Kreisfusion in Südniedersachsen

Identitätsängste und leere Kassen
von am 11. Januar 2013 veröffentlicht in featured, Hintergrund, Lokalpolitik

Die freiwillige Fusion der Landkreise Göttingen, Northeim und Osterode am Harz wird immer wahrscheinlicher. In allen drei Kreisen sind Bürgerbegehren, die den Zusammenschluss verhindern sollten, inzwischen gescheitert. Die GegnerInnen der Fusion behaupten zwar, für eine breite Mehrheit der Bevölkerung zu sprechen, beweisen konnten sie das bislang aber nicht.

Der Zusammenschluss zu einem Großkreis Südniedersachsen ist ein rot-grünes Projekt. SPD und Grüne stellen in den Kreistagen der drei beteiligten Landkreise und auch im Rat der Stadt Göttingen die Mehrheiten. Ihnen gegenüber hat sich eine bunte Gegnerschaft versammelt: CDU, FDP, Linke, Freie Wähler und Piraten ziehen an einem Strang, sind aber offenbar nicht stark genug. Da sie in den Kommunalparlamenten nicht über entsprechende Mehrheiten verfügen, sollten Bürgerentscheide die Fusion verhindern.

Bürgerbegehren scheitern

Der Plan war jedoch erfolglos: In Northeim und Göttingen kam es gar nicht erst zu einer Abstimmung der BürgerInnen über die Fusion, weil nicht ausreichend Personen sich an entsprechenden Unterschriftensammlungen beteiligten. In Göttingen fehlten zuletzt 8.000 von rund 20.000 nötigen Stimmen. In Osterode hingegen wurde abgestimmt. Dort sprach sich Anfang Dezember 2012 zwar eine knappe Mehrheit dafür aus, die Verhandlungen mit Göttingen und Northeim abzubrechen, insgesamt beteiligten sich aber nicht ausreichend Personen an der Abstimmung, weshalb das Ergebnis nicht bindend ist. Also verhandelt Osterode weiter.

Bei der Göttinger CDU löste das gescheiterte Bürgerbegehren einen Streit aus. Gerd Goebel, seines Zeichens Bürgermeister im Dörfchen Tiftlingerode im Eichsfeld mit 943 EinwohnerInnen, warf seinen ParteikollegInnen vor, sich nur um die eigene Karriere zu kümmern, statt um die Probleme der Region. Die Göttinger CDU habe sich nur halbherzig an der Sammlung der Unterschriften beteiligt und sei nicht mehr kampagnenfähig. Geärgert haben dürfte Goebels Partei(ex)freundInnen, dass er die Kritik nicht intern äußerte, sondern in dem Göttinger Anzeigenblatt „Blick“, dessen Redaktionsleiter er ist, mit einer Auflage von über 100.000 Exemplaren.

Kommentar
Die InitiatorInnen der Abstimmung von der Bürgerinitiative „Für Osterode“ waren erbost über den Termin des Bürgerentscheids: Am 1. Advent wurden die BürgerInnen an die Urnen gebeten, statt wie es sich die Bürgerinitiative gewünscht hatte gemeinsam mit der Landtagswahl am 20. Januar. An dem Termin hoffte „Für Osterode“ auf eine bessere Wahlbeteiligung – die es sicher auch gegeben hätte. Doch wenn die BürgerInnen lieber auf den Weihnachtsmarkt gehen als über die Zukunft ihrer Region zu entscheiden, spricht das nicht gerade dafür, dass eine Mehrheit der Bevölkerung gegen die Fusion ist. Genau das behaupten die FusionsgegnerInnen aus allen drei Landkreisen immer wieder. Der demokratisch legitimierte Beweis ist jedoch dreimal gescheitert. So müssen sich die FusionsgegnerInnen allmählich damit anfreunden, dass sie bald im Großkreis Südniedersachsen leben werden.

In Northeim gab es statt eines Bürgerentscheids immerhin eine repräsentative Befragung der BürgerInnen, die der Kreistag in Auftrag gegeben hatte. Demnach sehen die NortheimerInnen die Fusion skeptisch. So formulierte es der Sozialwissenschaftler Jürgen Leibold von der Uni Göttingen, der die Befragung leitete. 39 Prozent sprachen sich gegen die Fusion aus, 46 Prozent stehen ihr neutral gegenüber. Den Kreistag veranlasste das Ergebnis nicht zum Abbruch der Fusionsverhandlungen. Im Landkreis Göttingen ist eine ähnliche Befragung geplant.

Weniger EinwohnerInnen und leere Kassen

Die Kommunen in Deutschland sind schlecht finanziert, außerdem leben immer weniger Menschen auf dem Land. Deshalb wollen die BefürworterInnen der Kreisfusion die drei Landkreise und damit auch die Verwaltungen zusammenlegen. So soll beim Personal der Landkreise kräftig Geld gespart werden, indem Stellen zukünftig nicht mehr besetzt werden. Da das Land Niedersachsen auf solche freiwilligen Fusionen seiner Kommunen hofft, könnte der Zusammenschluss mit einem Schuldenerlass von bis zu 104 Millionen Euro durch das Land belohnt werden.

In den Augen der BefürworterInnen wäre der Großkreis Südniedersachsen so bestens für die Zukunft gerüstet. Finanziell am besten geht es derzeit noch dem Landkreis Göttingen (rund 250.000 EinwohnerInnen). Deshalb argumentieren Göttinger CDU- und FDP-PolitikerInnen, ohne die beiden anderen Kreise würde Göttingen besser da stehen. Denn in Northeim (rund 140.000 EinwohnerInnen) sieht es finanziell schlechter aus und Osterode (75.000) gilt unter ExpertInnen alleine nicht mehr als existenzfähig. Deshalb ist auch die Bürgerinitiative „Für Osterode“ nicht generell gegen eine Fusion, sondern sie spricht sich zwar gegen Göttingen und Northeim aus, möchte sich aber stattdessen mit Goslar zusammentun.

Bürgerferne und Identitätsverlust?

Das entspricht eher dem identitären Befinden der Verantwortlichen der Bürgerinitiative. Sie fühlen sich dem Harz zugehörig, nicht Südniedersachsen. Auch in Northeim und Göttingen fürchten FusionsgegnerInnen den identitären Untergang im Hybrid Südniedersachsen. Und ihre regionale Identität scheint vielen sehr wichtig zu sein, wie zuletzt der Ansturm auf die wiedereingeführten Altkennzeichen für Autos zeigte. Viele Südniedersachsen sind jetzt wieder mit DUD für Duderstadt oder EIN für Einbeck auf der Stoßstange unterwegs, damit alle sehen können, wo sie herkommen.

Grosskreis
Aus drei mach eins? Fast eine halbe Million EinwohnerInnen würde der Großkreis Südniedersachsen haben. Quelle: Wikipedia, bearbeitet von Hank Scorpio

Eine weitere Befürchtung der GegnerInnen ist die Bürgerferne des Großkreises. Weite Wege, beispielsweise um ein neues Nummernschild zu beantragen, würden drohen. Ein kalter Verwaltungsapparat wird befürchtet, der die Belange der BürgerInnen aus den Augen verliert. Allerdings sollen, das ist ein wesentlicher Punkt der bisherigen Fusionsverhandlungen, Verwaltungsstellen in allen drei bisherigen Kreisen erhalten bleiben.

Entscheidung nach Parteizugehörigkeit?

Auffällig ist, wie klar das Für und Wider zur Fusion entlang der Parteigrenzen verläuft. Rot-Grün auf der einen Seite sieht sich einer breiten Front gegenüber. In der gibt es allerdings wenige Ausnahmen. Gero Geißlreiter von der CDU zum Beispiel. Er ist erster Kreisrat im Landkreis Osterode und offenbar der Ansicht, dass sein Landkreis mit Göttingen und Northeim besser dran wäre, als mit Goslar oder alleine. Oder Michael Selke von der FDP, Direktkandidat für die Landtagswahl in Northeim. Auch sonst ist er ein Querdenker in seiner Partei und setzt sich unter anderem für den Mindestlohn ein. Wenn die Landkreise die Fusion nicht selber auf den Weg bringen, würde das Land irgendwann Fakten schaffen und die Landkreise „filetieren“, fürchtet Selke.

Showdown mit Schünemann?

Wie erwähnt fordert das Land von seinen Kommunen, freiwillig zu fusionieren und sich so für die Zukunft zu rüsten. Die Pläne der drei Kreise in Südniedersachsen kommen bei Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) jedoch gar nicht gut an. Er hält die Fusion für verfassungswidrig und begründet das unter anderem mit der Größe des neuen Landkreises, der knapp eine halbe Million EinwohnerInnen haben würde. KritikerInnen werfen Schünemann vor, die Fusion aus Parteiinteresse zu torpedieren. Hans Michael Heinig, Jurist an der Uni Göttingen, kommt in einem Gutachten im Auftrag des Landkreises Göttingen hingegen zu dem Ergebnis, dass die Fusion durchaus verfassungskonform sein kann, wenn sie dem Gemeinwohl dient. Vor- und Nachteile müssten also gegeneinander abgewogen werden.

Aktuell sieht alles danach aus, als würden sich die drei Landkreise bei ihren Fusionsverhandlungen einig werden und fristgerecht bis zum 31. März 2013 beim Land den entsprechenden Antrag einreichen. Nur wenn sie diese Frist wahren, haben sie Anspruch auf die 104 Millionen Euro vom Land. Sollte Schünemann dann noch im Amt sein – dazwischen liegt ja noch eine Wahl – werden wohl Gerichte entscheiden müssen, ob die Fusion rechtens ist oder nicht.

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