Gedenkstätte geschändet
„Eine neue Dimension“
von Rakete am 14. Januar 2013 veröffentlicht in NeonazisSchmierereien am Mahnmal. Foto: KZ-Gedenkstätte Moringen.
Die KZ-Gedenkstätte Moringen im Landkreis Northeim ist vermutlich von Neonazis geschändet worden. Wir haben mit dem Gedenkstättenleiter Dietmar Sedlaczek über die Situation in Moringen und die Bedeutung der Gedenkstättenarbeit gesprochen. Er sagt, die Schändung sei für die Gedenkstätte eine neue Dimension in der Auseinandersetzung mit Neonazis.
MoG: Das Gebäude der KZ-Gedenkstätte ist Anfang Januar vermutlich von Neonazis beschmiert worden. War das das erste Mal, dass Sie solche Anfeindungen in Moringen erlebt haben?
Dietmar Sedlaczek: Im April 2013 besteht die Gedenkstätte 20 Jahre. In den vergangenen Jahren ist es zu keinem vergleichbaren Vorfall gekommen. Insofern bedeutet die Schändung eine neue Dimension. Ich hoffe nicht, dass dies den Rückfall in eine andere Zeit bedeutet. In den 1980er Jahre wurde hart um die historische Aufarbeitung gerungen, in Moringen und in vielen anderen Orten der Bundesrepublik. Bis zu diesem Zeitpunkt war an den zahllosen Tatorten der NS-Verbrechen das Interesse an der Auseinandersetzung gering oder gar nicht vorhanden.
Auf ein anderes Gebäude haben die Nazis „Es war kein KZ hier“ geschmiert. Glauben die das eigentlich wirklich oder ist das nur eine Form der Propaganda?
Fest steht, dass damit die Existenz der Konzentrationslager im Ort in Frage gestellt wird. Hier wird Geschichte verharmlost, dabei ist völlig unerheblich, ob die Täter selbst glauben, was sie schreiben. Es demütigt erneut die Opfer. In einem Leserbrief aus den1980er Jahren war sinngemäß zu lesen, wir wollen nicht, dass Moringen in einem Atemzug mit Dachau oder Auschwitz genannt wird. Dass so etwas schmerzlich ist, kann ich verstehen. Aber durch das Leugnen erscheint der Ort erst recht in einem schlechten Licht.
Moringen ist ein Ort, in dem über 10 Jahre der NS-Diktatur drei Konzentrationslager bestanden haben. In der Öffentlichkeit könnte der Ort aber auch wahrgenommen werden als ein Ort, der sich – nicht zuletzt dank seiner Gedenkstätte – mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt. Hierbei versteht sich die Gedenkstätte als Identifikationsangebot, was von vielen Moringern – sicher nicht von allen – auch so verstanden wird.
Nazis um die Ecke
In den vergangenen sechs Jahren sind Neonazis dutzendfach in der Stadt Göttingen und der Umgebung aufgetreten. Mit Kundgebungen, Grabschändungen und sogar Übergriffen haben sie ihrer Menschenverachtung Ausdruck verliehen. Wir haben in einem interaktiven Tool aufgearbeitet, wann sie wo zugeschlagen haben: #nazidoku
Welche Aufgabe erfüllt die Gedenkstätte in der regionalen Erinnerungspolitik? Anders gefragt: Muss man den Moringern ständig vorhalten, dass es in ihrer Stadt mal Konzentrationslager gab?
Wir halten den Moringern nichts vor! Das wäre auch Blödsinn. Den heutigen Moringern kann nicht vorgehalten werden, dass in ihrem Ort ein Konzentrationslager bestanden hat. Das ist nicht der Ansatz unserer Arbeit. Unser Auftrag ist ein anderer und er ist nicht nur auf die Stadt Moringen ausgerichtet: Die Gedenkstätte dokumentiert die Geschichte der drei Moringer Konzentrationslager und bietet dazu im Rahmen ihrer pädagagoschen Arbeit eine Vielzahl von Bildungsangeboten an. Diese richten sich nicht nur an die Menschen in der Stadt oder der Region. Gerade die Geschichte des Jugend-KZ ruft bundesweit und auch im Ausland – vor kurzem war ein Gruppe aus Dänemark zu Gast – großes Interesse hervor. Da wir die einzige Gedenkstätte sind, die sich mit dieser Thematik beschäftigt, haben wir beispielsweise aus der gesamten Bundesrepublik Anfragen von Schülern, die sich im Schulunterricht mit dem Thema Jugend im Nationalsozialismus beschäftigen.
In der regionalen Erinnerungspolitik arbeiten wir gemeinsam mit den vielen Initiativen, Vereinen und Einzelpersonen, die sich in Südniedersachsen auf diesem Gebiet engagieren. An der Gedenkstätte ist das Netzwerk „Topografie der Erinnerung. Gedenken und Erinnern in Südniedersachsen“ angesiedelt. Mit dem Netzwerk wollen wir dieses Engagement unterstützen und zu einer besseren öffentlichen Wahrnehmung beitragen. Auch die KZ-Gedenkstätte Moringen ist durch bürgerschaftliches Engagement entstanden und auch heute wäre ihre Arbeit ohne Freiwillige und Ehrenamtliche nicht denkbar.
Die Kleinstadt ist bekannt für ihre Nazi-Präsenz. Ganz selbstverständlich prangte zum Beispiel im Herbst an der Polizeistation noch ein Rudolf-Hess-Graffito. Inwiefern prägen die Nazis das Leben in der Stadt? Gibt es sogar
Übergriffe?
Rechte prägen nicht das Leben in der Stadt. Das wäre zu viel der Ehre. Die Aktivitäten von Nazis in Südniedersachsen lassen sich örtlich nicht auf Moringen beschränken. Ähnliche Geschehnisse wie jetzt der Anschlag auf die Gedenkstätte sind uns ansonsten nicht bekannt. Es gibt in Moringen auch Menschen, die sich in einem liberalen und progressiven Sinn politisch engagieren. So hat es hier in den letzten Jahren auch ein erfolgreiches Kirchenasyl für Flüchtlinge aus dem Kosovo gegeben.
Einen ausführlichen Artikel zur Schändung der Gedenkstätte gibt es bei Publikative