Flüchtlingslager Breitenworbis
Leben im maroden Landschulheim
von Wieland Gabcke am 12. April 2013 veröffentlicht in Migration, TitelstoryEin marodes Landschulheim als Flüchtlingslager
Im Eichsfeld, vierzig Autominuten von Göttingen entfernt liegt das marode Flüchtlingslager Breitenworbis. Viel Wirbel gab es letztes Jahr um die Zustände dort, wenig hat sich bis heute getan. Die Flüchtlinge fühlen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen. Flüchtlingsorganisationen und einige BewohnerInnen fordern die Schließung des Lagers. Für kommende Woche steht die „freiwillige Ausreise“ von mehreren Roma-Familien an.
Zehn Roma-Familien leben derzeit im Flüchtlingslager Breitenworbis. Manchmal zu viert auf zwanzig Quadratmetern. Sie stammen aus Serbien und Mazedonien. Wenn sie die Wahl hätten, würden sie lieber hier bleiben, trotz widriger Umstände. Doch sechs von ihnen sind „ausreisepflichtig“, wie es im Amtsdeutsch heißt. Sie erzählen, dass die Ausländerbehörde des Landkreises Eichsfeld ihnen eine „freiwillige Ausreise“ nahegelegt hätte. Zwei Familien haben schon unterschrieben, am Dienstag müssen sie abreisen. Vier weitere müssen heute unterschreiben, sonst droht die Abschiebung in einer Woche.
Eine Abschiebung hätte schwerwiegende Konsequenzen in ihren Herkunftsländern. Personen, die im Zuge eines abgelehnten Asylantrags aus der EU nach Serbien oder Mazedonien abgeschoben werden, bekommen dort ihren Pass entzogen. Mindestens für ein Jahr dürfen sie weder ausreisen noch Sozialleistungen beantragen, der Zugang zu medizinischer Versorgung wird verwehrt. Eine Gesetzgebung, die gegen geltendes Menschenrecht verstößt. Aus Angst vor Repressalien ziehen die „ausreisepflichtigen“ Roma-Familien dennoch den Zwang zur „freiwilligen Ausreise“ einer Abschiebung vor.
Ellen Könneker vom Flüchtlingsrat Thüringen nennt den Zwang zur „freiwilligen Ausreise“ eine Sauerei. Von einem Bleiberecht für Roma, das der Flüchtlingsrat unterstützt, sei man in Thüringen weit entfernt. „Die Leute werden dazu getrieben, in Anführungsstrichen ‚freiwillig auszureisen’“, erklärt Könneker gegenüber MOG. „Uns ärgert vor allem, dass die generell für die Roma schwierige Situation in den Herkunftsländern auch in der Härtefallkommission des Landes Thüringen nicht ausreichend gewürdigt wird.“ Die Gründe für die Asylgesuche der Roma aber auch medizinische Gründe würden von den Behörden gar nicht berücksichtigt, kritisiert Könneker.
Leben im maroden Landschulheim
Eine Roma-Familie die bleiben darf stammt aus Mazedonien. Seit zwei Jahren wohnen sie schon, gemeinsam mit über 100 weiteren Flüchtlingen im Lager Breitenworbis. Die jüngste Tochter geht in den Kindergarten, die Ältere in die Grundschule, die Eltern besuchen Deutschkurse. Der Vater bekam einen Abschiebebescheid, doch in der Not ereilte ihn ein zweifelhaftes Glück: Seine ältere Tochter wurde wegen eines Tumors operiert und muss mindestens fünf Jahre unter ärztlicher Beobachtung bleiben.
Die ältere Tochter und ihre Mutter wohnen zu zweit in einem Zimmer. Ihr Vater und die jüngere Tochter teilen sich ein weiteres Zimmer von etwa zehn Quadratmetern. „Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester und ich haben mehrere Jahre hier geschlafen“, erzählt die ältere Tochter. Heute steht hier ein Sofa mit Couchtisch und Fernseher, an den Wänden alte Furnierschränke, vorne rechts ein Kühlschrank.
Zu eng, zu marode, zu wenig Möglichkeiten etwas zu tun. Die Familie fühlt sich unwohl im Flüchtlingslager Breitenworbis. Die ältere Tochter zeigt warum. Im Keller sind die Gemeinschaftsduschen. „Das sind die Duschen für Frauen, Mädchen und alle zusammen. Hier ist fast alles kaputt“, erzählt sie. In diesem Raum funktionieren von zwölf vorhandenen Duschen lediglich vier. Warmes Wasser gibt es jeweils morgens und abends für zwei Stunden. Zu diesen Tageszeiten stehen die BewohnerInnen Schlange.
Letztes Jahr hat das Lager vor allem wegen der maroden Infrastruktur Aufsehen erregt: Defekte Elektroherde, Toiletten und Duschen, Schimmel an den Wänden. Nach einem Bericht auf 3sat über den Refugee Protest March und das Lager Breitenworbis wurden die Verantwortlichen beim Landkreis Eichsfeld tätig. Ein paar Wände wurden gestrichen, einige Elektroherde ausgetauscht, auch ein paar neue Duschköpfe gab es. Doch eine Verbesserung kann die Roma-Familie nicht erkennen.
Isoliert zwischen Autobahn und Kläranlage
Das Flüchtlingslager Breitenworbis ist ein altes Landschulheim aus DDR-Zeiten, direkt an der Autobahn 38. In direkter Nachbarschaft ist ein Viehmastbetrieb und eine Kläranlage. Es stinkt, im Sommer soll der Gestank unerträglich sein, berichten die BewohnerInnen. „Ich würde mich jetzt nicht darum reißen da zu wohnen“, erklärt Michael Hoffmeier dazu, Abgeordneter der Grünen im Eichsfelder Kreistag, „das wäre heute alles gar nicht mehr genehmigungsfähig.“
Zustände, die Ellen Könneker vom Flüchtlingsrat Thüringen als katastrophal bezeichnet. „Das Lager Breitenworbis ist seit langem einfach eines der größten Baustellen in Thüringen, eines der schlechtesten Lager die es noch gibt. Es ist von der Versorgungslage einfach eine Katastrophe,“ erklärt Könneker gegenüber MOG. In Breitenworbis gibt es Supermärkte, eine Grundschule, einen Kindergarten und eine Ärztin. Der Weg dorthin dauert zwanzig Minuten zu Fuß, über eine Autobahnbrücke, an Feldern vorbei, auf einer nachts nicht beleuchteten Straße.
Vor kurzem wurden ein Dutzend Laubbäume auf dem Gelände entfernt, was das Bild der trostlosen Einöde noch verstärkt. Vom gesellschaftlichen Leben fühlen sich die Flüchtlinge ausgeschlossen. „Es gibt keine Möglichkeiten sich sozial zu integrieren,“ kritisiert Könneker, „es ist klar: Das sind die da draußen. Für die Flüchtlinge ist das deprimierend, die gehen dort kaputt auf engstem Raum, unter den hygienischen Umständen. Es ist höchste Zeit, dass dieses Lager endlich geschlossen wird.“
Gelegentlich kommt vormittags eine ehrenamtliche Kinderbetreuung, doch ein breiter Austausch zwischen Flüchtlingen und der Mehrheitsgesellschaft findet nicht statt. Für viele Kinder in dem Lager gebe es keine Kindergartenplätze, erzählen die BewohnerInnen, ihre Mütter könnten deswegen nicht an den Deutschkursen teilnehmen. Ein Zustand, der in einem offenen Brief an den Landrat Werner Henning (CDU) angeprangert wurde. Der Brief soll von Frauen aus dem Flüchtlingslager stammen.
Politische Rechenspiele: Was kosten Flüchtlinge?
Der Eichsfelder Landrat wird derzeit mit Presseanfragen überhäuft. Letzten Montag hatte Henning gemeinsam mit dem zuständigen Staatssekretär im thüringischen Innenministerium und der Ausländerbeauftragen des Freistaates das Lager besucht. Gegenüber MOG wollte Henning sich nicht äußern. Die Frage nach der Unterbringung von Flüchtlinge ist schon länger ein Zankapfel im Eichsfeld. Bereits im November 2011 hatte die Fraktion aus SPD und Grünen im Eichsfelder Kreistag gefordert, dass zumindest Familien mit Kindern in Einzelunterkünften untergebracht werden. „Dieser Antrag war kein ‚Wir schließen das Lager ganz‘,“ erklärt Michael Hoffmeier von den Grünen, „sondern ‚Wir wollen Familien mit Kindern in Einzelunterkünfte“. Damit bewegt sich Rot-Grün im Eichsfelder Kreistag entlang der Regelungen im Thüringischen Flüchtlingsaufnahmegesetz.
Dieses sieht in Ausnahmefällen eine Unterbringung in Einzelunterkünften vor, vor allem von Familien mit Kindern. Doch das Gesetz stellt Hürden auf. Von Einzelunterbringungen ist abzusehen, wenn „1. das Verhalten des Betroffenen die Besorgnis der Beeinträchtigung von Belangen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung begründet oder 2. der öffentlichen Hand dadurch Mehrkosten entstehen.“ Der parteipolitische Streit entzündet sich vor allem an der Kostenfrage. Zunächst argumentierte Landrat Henning, dass der Kreistag in Sachen Flüchtlingsunterkünften ohnehin nicht zuständig sei – sondern die Kreisverwaltung (und damit er selbst). Anschließend wurde der Antrag der rot-grünen Kreisfraktion mit der CDU-Mehrheit im Kreistag abgelehnt.
Hoffmeier hält dagegen, dass der Kreistag sehr wohl ein Mitspracherecht habe. Der Kreistag entscheide schließlich über den Kreishaushalt und somit auch über die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen. Laut Hoffmeier müsste eine Vollkostenrechnung „auch den geringeren Krankenstand berücksichtigen. In einer Gemeinschaftsunterkunft werden Menschen öfter krank. In Einzelunterkünften leben die Leute gesünder.“ Laut dem thüringischen Flüchtlingsaufnahmegesetz sind Flüchtlinge aber in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen.
Wird Breitenworbis geschlossen?
Die Erfahrung in anderen thüringischen Landkreisen, beispielsweise in Schmalkalden-Meinigen, Sonneberg und Sömmerda zeigt, dass Flüchtlingslager wie in Breitenworbis, von KritikerInnen auch als Isolationslager bezeichnet, sehr wohl geschlossen werden können. „Da sind ganz unsägliche Lager geschlossen worden, aber es ist noch nicht das wo wir eigentlich hin wollen“, sagt Ellen Könneker vom thüringischen Flüchtlingsrat.
Nach der Schließung eines Lagers könnten die Flüchtlinge nämlich gleich in der nächsten Gemeinschaftsunterkunft landen. Der thüringische Flüchtlingsrat fordert deshalb, dass Flüchtlings dezentral in Wohnungen untergebracht werden, „aber nicht auf dem Dorf sondern in größeren Städten,“ erklärt Könneker, „wo die Flüchtlinge dann auch die Möglichkeit haben anzukommen und die Infrastruktur zu nutzen. Wobei das auch nicht unproblematisch ist, weil es dort noch kein wirkliches Unterbringungskonzept gibt.“
Ob sich an der Situation in den Lagern oder an der Grundidee Menschen in abgeschiedenen Lagern unterzubringen überhaupt etwas ändern wird, hängt vom politischen Willen ab. In der Politik, aber vor allem vom Willen der Flüchtlinge in den Lagern selbst.
@Autor:
„Ob sich an der Situation in den Lagern oder an der Grundidee Menschen in abgeschiedenen Lagern unterzubringen überhaupt etwas ändern wird, hängt vom politischen Willen ab. In der Politik, aber vor allem vom Willen der Flüchtlinge in den Lagern selbst.“
Ist es nicht etwas zynisch, von allen empowerment-strategien mal abgesehen, dem Willen der BewohnerInnen eine Mitschuld/Verantwortung daran zu geben, dass sich die Situation so ekelhaft darstellt?
Hochachtungsvoll, m.
Ich stimme motivator zu. Der Satz suggeriert (Zitat: „aber vor allem“), es läge primär an denjenigen, die in den Lagern interniert sind, dass sich nichts an der Unterbringung ändere. Der Status quo des Lagersystems rührt doch nicht von etwaiger Lethargie der dort Untergebrachten her, sondern aus rassistischen und antisozialen Maßnahmen der politisch Verantwortlichen und ihrer Verwaltungsorgane.
Ich glaube nicht, dass der Autor diesen merkwürdigen Zungenschlag im letzten Absatz beabsichtigt hatte; vielleicht mag er seinen Text an diesem Punkt noch einmal korrigieren, um weitere Irritationen zu vermeiden.
Naja, kann man so oder so lesen. Ich lese da, dass sich die Verhältnisse wohl am ehesten ändern, wenn sich die Betroffenen selbst zur Wehr setzen. Das heißt ja aber nicht, dass sie selbst für ihre Situation verantwortlich sind. Und so war es auch ganz bestimmt nicht gemeint.
Den Flüchtlingen in den Lagern eine Mitverantwortung für ihre Lebenssituation zu geben war nicht was dieser Satz aussagen sollte. Die Lebenssituation wird maßgeblich von den Behörden und der Gesetzgebung vorgegeben. In dem Satz sollte daran erinnert werden, dass im Zuge des Refugee Protest Marchs Geflüchtete ihr Schicksal selbst in die Hand genommen haben. Wie in dem 3sat-Bericht zu sehen ist auch in Breitenworbis. Dadurch haben die Geflüchteten selbst politischen Druck aufgebaut und den Landkreis Eichsfeld zum Handeln gezwungen.
Danke für die Aufklärung und den ansonsten auch super Artikel!