Polizeipräsident Robert Kruse

Immer nur die halbe Wahrheit
von am 5. September 2012 veröffentlicht in Hintergrund, Polizei & Justiz, Titelstory

Weiß genau, was er sagt: Polizeipräsident Kruse.

Zweieinhalb Jahre nach dem Wechsel Robert Kruses vom niedersächsischen Verfassungsschutz an die Spitze der Göttinger Polizei ist klar, wes Geistes Kind er ist. Exemplarisch zeigt sich an seiner Kommunikationsstrategie, dass er an einer demokratischen Öffentlichkeit kein Interesse hat.

Es gibt in der Demokratie das Ideal, dass die Polizei zur wahrheitsgemäßen und neutralen Information der Öffentlichkeit verpflichtet ist. Und es gibt die Kommunikationsstrategie der Polizeidirektion Göttingen unter ihrem Präsidenten Robert Kruse, die mit dem demokratischen Ideal nicht viel zu tun hat. Seit Kruse 2010 vom niedersächsischen Verfassungsschutz nach Göttingen wechselte, legte er sich nicht nur mehrfach mit der kritischen Presse an. Auch seine Öffentlichkeitsarbeit produziert ein einseitiges Zerrbild der Göttinger Polizei: Sobald Gerichte der Ansicht sind, die Polizei habe entsprechend der geltenden Gesetze gehandelt, prescht Kruse gerne vor und präsentiert seine Behörde als Hüterin des Rechtsstaats. Muss der Polizeipräsident vor Gericht eine Niederlage einstecken, meldet er sich nicht zu Wort und verweigert jeden Kommentar. Wer also nur an seinen Lippen hängt, hat ein Bild von der Göttinger Polizei, das mit der Realität nicht viel zu tun hat.

Aktuelles Beispiel hierfür sind Kruses Lobhudeleien für den Polizeieinsatz anlässlich der Gedenkdemonstration für die Antifaschistin Conny Wessmann, die 1989 bei einem Polizeieinsatz in der Weender Landstraße ums Leben kam. Anlässlich des 20. Todestages von Conny demonstrierten am 14. November 2009 mehrere Tausend Antifas unangemeldet in der Göttinger Innenstadt. Fassungslos machte damals insbesondere der Polizeieinsatz am Conny-Gedenkstein in der Weender Landstraße: PolizistInnen verhinderten mit einer Polizeikette zwischen der Demonstration und dem Denkmal, dass an dieser Stelle Blumen niedergelegt werden konnten. Ausgerechnet während ein Redebeitrag an Connys Tod erinnerte, stürmte ein Greiftrupp brutal in die Demonstration, um einen Minderjährigen zu verhaften. Erst hieß es, weil er vermummt gewesen sein soll, dann, weil er Quarzsandschuhe getragen haben soll. Auch mehrere Journalisten wurden hier von Polizeibeamten verletzt.

Fast drei Jahre später lässt Polizeipräsident Kruse nun über Pressemitteilung wissen, beim Auftreten der Polizei an diesem Tag habe es sich um einen „guten und angemessenen polizeilichen Einsatz“ gehandelt, der „größere Ausschreitungen und wesentliche Schäden verhindert und die Sicherheit in der Stadt“ gewährleistet habe. Nahtlos setzt er damit das Erbe seines Vorgängers Hans Wargel fort, der zum Zeitpunkt der Demonstration noch an der Spitze der Polizeidirektion Göttingen stand. „Die Göttinger Polizei beweist Woche für Woche bei einer Vielzahl von Veranstaltungen, dass sie ihre gesetzlichen Aufgaben uneingeschränkt und mit großem Engagement sowie hoher Professionalität wahrnimmt“, lobhudelt der heutige Präsident seine Behörde weiter.

Hintergrund sind Urteile des Göttinger Landgerichts, die drei Ingewahrsamnahmen der Polizei für rechtmäßig erklärten. Beim Rechtsanwalt eines der Betroffenen sorgt das Urteil für ungläubiges Staunen, er plant den Gang nach Karlsruhe. Kruse hingegen freut sich wie ein kleines Kind und posaunt das lauthals in die Welt hinaus.


Der Polizeipräsident neben seinem Dienstherren, Innenminister Uwe Schünemann

Mit seiner öffentlichen Lobesrede auf die angebliche Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes verschweigt der Polizeipräsident allerdings, was die Beamten seiner Behörde an diesem Tag sonst alles verbockt haben.

Daran erinnert sich unter anderem Patrick Humke, Landtagsabgeordneter der Linkspartei, noch sehr gut. Die Polizei zeigte ihn damals wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte an, weil er die ruppige Ingewahrsamnahme eines jungen Mannes nicht unkommentiert stehen ließ. Der Fall machte damals entsprechende Schlagzeilen, die Staatsanwaltschaft unter Hans-Hugo Heimgärtner stellte die Ermittlungen allerdings nach kurzer Zeit wieder ein. „Die haben das Verfahren nur eröffnet, damit mir Anwaltskosten entstehen“, kommentiert Humke das Vorgehen gegen ihn heute. Es sei von vorne herein „völlig offensichtlich“ gewesen, dass die Vorwürfe haltlos seien.

Nur zwei Tage nach der Demonstration erkannte die Polizei im gerichtlichen Eilverfahren an, dass insgesamt 12 Platzverweisen, die sie für das komplette Stadtgebiet gegen Linke ausgesprochen hatte, die Rechtswidrigkeit an. „Die Platzverweise entbehren jeglicher rechtlicher Grundlage“, sagte damals Rechtsanwalt Jan Sürig aus Bremen, der drei der zwölf Betroffenen vor dem Göttingen Verwaltungsgericht vertrat. Verhältnismäßig? Professionell? Mitnichten. Robert Kruse verdreht in seiner Pressemitteilung die Wahrheit ganz bewusst.

Die Göttinger Polizei verstößt regelmäßig gegen geltendes Recht

Das Image der Göttinger Polizei als Hüterin von Recht, Gesetz und Verhältnismäßigkeit ist aber auch abseits des Einsatzes bei dieser Demonstration ein Trugbild. Immer wieder muss sie vor Gericht Niederlagen einstecken. Insbesondere weil sie häufig das Recht bricht, um gegen Linke vorzugehen. Erst kürzlich flog ihr das Feindbild „links“ um die Ohren. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigt: Solche Gerichtsurteile gegen die Polizei sind eher die Regel als eine Ausnahme.

Zum Beispiel erklärte das Verwaltungsgericht Göttingen im Jahr 2010 die gängige polizeiliche Praxis für rechtswidrig, Personen nur wegen ihrer augenscheinlichen Zugehörigkeit zur linken Szene zu durchsuchen. Überwiegend schwarze Kleidung, ein Rucksack und eine Gürteltasche waren für die Göttinger Polizei im Umfeld einer Demonstration gegen ein rechtes Lokal in Weende Grund genug gewesen, den Kläger zu kontrollieren. Die optische Zugehörigkeit zur linken Szene reiche nicht aus, um eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu begründen, entschied das Gericht damals. Eine Pressemitteilung von Polizeipräsident Kruse darüber, dass seine Beamten in Zukunft die Rechte von Demonstrierenden entsprechend achten werden, sucht man bis heute vergeblich.

Gleiches gilt für einen Fall polizeilicher Freiheitsberaubung im Jahr 2009. Nachdem in Erfurt ein besetztes Haus von der Polizei geräumt wurde, versammelten sich in der Göttinger Innenstadt spontan einige Dutzend Linke, um gegen die Räumung zu protestieren. Die Polizei kesselte die Demonstration in der Weender Straße kurzer Hand für mehrere Stunden ein – ohne jede rechtliche Grundlage. Nachdem das Verwaltungsgericht der Klage eines Eingekesselten dagegen Aussicht auf Erfolg zusprach, erkannte die Polizei die Rechtswidrigkeit ihres Handelns still und heimlich an. „Die Einschließung des Antragstellers durch die Polizei wird sich voraussichtlich als rechtswidrig erweisen“, bewertete das Gericht die Maßnahme der Beamten, die damals allerdings noch dem Polizeipräsidenten Wargel unterstanden.

Kein Kommentar

Kommentare zu diesen Niederlagen sind von der Polizei nicht zu bekommen. Man wolle sich nicht anmaßen, Gerichtsurteile zu kommentieren, heißt es dann. Interviews, in denen über polizeiliches Fehlverhalten debattiert werden soll, werden aus diesem Grund gerne abgelehnt. Gewinnt Robert Kruses Behörde vor Gericht, gelten offenbar andere Maßstäbe. Das Bild, welches die Öffentlichkeit von der Arbeit der Göttinger Polizei hat, bestimmt diese am liebsten selbst. Symptomatisch hierfür war bereits Kruses Begrüßungsrede beim Tag der offenen Tür seiner Behörde im Jahr 2010. „Vertrauen sie nicht immer nur den Mediendarstellungen, machen Sie sich ein eigenes Bild!“ hatte der Präsident dort gesagt, nachdem seine Behörde in den Wochen zuvor viel öffentliche Kritik einstecken musste. Auf solche reagiert der oberste Polizist der Stadt auch gerne mal gereizt: Mehrfach hat er kritische Reporter des Göttinger Tageblatts öffentlich angegriffen.

Wäre Kruse ein Demokrat, würde er auf eine solche Desinformationspolitik verzichten und die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß und dem Neutralitätsgebot entsprechend informieren. Zweieinhalb Jahre nach seiner Amtseinführung ist klar: Der ehemalige Verfassungsschützer zieht den autoritären Führungsstil dem demokratischen vor.

Artikel teilen

5 Kommentare auf "Immer nur die halbe Wahrheit"

  1. barbier sagt:

    Super Artikel. Danke dafür. Die Kampagne Extrem Daneben hat in ihrem Aufruf eine grundsätzliche Kritik an VS und Polizeivorgehen formuliert. Wer bock hat, sollte sich den langen Aufruf durchlesen. Der ist ziemlich lesenswert. Zu finden unter: http://extremdaneben.blogsport.de

    Da gibt’s anscheinend auch eine Ankündigung zu einer Veranstaltung am 18.09. zu dem Thema…vlt. ist das ja auch was für die Eine oder den Anderen.

  2. retmarut sagt:

    Am Donnerstag, 20.09.2012 findet um 9:15 im Amtsgericht Göttingen (Raum B12) ein Prozess gegen einen Antifaschisten statt, der sich im Januar 2012 an der Protestaktion gegen den Schünemann-Besuch in der Uni beteiligt hatte. (MoG berichtete damals über die Proteste.)
    Die Rote Hilfe ruft zur Solidarität und zum Besuch des Prozesses auf!
    Mittlerweile gibt es auch einen gemeinsamen Solidaritätsaufruf für den Genossen, der bisher von folgenden Organisationen unterstützt wird:

    Rote Hilfe Ortsgruppe Göttingen
    VVN-BdA Kreisvereinigung Göttingen
    SDAJ Göttingen
    ver.di Jugend Göttingen
    DKP Kreisverband Göttingen
    Die Linke. Kreisverband Göttingen
    Wählervereinigung Göttinger Linke
    Juso Hochschulgruppe
    Antirassistisches Aktionsplenum Göttingen
    Grüne Jugend Göttingen
    Jusos Göttingen
    Die Linke.SDS Göttingen
    ver.di Ortsverein Göttingen
    Antifaschistische Linke International
    attac Göttingen

    (Ab Freitag gibt es diesen Aufruf auch als gedrucktes Flugblatt, ausliegend u.a. im Buchladen Rote Straße.)

  3. retmarut sagt:

    Weitere Unterstützer des Soli-Aufrufs sind der AStA der Uni Göttingen sowie der Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) Göttingen.

    Solidarität ist eine Waffe – nutzen wir sie!

  4. retmarut sagt:

    Nach Drucklegung sind noch als Unterstützer dazugekommen:
    Schöner Leben Göttingen
    Anarcho-Syndikalistische Jugend (ASJ) Göttingen

    Weiter Unterstützer sind natürlich gerne gesehen.

    Die Rote Hilfe ruft auch zu Spenden auf für ihr lokales Solidaritäts- und Unterstützungskonto:

    Roten Hilfe Göttingen
    Konto 13 50 20
    Sparkasse Göttingen
    BLZ 260 500 01
    Stichwort: Antifaschismus

  5. barbier sagt:

    Auf der Homepage des Bündnisses ist jetzt auch ein Mitschnitt der Veranstaltung online. Es ist etwas mühselig der Publikumsdiskussion zu folgen, weil die nicht direkt mit Mikro aufgenommen wurde. Aber für alle, die nicht da waren, sehr interessant. http://extremdaneben.blogsport.de und da unter Listening.

Schreibe einen Kommentar

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar zu schreiben. Anmelden | Registrieren

Bitte lese dazu unsere Regeln und Hinweise zum Kommentieren.