Polizeistatistik
Kruses Zahlenspiele
von Rakete am 10. Mai 2013 veröffentlicht in Hintergrund, Polizei & Justiz, Titelstory"Brennpunkt linksmotivierter Straftaten": Protest gegen Schünemann-Vortrag in der Uni im Januar 2012. Bild: Benjamin Laufer.
Die Göttinger Polizei hat ihre Jahresstatistik 2012 zu politisch motivierter Kriminalität vorgelegt. Zusammengefasst: rechte und linke Gewalt steigen weiter an. Die Begründung, warum diese Zahlen nicht aussagekräftig sind, liefert sie gleich mit: Das zeigt das Beispiel der Proteste gegen den Schünemann-Auftritt an der Uni im Januar 2012.
Göttingen als „regionaler Brennpunkt linksmotivierter Straftaten in Niedersachsen“: Polizeipräsident Robert Kruse ist ein Freund der großen Worte. 96 linksmotivierte „Delikte“ habe es im vergangenen Jahr in Stadt und Landkreis Göttingen gegeben. Das ist zwar ein leichter Rückgang gegenüber 2011, aber im landesweiten Vergleich ist Göttingen damit immer noch führend. „Hauptsächliche Motivation zur Straftatenbegehung linksmotivierter Täter sind nach den Feststellungen der Polizeiinspektion Göttingen der sogenannte Antifaschismuskampf, die Konfrontation gegen Rechts und gegen Burschenschaften sowie die Auseinandersetzung mit der Polizei“, teilt die Polizei in einer Pressemitteilung mit.
Schünemann-Einsatz „rechtmäßig und geboten“
Allein 17 der 96 „Delikte“ haben sich im Januar 2012 in der Universität ereignet. Kruse trat mit seinem damaligen Dienstherrn, CDU-Innenminister Uwe Schünemann, auf einer Wahlkampfveranstaltung des RCDS auf. Antifas blockierten den Hörsaal, in dem Kruse und Schünemann referierten, und protestierten so gegen deren Politik. Die Polizei löste diese Blockade mit grober Gewalt auf, wie unter anderem ein Video des NDR zeigt.
Für den Polizeipräsidenten war dieses Vorgehen, das damals auf breite öffentliche Kritik stieß, nun „rechtmäßig und geboten“ sowie „hinsichtlich der Intensität und der Anzahl der Adressaten erforderlich und angemessen“. Kruse betont das, weil die sieben Strafanzeigen gegen PolizistInnen wegen Körperverletzung im Amt zu keiner Verurteilung geführt haben. Dass die Ermittlungen gegen PolizistInnen auch eingestellt wurden, weil die mutmaßlichen GewalttäterInnen nicht identifiziert werden konnten, erwähnt Kruse wohlweißlich nicht. Opferanwältin Marlene Jendral betont gegenüber MoG: „Allen Fällen ist gemein, dass gesagt wurde, dass ein Tatverdächtiger nicht zu ermitteln sei.“
17 Delikte, aber nur fünf Verurteilungen
Noch interessanter: Von den 17 Strafverfahren gegen DemonstrationsteilnehmerInnen führten nur fünf zu einer Verurteilung. Zwölf Protestierende wurden also zu Unrecht von der Polizei einer Straftat bezichtigt – oder aber die Straftat konnte ihnen nicht nachgewiesen werden. Trotzdem tauchen diese zwölf „Delikte“, wie Kruse sie nennt, in der Jahresstatistik zur politisch motivierten Kriminalität auf.
Ob die Zahlen zu linker oder rechter Gewalt steigen, liegt also auch in den Händen der Polizei: Zeigt sie mehr Delikte an, steigen die Zahlen – unabhängig davon, ob ein Gericht die Verdächtigen später frei spricht. Wenn Kruse also behauptet, 2012 habe es im Vergleich zum Vorjahr 12 politisch motivierte Straftaten mehr im Bereich der Polizeidirektion Göttingen gegeben, stimmt das nicht.
Bei der Statistik handelt es sich im besten Fall um eine Verdächtigenstatistik. Aussagekraft hat sie deswegen nur wenig. Um sich tatsächlich ein Bild der „politisch motivierten Kriminalität“ machen zu können, müsste die Polizei immer auch den Richterspruch mit einbeziehen. Diese Mühe macht sie sich allerdings nicht.
„Deutlich mehr“ rechte Gewalttaten
Die Statistik gibt auch Auskunft darüber, wie viele rechts motivierte „Delikte“ die Polizei zur Anzeige gebracht hat. Die Anzahl der Anzeigen stagniert mit 323 im Bereich der Polizeidirektion. Bei gut der Hälfte habe es sich dabei um so genannte Propagandadelikte gehandelt, die sich zu einem großen Teil beim alljährlichen Nazi-Aufmarsch in Bad Nenndorf ereignet hätten. Die Zahl der Gewaltdelikte ist von 17 in 2011 auf 28 in 2012 gestiegen. Allein 18 davon hätten sich im Raum Bückeburg ereignet.