2011 veröffentlicht in Polizei & Justiz, Titelstory

Die Göttinger Polizei fahndet nach einem mutmaßlichen Antifa-Aktivisten, der auf einer Demonstration im Mai einen Polizisten geschlagen haben soll. Mit einem Standbild aus einer Videoaufzeichnung versuchen die ErmittlerInnen unter anderem auf Facebook, die Identität des Mannes zu klären.

Mit einer ca. 2 Meter langen Holzsstange soll der Unbekannte den Polizeiangaben zu Folge einen Bereitschaftspolizisten auf den Helm geschlagen haben. Der Polizist sei verletzt worden, „schwerere Verletzungen“ seien aber ausgeblieben. „Irreparabel beschädigt“ sei jedoch der Helm des Polizisten. Die Kripo ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch, am Freitag wurde nun ein Foto des mutmaßlichen Angreifers veröffentlicht.


Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Antifas in der Roten Straße (Foto: Kai Budler)

Das Geschehen soll sich auf einer Demonstration in der Roten Straße nach den Protesten gegen den NPD Parteitag in Northeim abgespielt haben. Etwa 300 Menschen waren dem Aufruf des Göttinger Bündnis gegen Rechts gefolgt und mit dem Zug nach Northeim gefahren. Dort wurden sie stundenlang von der Polizei am Bahnhof eingekesselt und fuhren schließlich unverrichteter Dinge wieder zurück in die Universitätsstadt. Auf der Zugfahrt von Northeim nach Göttingen war es zu gewalttätigen Übergriffen von mitfahrenden Polizisten auf AntifaschistInnen gekommen. Den Göttinger Bahnhof durften diese erst verlassen, nachdem sie zur Anmeldung einer Demonstration gezwungen worden waren. Das Kreistagsmitglied Nicolai Zipfel (Grüne) hatte daraufhin Anzeige wegen Freiheitsberaubung erstattet. Der Polizeieinsatz wurde von vielen Seiten scharf kritisiert. Ein Kontext, den die Polizei in ihrer Fahndungsmeldung wohlweislich unterschlägt.

Kommentar

Dass die Polizei gegen AntifaschistInnen ermittelt, die Gewalt gegen Polizeibeamte ausüben, verwundert nicht – das ist ihr Job. Beachtlich ist allerdings der Tonfall, mit dem sie ihr Tun in der Öffentlichkeit präsentiert. Da ist die Rede von „gewalttätigen Ausschreitungen in der Roten Straße“ und von „enormer Gewalt“ des mutmaßlichen Angreifers. Dass der Beamte offenbar kaum verletzt wurde, wird zur Nebensache erklärt. „Mit welch enormer Gewalt der Angreifer auf sein Opfer einschlug, verdeutlicht die Tatsache, dass die Stange beim letzten heftigen Schlag auf den Kopf des Beamten zerbrach“, heißt es in der Pressemitteilung der Polizei. Diese Formulierungen lassen jede objektive Distanz vermissen, zu der die Polizei eigentlich verpflichtet ist. Dass solche Äußerungen nicht von ihr in die Welt gesetzt werden, wenn Ermittlungen gegen gewalttätige PolizistInnen eingeleitet werden, versteht sich von selbst.

Die Polizei Hannover hat den Fahndungsaufruf auf ihre Facebook-Seite gestellt zusammen mit der Aufforderung an ihre „Fans“, das Foto in dem sozialen Netzwerk weiter zu verbreiten. 85 Personen „gefällt“ das Posting bereits nach wenigen Stunden und zahlreiche NutzerInnen haben angegeben, den Aufruf „geteilt“ zu haben. Der Facebook-Auftritt der Hannoveraner Behörde ist ein Modellversuch, mit dem insbesondere junge ZeugInnen erreicht werden sollen, die „häufiger Opfer von Kriminalität oder selbst einschlägig aktiv“ sind, schreibt die Süddeutsche Zeitung. „Die Zeugenaufrufe in den Zeitungen erwiesen sich hingegen als nutzlos: Deren Leser sind zu alt und zu gesetzestreu.“

Artikel teilen


Themen

, , ,

12 Kommentare auf "Fahndungsfoto 2.0"

  1. Fleischlego sagt:

    O_O
    Das zieht weite Kreise unter der Facebook Gemeinde, wieviele User das ganze auch noch „teilen“

  2. bomberman sagt:

    guckt euch doch die vögel mal an, die das bei facerbook liken. die kommentare von deppen mit deutschlandflagge die „einen schnellen fahndungserfolg“ wünschen oder besser: „solche leute kenne ich nicht“ sind doch noch für den einen oder anderen lacher gut.

  3. winston_wants_victorygin sagt:

    „Die Zeugenaufrufe in den Zeitungen erwiesen sich hingegen als nutzlos: Deren Leser sind zu alt und zu gesetzestreu.“

    Ah ja. Was ist nur aus dem guten alten Denunzianten geworden, allzeit bereit Vater Staat mit einem höchstmaß an vorrauseilender Schleimerei zur Seite zu stehen (oder besser buckelnd zu Füßen zu liegen?) Gibts die etwa nicht mehr?
    Das soll doch mal ne Lieblingsbeschäftigung der Deutschen gewesen sein. Und die jungen, die da jetz die Drecksarbeit machen sollen weil sie „einschlägig aktiv“ sind? Was für eine Begründung! Die unterstellte Tendenz eher auf Gesetze zu scheißen als Kollege Aufpass-Opa (wenn schon age-ism dann richtig) soll also eher dazu motivieren, den Bullen zu helfen als die „Gesetzestreue“ die da plötzlich negativ ist??!
    Da will Freund und Helfer wohl auf die Durchschnitts-Atze zurückgreifen die ab und an mal nen iphone oder n paar kanülen Schnappes mitgehn lässt, um den pösen Antifa dingfest zu machen. Hilarious.

  4. Rakete sagt:

    Die Polizei Hannover legt bei Facebook nach:

    Hallo liebe Facebook-Gemeinde,

    unsere Meldung „Polizeibeamter verletzt“ von Freitag hat leider noch nicht zu dem erhofften Erfolg geführt. Es geht hier um einen Fall von Gewalt gegen Polizeibeamte – ein Problem, das sich in den vergangenen Jahren immer mehr verschärft hat. Wir posten jetzt noch ein zweites Foto von dem gesuchten Tatverdächtigen – und wir bitten diesmal besonders unsere jeweils mehr als 1000 „Fans“ in Hamburg und Berlin, die Meldung zu „teilen“. Die Ermittler in Göttingen halten es für möglich, dass der Gesuchte in einer der beiden Städte lebt oder zumindest dort bekannt ist.

  5. uli-e sagt:

    Dort kommentiert:
    Nicht geteilt. Da Urheber rechts blind scheinen und Pranger aus Gründen des zivilisierten Umgangs abgeschafft wurden, diese Ansage richtet sich auch an die Teilerinnen und Teiler. http://de.wikipedia.org/wi​ki/Pranger#.E2.80.9EAn_den​_Pranger_stellen.E2.80.9C

    den Rest wisst ihr ja. Ich bin wie der Rest hier nicht Anonym…
    „An den Pranger stellen“ – Pranger – Wikipedia

    „Im übertragenen Sinn bedeutet „An den Pranger stellen“, jemanden quasi-institutionell öffentlich bloßzustellen. Die Nationalsozialisten nutzten den Begriff zum Beispiel in ihrer hetzerischen Radioprogrammzeitschrift Der Deutsche Sender. Die Rubrik, in der sich die Redaktion kritisch mit vergangenen ..“

  6. PatricksWelt sagt:

    So, es ist passiert: Nach Auskunft der Polizei Hannover (Facebook) konnte ein tatverdächtiger 20 Jähriger aufgrund eines Facebookhinweises ermittelt werden. Ich sage ganz klar: recht so: Wer grundlos mit einer derartigen Gewaltbereitschaft einen Polizisten/oder sonstwen attackiert, muss (s)eine gerechte Strafe bekommen. Und die wird sicherlich nicht glimpflich ausfallen…

  7. Broeckelhaus sagt:

    @Patrickswelt

    „Wer grundlos mit einer derartigen Gewaltbereitschaft einen Polizisten/oder sonstwen attackiert, muss (s)eine gerechte Strafe bekommen.“

    Unter den Umständen, dass die Demo an sich bereits aufgezwungen war und die Situation in der Roten Strasse völlig konträr zur Darstellung der Polizei abgelaufen ist, sollte die Forderung nach einer gerechten Strafe dann doch lieber auf das rechtswidrige Handeln der ach so integreren Polizei bezogen werden. Darüber hinaus bleibt die Vorverurteilung via Bild im Internet und die öffentliche Denunzierung nicht nur unter moralischen Gesichtspunklten fraglich, sondern dürfte auch dem juristischen Verhältnismäßigkeitsprinzip unterliegenden Fahndungsprozess in seiner Rechtsmäßigkeit nicht genügen. Davon mal ab, ob der Mensch auf dem Foto wirklich der Beschuldigte war oder sie nur auf eine willkürliche Zuordnung eines Pilizisten zurückgeht.

    Die Gewalt ging in diesem Moment komplett von der Polizei aus, die mit gezielten Faustschlägen ins Gesicht einfach nur verletzen wollten, sich in dieser Situation mit allem was einen zur Verfügung steht zu wehren bzw. Distanz zwischen sich und die Angreifer zu bringen, war völlig legitim. Verletzte gab es in dieser Situation bei Betrachtung mit klarem Menschenverstand nur auf Seiten der Demonstranten, der dünne Holzstab, der am Helm sofort zerbrochen ist, hat ja wohl wirklich nichts was die Definition Verletzung erfüllt verursacht. Und nocheinmal die Attacke ging klar von den Polizisten aus, aber lieber erstmal alles glauben, was die fehlerfreie und vertrauenswürdige (die Demo war deren „Idee“) Polizei sagt und irgendwelche Strafen fordern.

  8. Die Mitte erobern! sagt:

    @ Broeckelhaus: Die Fahndung mit Bild wurde leider gerichtlich genehmigt.
    Ansonsten hast du völlig recht. Manchmal kann nurnoch eine Holzstange einen Bullen davon abhalten, Menschen kaputtzuschlagen.

  9. Broeckelhaus sagt:

    Gerichtlich genehmigt heisst ja leider noch lange nicht rechtmäßig, wobei ich nicht behaupten will, dass dies eine klare rechtswidrige Maßnahme war, allerings ist es fraglich, ob der Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen (Allgemeines Persönlichkeitsrecht) verfassungsgerechtferigt war, was wiederum auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip zurüchzuführen wäre. Denn Facebook als Rahmenbedingung erfüllt nunmal spezielle Charakteristika, da aufgrund verschiedener Verlinkungen dieses Fahndungsfoto ohne vorsätzliche Suche (anders als beim Fahndungsfoto im Polizeirevier oder auf der Polizeiwebsite) gefunden werden kann. Darüber hinaus ohnehin wesentlich mehr Menschen zugänglich ist, was die Maßnahme allerdings in ihrer Zweckmäßigkeit nutzte. Ob Facebook nun wirklich als Fahndungsgrundlage rechtswidrig/verfassungswidrig sein könnte,, wäre zu klären, aber eine Bundesverfassungsgerichtsbeschwerde könnte diesen Umstand klären, denn definitiv ist Facebook in diesem Kontext ein neues (Rechts)Mittel, welches einen intensiveren Grundrechtseingriff darstellt.

  10. Rakete sagt:

    Da hat sich „der Gesetzgeber“ ja durchaus schon Gedanken zu gemacht. Im §131 StpO steht unter dem Punkt Verhältnismäßigkeit:

    „Andererseits entsteht durch die Erörterung eines Ermittlungsverfahrens mit Namensnennung des Tatverdächtigen in den Publikationsorganen die Gefahr einer erheblichen Rufschädigung. Mit zunehmender Verbreitung des Internets gilt dies im wachsenden Maße auch für die Nutzung dieses elektronischen Mediums zu Fahndungszwecken. Die spätere Resozialisierung des Täters kann durch unnötige Publizität seines Falles schon vor der Verhandlung erschwert werden. Auch andere Personen, die in den Tatkomplex verwickelt sind oder die in nahen Beziehungen zu dem Tatverdächtigen stehen, können durch eine öffentliche Erörterung schwer benachteiligt werden. Eine Bloßstellung oder Schädigung des Tatverdächtigen oder anderer Betroffener, muss nicht nur in deren Interesse, sondern auch im Interesse der Strafrechtspflege möglichst vermieden werden.“

    Deswegen sei zu prüfen, ob der Fahndungserfolg auch über Medien mit kleinerer Verbreitung zu erzielen sei. Da stellt sich imho tatsächlich die Frage, ob man bei einem Vergehen auf einer Göttinger Demo gleich den Facebook-Account der Polizei Hannover bemühen muss bzw. darf.

    Weiter unten findet sich zudem dieser Satz:

    „Um die Aufmerksamkeit der Internetnutzer für die Öffentlichkeitsfahndung zu erlangen, ist es zweckmäßig, die staatlichen Fahndungsaufrufe im Internet auf speziellen Seiten – etwa der Polizei – zu bündeln. Private Internetanbieter sollen grundsätzlich nicht eingeschaltet werden.“

    Nun bin ich kein Volljurist, würde aber vermuten, dass Facebook ein in diesem Sinne privater Anbieter ist.

    Zum Grundsätzlichen steht dort als Voraussetzung:

    „Die Öffentlichkeitsfahndung nach einem bekannten Verdächtigen kommt regeImäßig nur in Betracht, wenn dringender Tatverdacht wegen einer von erheblicher Bedeutung (Verbrechen, Vergehen von erheblichem Gewicht, z. B. schwere oder gefährliche Körperverletzung, Betrug mit hohem Vermögensschaden, Unterschlagung hoher Geldbeträge, Serientaten) gegeben ist.“

    Wäre jetzt fraglich, ob dem Verdacht der gefährlichen Körperverletzung eine erhebliche Bedeutung zukommt. Dass das Amtsgericht Göttingen da eher wenig Skrupel hat, haben wir ja in der Causa DNA-Entnahme erleben dürfen.

    vgl. http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/BMJ-RB3-19770101-KF02-A002.htm

  11. bomberman sagt:

    Das ist ja eigentlich der Klassiker, welche Medien für welche Anlässe genutzt werden und auch, welche Belohnung ausgesprochen werden. Nach den Wackersdorf- Protesten wurde über die berüchtigte Fernseh-Fahndung „Aktenzeichen“ nach Demo-Teilnehmer*ijnnen gefahndet und Belohnungen im fünfstelligen Bereich ausgelobt. Ein ganz Banaler Mord brachte dazu nur 1000 (!) Mark.

    Nicht uninteressant war, dass die Belohnungen von ZDF kommen, für manche Sachen bei Aktenzeichen schreibt kein Staatsanwalt der Welt eine Belohnung aus…

Schreibe einen Kommentar

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar zu schreiben. Anmelden | Registrieren

Bitte lese dazu unsere Regeln und Hinweise zum Kommentieren.