Wenig Schall, kaum Wahn: Tocotronic Nummer Neun
von John K. Doe am 6. Februar 2010 veröffentlicht in Platten, RezensionenCarsten Klook und Jan Kühnemund haben unlängst in der Online-Ausgabe der Zeit Musikschreiberei aus zwei Blinkwinkeln betrachtet. Während Klook sich dem Gewäsch der Verkäufer widmete, ging es in Kühnemunds hochinteressanter Replik um den Musikjournalisten an sich. Abgekürzt: beide können nichts. Und eines der Beispiele liegt auf der Hand. Kaum ein Titelblatt der aktuellen Musikjournaille kommt derzeit ohne Tocotronic aus. Das reicht vom Hochglanz-Klopapier á la Piranha bis in die zahlreichen Feuilletons der Bildungsbürger. Der mediale Kniefall vor der Band könnte einhelliger nicht sein. Warum ist das so? Möglicherweise weil Deutschpop um Gegensatz zu Britpop eigentlich nichts weiter, als ein ziemlich keimiger, langweiliger Trog ist, aus dem wirklich nichts glänzen kann. Die Protagonisten allesamt gesichtslose Gestalten, denen man nicht zuhören mag. Es gibt keine Gallaghers und schon keinen Jarvis Cocker. Deutschpop kennt keinen ehrlichen Schmutz, wir freuen uns über eine Band, die wenigstens intellektuell ein Zeichen setzen kann. Und die Mitstreiter Blumfeld haben bereits aufgegeben. Wir pflegen was wir haben.
Kaum dass die Hamburger Wahl-Berliner also eine neue Platte veröffentlichen, beginnt ein sich immer wiederholendes Szenario. Gelangweilte Rezensenten dürfen zwischen Lady Gaga und Coldplay in pseudophilosophischer Analyse schwelgen, während die Band sich in Interviews redlich abmüht, die Lesarten ihrer Texte zu verklären. Von Lowtzow verweigert wortreich Erklärungen und schafft mit der dann dabei getroffenen Wortwahl in aller Regel Raum für weitere Spekulationen. Manchmal ist weniger einfach mehr. So wird jede Platte der Band natürlich auch leichtfertig auf den politischen Gehalt hin ausgewertet und oft darauf reduziert. So musste sich bereits die letzte Platte der Band eine dahingehende Analyse unseres Autoren Schmendi gefallen lassen, die meiner Ansicht nach – entschuldige Schmendi – den Kern nicht traf. Politisch anmutender Text kann manchmal einfach auch platte Lyrik sein, denn die benötigte Stimme ist eben auch „nur“ ein Instrument. Was ist schon politische Musik, wenn Osama Bin Laden die B52’s und Van Halen zu seinen Lieblingsbands zählt. Zumindest wenn wir dem britischen „Guardian“ glauben schenken dürfen. Die Vorstellung allein ist abstrus genug um sich dies regelrecht zu wünschen. Natürlich findet sich politischer Gehalt in den Texten der Band. Wenn man sein Lesen nur darauf beschränkt findet sich das mit Leichtigkeit. Ob das nun eine besondere Qualität der Band ist sei dahingestellt. „Eine Lanze für den Widerstand“ singen sie auf „Schall und Wahn“ – aber das ist eben auch nur ein kleiner Ausschnitt. Und jetzt ganz ruhig bleiben: eine politische Band sind Tocotronic ja trotzdem…irgendwie.
„Schall und Wahn“, die Platte mit dem bunten Blumenstrauß. Ich nehme es vorweg: die Metapher trifft nicht zu. „Schall und Wahn“ ist der abschließende Teil der Berlin-Trilogie doch auch aus Berlin verraten uns Tocotronic nichts Neues über sich und die Welt. Wohlwollend registriert mancher den opulenten Einsatz von Streichern, aber das ist keine Entwicklung, dass ist ein Gimmick. Bisweilen langweilt die Platte und verliert sich regelrecht in Melodie. Tatsächlich ließ das vorab veröffentlichte Video zu „Mach es nicht selbst“ viel mehr erwarten. Der spitze Text und der tatsächlich rumpelnde Song machten durchaus Hoffnung. Davon gibt es auf „Schall und Wahn“ nur wenig zu hören. Die Freude an Wörtlichkeiten wie „Bitte oszillieren sie“ ertränkt die Band in einer unerträglichen Uptempo-Nummer. Zwischen diesen Polen findet „Schall und Wahn“ keine Mitte. Immerhin, gleich zu Anfang überraschen sie doch. Das satte acht Minuten lange Eröffnungsstück ist irgendwie in den Progrock-Topf gefallen. Das Grundthema „Liebe“ kann in diesem Potpuree nicht zünden – die thematisierten Nebenschauplätze ebenso nicht. Zumindest nicht bei mir. Der bisweilen verschrobene Hang zur Lyrik ist durchaus eine Qualität der Band, die sicher ihresgleichen sucht. Diese besondere Qualität konnten Tocotronic zumindest auf dem Vorgänger deutlich besser verpacken. Von Faulkners „Schall und Wahn“ bleibt nur wenig hängen. „Schall und Wahn“ ist wortreich, schön aber nicht besonders. Irgendwie „nett“, aber wir wissen längst, „nett ist die kleine Schwester von Scheiße!“
wenns um gitarrenschmonz geht, bleib ich doch lieber bei den fliehenden stürmen, die können besser texten, imo…
was für eine doofe rezension. hier müssen alle möglichen umstände (deutschland, deutsche popmusik, feulliton, umsonstmagazine, osama bin laden [!], … ) dafür herhalten, dass du dich nicht damit abfinden kannst, dass tocotronic sich nicht festlegen wollen. schwach.
achso, das heißt übrigens .
mfg, kommando „die kinder des bildungsbürgertums“