Fr. 09.11.: Redical Rhyth[m] im Stilbrvch
von am 4. November 2012 veröffentlicht in Party, Stilbrvch

Der 9. November ist ein kompliziertes Datum – allerhand Geschichte ist damit verbunden. Auch und gerade Ereignisse in der Zeit des Nationalsozialismus‘. Und obwohl „Deutschland […] kein Grund zum Feiern“ ist, schmeißt die redical [M] am Abend des 9. November eine Party im Stilbrvch und hat ganz unter dem Motto „bekannt und bewährt“ Fachpersonal für elektronische Musik an die Regler geladen:

♥ mikroklubbing

♥ moeve (www.commontimemusic.de)

♥ das ReH

Uhrzeiten zu den einzelnen Akteur_innen kennen wir leider auch nicht.
Gefeiert wird für den guten Zweck: Es gilt, nicht weniger als „die Revolutionskasse“ der redicals aufzufüllen.

Diskussion um den Termin

Die redicals weisen in ihrer Ankündigung auch auf ihr Bewusstsein zum schwierigen Datum hin:

Aufgrund der deutsche Pogrome im November 1938 beginnen wir musikalisch erst eine Minute nach zwölf. Denn Deutschland ist kein Grund zum feiern!

Nichtsdestotrotz hat der Termin aber bereits dafür gesorgt, dass Kritik laut geworden ist. In einem Schreiben unter anderem an Monsters kritisieren „Einige Antifaschisten“ die Terminwahl deutlich und mit Nachdruck:

Die Soliparty für die eigene „Revolutionskasse“ am 9. November gleicht in einem Punkt der Feierei für das vereinigte Deutschland. Klar, die Ziele sind völlig andere. Mit der einen soll Deutschland zu Fall gebracht werden, mit der anderen den Deutschen ihr Bekenntnis zur Nation mitsamt aller gesellschaftlichen Widersprüche im real existierenden Kapitalismus leichter gemacht werden. Doch in beiden Fällen wird das Gedenken an die Novemberpogrome zu einer unangenehmen Nebensächlichkeit.
[…]
Welchen Sinn hat eine Revolutionskasse, wenn sie zu einem reinen Selbstzweck verkommt?
Versteht uns nicht falsch, wir alle benötigen Geld für unsere politische Arbeit hin zu einer besseren Gesellschaft. Aber unter welchen Bedingungen füllen wir Kassen, wenn wir dabei die Mahnungen an jene Verbrechen in den Hintergrund rücken lassen, die uns immer wieder die Notwendigkeit vor Augen führen sollen, Antifaschismus nicht nur als Phrase zu begreifen?

Die Diskussion ist damit sicher erst eröffnet.

Beginn ab irgendwann abends (wir vermuten, mit 23 Uhr liegt man grob richtig, ist aber vermutlich noch früh dran) im Stilbrvch (Unicampus, hinter der SUB im VG-Keller)

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5 Kommentare auf "Fr. 09.11.: Redical Rhyth[m] im Stilbrvch"

  1. fuesse still halten sagt:

    Hier das gesamte Schreiben:

    Erst 1978 wurde auf Initiative von jüdischen Gemeinden und Gewerkschaften ein national anerkannter Gedenktag eingerichtet. In den Folgejahren wurde dieses Gedenken von Staatsseiten immer wieder durch Relativierung und Revisionismus manipuliert. Die antifaschistische Gruppe Redical [M] feiert an diesem Tag im Stilbrvch eine Party.

    Im nationalen Gedenken Deutschlands ist unübersehbar, welches historische Ereignis den größeren Stellenwert erhält. Joachim Gauck und Angela Merkel erinnern lieber an den Mauerfall 1989 als an die Reichspogromnacht. Mit hundertausenden anderen Deutschen wird mit viel Bier und viel Feuerwerk des Sieges des „besseren Deutschlands“ gedacht. Die Opfer der deutschen Volksgemeinschaft haben hierbei so gut wie keine Relevanz.

    Die Gründe also, die an einem solchen Tag gegen eine Party sprechen, dürften und müssten allen, die sich als emanzipatorische Linke verstehen, hinlänglich bekannt sein. Für die AutorInnen dieses Textes ist es daher unbegreiflich, weshalb die Redical [M] und das Stilbrvch am 9. November feiern. Auf dem Bewerbungsflyer wird sogar ausdrücklich auf die Novemberpogrome hingewiesen. Für uns stellt sich nun die Frage: Warum feiert ihr trotz besseren Wissens?

    In der Ankündigung heißt es, dass „musikalisch erst eine Minute nach zwölf“ begonnen wird, somit genau genommen erst am 10. November. Dieses Handeln erinnert uns an das jährliche Prozedere um den Karfreitag. Beginnen hierbei die Partys formal in der ersten Minute des Folgetages, um eine rückständige Gesetzgebung zu umgehen, erscheint euer Vorgehen für uns nur als Mittel zum Zweck, das schlechte Gewissen zu beruhigen.

    Die Soliparty für die eigene „Revolutionskasse“ am 9. November gleicht in einem Punkt der Feierei für das vereinigte Deutschland. Klar, die Ziele sind völlig andere. Mit der einen soll Deutschland zu Fall gebracht werden, mit der anderen den Deutschen ihr Bekenntnis zur Nation mitsamt aller gesellschaftlichen Widersprüche im real existierenden Kapitalismus leichter gemacht werden. Doch in beiden Fällen wird das Gedenken an die Novemberpogrome zu einer unangenehmen Nebensächlichkeit. Davon zeugen der kurze Hinweis auf dem Flyer einerseits wie andererseits das kurze obligatorische Lippenbekenntnis zur Anerkennung der eigenen Schuld beim gemeinsamen „wind of change“-Pfeifen am Brandenburger Tor.
    Welchen Sinn hat eine Revolutionskasse, wenn sie zu einem reinen Selbstzweck verkommt?
    Versteht uns nicht falsch, wir alle benötigen Geld für unsere politische Arbeit hin zu einer besseren Gesellschaft. Aber unter welchen Bedingungen füllen wir Kassen, wenn wir dabei die Mahnungen an jene Verbrechen in den Hintergrund rücken lassen, die uns immer wieder die Notwendigkeit vor Augen führen sollen, Antifaschismus nicht nur als Phrase zu begreifen?

    In diesem Sinne

  2. Redical [M] sagt:

    Liebe „einige AntifaschistInnen“, selbstverständlich war uns der Tag alles andere als genehm, um eine Party zu veranstalten. Wer aber die Termindichte der Göttinger Partylocations kennt, weiß, dass Gruppen nicht immer die Termine erhalten, die sie wollen. Ihr habt natürlich Recht, wenn ihr die Notwendigkeit des Gedenkens thematisiert. Wir sehen jedoch gerade durch unseren Umgang, die Party nach 0.00 h zu beginnen, keinen Bruch oder eine Beeinträchtigung des Gedenkens. Auch wir werden im angemessenen Rahmen den Opfern der Pogrome gedenken. Nichts desto trotz ärgert uns nicht nur die Form der Verbreitung dieser Kritik – ihr hättet uns ja auch einfach ansprechen können – im Rahmen von Flugblättern an der Uni, sondern vor allem der implizite Vorwurf des Revisionismus, der in dem Text kolportiert wird. Die Parallelen die hier gezogen werden, die Einheitsfeierlichkeiten am 9.November 1989 und ihre nationalistische Nabelschau, mit einer Party unserer Gruppe zusammenzubringen, ist schon eine besondere Denkleistung. Aber dazu kommen wir gleich.

    Des weiteren offenbart euer Text aber auch inhaltlich falsche Punkte. Denn Merkel, Gauck und Co. gedenken sehr wohl den Pogromen. Den demokratischen Vertretern zu unterstellen, sie würden die Ereignisse nicht ernst nehmen, vergisst schlichtweg die Transformation des deutschen offiziellen Gedenkens seit Rot-Grün. Die Annahme, dass nur AntifaschistInnen richtig und aufrecht den Opfern der NS-Barbarei gedenken könnten, ist ein Trugschluss. Denn die Ratlosigkeit als z.B. Schröder den „Aufstand der Anständigen“ proklamierte, verursachte bei vielen damaligen AntifaschistInnen Ratlosigkeit. Die vermeintliche Kernkompetenz „Antifaschismus“ adaptierte auf einmal der Staat. Lange Rede kurzer Sinn, Linke sollten vorsichtig sein, PolitikerInnen immer zu unterstellen, dass
    sie den Opfern des NS nicht ernsthaft gedenken. Dass sie sich nicht gegen die Ursache und den Kern der nationalsozialistischen Gesellschaftsformation wenden können – den Nationalstaat und seine immanenten Ideologien, wie es viele Linke tun, versteht sich wohl aus der Tatsache, dass sie die Grundkonstitution eines Nationalstaates befürworten.

    Wie soll denn eurer Meinung nach ein Gedenktag für Pogrome aussehen? Haben sich Linke eurer Meinung nach an Gedenkstätten zu versammeln (was übrigens, die wenigsten tun) oder ist es nicht vielmehr der individuelle Umgang und die Bewusstwerdung über die Qualität der Pogrome, der Moment der Erinnerung und die Pflicht alles zu tun, damit sich so etwas kein weiteres Mal ereignen kann? Diesem Sinn folgend, haben wir tatsächlich das Gedenken beeinträchtigt, weil wir nicht nach Wolgast mobilisieren. Wolgast ist dieses Drecksnest in Mecklenburg-Vorpommern, in dem sich die Situation rund um Asylunterkünfte vor Ort drastisch zuspitzt, so dass ein Gewaltakt von Nazis und BürgerInnen als nicht unwahrscheinlich gelten kann. Am 9.November wollen die NPD und Kameradschafts-Nazis, die Rückenwind durch die Bevölkerung erwarten können, dort einen – aktuell wieder genehmigten – Fackelmarsch abhalten.

    Den Beginn der Party auf den 10. November zu legen, erschien uns nach langer und kontroverser Diskussion als adäquater Weg, dem Gedenken am 9.November Rechnung tragen zu können. Dennoch gilt festzuhalten, dass der eigentliche Beginn der Novemberpogrome mitnichten die Nacht des 9. auf den 10. November war.

    Wir wollen hier nicht die einzelnen Details des konkreten Ablaufs der Pogrome in den Vordergrund stellen, aber eure Titulierung der Pogrome als „Reichspogromnacht“ ist evident mit dem deutschen Gedenken und dem deutschen Diskurs. Ausgangspunkt der Novemberpogrome war ein Attentat auf Ernst Eduard vom Rath (Legtionssekretär der NSDAP in der deutschen Botschaft), welches am 7. November 1938 von Herschel Grynzspan durchgeführt wurde. Dies war die Grundlage für die Parteiführung der NSDAP, um die Hetze und massive Diskriminierung von Jüdinnen und Juden in den voluntativen Akt der Pogrome zu überführen und die systematische Verfolgung und Vernichtung einzuleiten. Bereits am Spätnachmittag des 7.Novembers gab es als „gelenkte Reaktion“ erste Pogrome in den Gauen Kurhessen (unter anderem in Kassel) und Magdeburg-Anhalt. Am darauf folgenden Tag gab es die indirekte Order, diese auf das ganze Reich auszubreiten. Im Zuge dessen wurden im ganzen Reich Versammlungen abgehalten, in deren Folge Jüdinnen und Juden ermordet, Synagogen, jüdische Geschäfte, Wohnungen usw. angezündet und zerstört wurden. Die Fixierung auf die „Reichspogromnacht“ vom 9. Auf den 10. November verkennt daher die Spezifik der Novemberpogrome.

    Es stellt sich daher die grundsätzliche Frage, ob ihr diese Tatsache einfach nicht auf dem Schirm hattet, als ihr diesen Flyer geschrieben habt oder ob ihr eurer antifaschistischen Moral verpflichtet generell vom 7. bis zum 10. November ein Feierverbot aussprechen wollen würdet? Denn letzteres wäre konsequent. Ganz konsequent zu Ende gedacht, dürfte es überhaupt keine Feiern in Deutschland mehr geben. Jüdinnen und Juden, Roma, Sinti u.v.w. wurden während des NS täglich industriell ermordet und so bleibt uns neben der Erinnerung nur der tägliche Kampf gegen Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus usw.

    Vor allem bei dem Thema Antisemitismus muss deutlich sein, dass es kein punktuelles Problem einer Gesellschaft ist, dessen Spitze durch die Novemberpogrome eingeleitet wurde, sondern eine historisch spezifische Form vor, während und nach dem NS annimmt. Wer ernsthaft davon ausgeht an einem Tag dieser Tatsache gedenken zu können oder gar Gedenktage zu hierarchisieren, steht der deutschen Gedenkkultur um nichts nach. Was wir nämlich eben nicht wollen, ist bei der Selbstbeweihräucherung mitzumachen, die so einige der oben genannten PolitikerInnen, aber auch der/die DurchschnittsbürgerIn betreiben. Ja, am 9.11. gedenkt man mal eben der „Reichspogromnacht“, spricht sich schnell gegen den damaligen Antisemitismus aus, wiederholt zum 10.000 mal wie schrecklich alles war und das man daraus gelernt habe, legt ein paar Kränze nieder und das reicht dann aber auch mit dem Thema Antisemitismus in Deutschland, zumindest für die nächsten 364 Tage oder bis eine Gewalttat gegen Jüdinnen oder Juden das Thema erforderlich macht. Das Verstehen von Ideologien, ihrer Wirkungs- und Vermittlungsweisen muss der zentrale Ansatz sein, um ihnen entsprechend begegnen zu können und nicht das Fixieren auf einen Gedenktag bzw. Gedenknacht. Dies scheinen „Einige AntifaschistInnen“ anders zu sehen.

    Wir hoffen, dass wenn unsere Überlegungen schon nicht geteilt und ihr wahrscheinlich leider auch nicht zu der Party kommen werdet, so zumindest deutlich geworden ist, warum wir dennoch diese Party veranstalten werden. Ihr seid selbstverständlich herzlich eingeladen und wir würden auch einer weiteren Diskussion über Geschichtsrevisionismus und Gedenken gerne Raum geben wollen. Aber bitte nicht in Flugblattform.

    Kommt zur Party ins Stilbrvch oder fahrt nach Wolgast!

  3. Ahaha, da haben sich einige AntifaschistInnen ja mal wieder selbst übertroffen! Die Kritik am Datum der Party – 9. NOVEMBER – über die Einheitsfeierlichenkeiten am 2./3. OKTOBER (!) herzuleiten – göttlich! Die „hinlänglich bekannten Gründe“ hätt ich aber trotzdem gern nochmal erfahren, mir zumindest erschließen sich diese nicht, die Redicals feiern ja weder Deutschland, noch die Progrome… Wobei, bei denen weiß man nie. Oder hat ein_e echt_e Antifaschist_in aus dem historischen Bewusstsein heraus, dass JEDEN Tag Menschen im Vernichtungsapperat des NS starben, gar nicht zu feiern, keinen Tag im Jahr? Ein_e echt_e Antifaschist_in sollte dann wohl lieber den Körper bei McFit und den Geist mit Stalin trainieren, die Oktoberrevolution steht schließlich vor der Tür. Und da bleibt für Party ja eh keine Zeit.
    Ich werd jedenfalls morgen kommen, mir ordentlich einen reinballern, tanzen und nen Schnaps auf euch trinken, einige AntifaschistInnen.

  4. Harvey sagt:

    „Mauerfall“ steht da, soweit ich das lesen kann. Von „Einheitsfeierlichkeiten“ ist erst in der Antwort die Rede.

  5. OLAfA sagt:

    Gedanken zum 75. Jahrestag der Novemberpogrome 1938

    Der Gedenktag des 09. November erinnert an die Geschehnisse vom 07. bis zum 10. November 1938. In diesem Zeitraum zerstörten die Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten mehr als 1.500 Synagogen und 7.500 jüdische Geschäfte, zudem wurden tausende Wohnungen jüdischer Bürgerinnen und Bürger verwüstet. Etwa 400 Menschen wurden bei den direkten Ausschreitungen getötet, insgesamt wurden etwa 30.000 Jüdinnen und Juden in Konzentrationslager deportiert.

    Als angeblicher Grund für die Pogrome, die entgegen offizieller Aussagen – als Ausdruck spontanen Volkszorns – durch die NSDAP vorbereitet und von SA und SS kontrolliert
    durchgeführt wurden, wurde die Tötung des Botschaftssekretärs Ernst vom Rath durch Herschel Grynszpan angegeben.

    Novemberpogrome in Göttingen

    Wie uns die Geschichte des Nationalsozialismus in Göttingen lehrt, waren die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt besonders eifrig am Werk. Diese Tatsache ist ebenfalls in Bezug auf die Ereignisse um den 09. November 1938 zu vermerken. Nur in Kassel war man noch schneller. Dort wurden bereits am Abend des 07. November Angriffe auf jüdische Geschäfte und die örtliche Synagoge verübt. Auch in Göttingen ereigneten sich bereits vor den reichsweiten Ausschreitungen die ersten antijüdischen Gewalttaten. Selbst wenn erst nach Mitternacht größere Ausschreitungen zu verzeichnen waren, sollten diese doch besonders gründlich sein:

    „Nach Mitternacht legte die SS in der Synagoge Feuer, das dafür notwendige Benzin brachte der Chef der Berufsfeuerwehr, Oberbrandmeister Wilhelm Rodenwald, im Dienstmercedes zum Tatort. Nur die Freiwillige Feuerwehr kam in dieser Nacht zum Einsatz, sie konzentrierte sich auf den Schutz der angrenzenden Fachwerkhäuser, welche von den übergreifenden Flammen bedroht wurden.“ (Bruns-Wüstefeld 1997:98)

    Die Ausschreitungen bezeichnen einen Wendepunkt der antisemitischen Politik des Dritten Reichs. Sie sind mitnichten der Ausdruck eines ’spontanen Volkszorns‘ sondern vielmehr als Verschärfung der bereits zu diesem Zeitpunkt von statten gehenden ‚Arisierungen‘ und Enteignungen jüdischen Besitzes anzusehen, welche schließlich in der Auslöschung jüdischen Lebens münden sollten. Insgesamt wurden in Göttingen laut eines Urteils des Göttinger Schwurgerichts im Rahmen der Novemberpogrome 50 bis 60 Jüdinnen und Juden verhaftet. Auch wenn der mehrheitliche Teil der Göttingerinnen und Göttinger „abgestoßen von den Zerstörungsaktionen“ war, lag das an einem Unverständnis gegenüber der stattfindenden Sachbeschädigung und nicht an einem möglichen Mitgefühl gegenüber den Opfern der Gewalt, den Göttinger Jüdinnen und Juden. Auch das Göttinger Tageblatt schrieb am 11.11.1938 hinsichtlich der Ereignisse: „Wer dafür kein Verständnis aufbringt, ist unfähig, die Stimme des Volkes zu verstehen.“ (Bruns-Wüstefeld 1997:99).

    Der Weg zum offiziellen Gedenken am 09. November und seine Bedeutung

    Der 09. November 1938 markierte eine bedeutende Verschärfung der antisemitischen Gewaltausübung in Deutschland. Obwohl jüdische Gemeinden und die VVN alljährlich der Pogrome gedachten, dauerte es bis zum Jahr 1978, ehe der 09. November seinen festen Rang als bundesdeutscher Gedenktag einnehmen sollte. Vor allem auf Initiative des Zentralrats der Jüdinnen und Juden und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft gelang es, bundesweit Gedenkveranstaltungen durchzuführen.

    Allein durch seinen historischen Anlass ist der 09. November ein Tag, der sich mit anderen Gedenktagen wie dem 27. Januar oder dem 08. Mai nur bedingt vergleichen lässt. Er ist kein für die Täterinnen und Täter oder ihre Nachkommen bestimmter Feiertag, an dem sich das nach der sogenannten ‚Stunde Null‘ geläuterte Deutschland auf seine schlimme, aber glücklich überwundene Vergangenheit besinnt, sondern ein von dessen Opfern erkämpfter Tag des mahnenden Gedenkens. Besiegt oder befreit wurde an diesem Tag niemand. Dieser Gedenktag behauptet die Permanenz und Unvergänglichkeit der deutschen Schuld und bietet somit keinen positiven Bezugspunkt für die Nachkommen der Täterinnen und Täter.

    Dass ausgerechnet am selben Tag des Jahres 1989 die Berliner Mauer fiel, bot dem deutschen Nationalismus einen Freudentag und ein wichtiges Moment seiner positiven Selbstbestätigung auf dem Weg zur Wiedervereinigung. Zwar fiel die Wahl des Nationalfeiertags letztlich auf den 03. Oktober, die Erinnerung an die Pogrome des Jahres 1938 geriet durch den Mauerfall dennoch in eine Erinnerungskonkurrenz – an die Seite des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus tritt die Selbstbeweihräucherung des Tätervolks als vermeintlich ‚besseres Deutschland‘.

    Gedenken in der radikalen Linken

    Im Zuge einer Auseinandersetzung über eine Party der Gruppe Redical [M] am 09. November 2012 im Stilbrvch wurde seitens der Gruppe einer Diskussion über „Geschichtsrevisionismus und Gedenken“ Raum geboten: zu einer öffentlichen inhaltlichen Auseinandersetzung kam es im Anschluss leider nicht.

    Als radikale Linke finden wir, dass eine Party am 09. November geeignet ist, ein politisches Klima zu erzeugen, das als Entsolidarisierung von den Opfern des Nationalsozialismus und ihren Nachkommen wahrgenommen werden kann. Es erzeugt ein fatales Signal, wenn ausgerechnet eine radikale Linke, die sich konsequenten Antifaschismus auf die Fahnen schreibt, sich an diesem Tag entscheidet, das Tanzvergnügen vor das Erinnern zu stellen. Denn diese Entscheidung ist ein Privileg der Angehörigen der TäterInnengesellschaft und zeugt nicht vom nötigen Respekt vor den Opfern des Nationalsozialismus und den Überlebenden, Angehörigen oder Nachkommen, die diesen Tag gewählt haben, um der Ermordeten zu gedenken. Da es sich beim 09. November um einen maßgeblich von den Opfergruppen erkämpften Gedenktag handelt, sollte seine politische Relevanz nicht in Zweifel gezogen werden, nur weil auch auf Bundesebene der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird oder kollektives Gedenken lediglich einen symbolischen Akt darstellt, wie es die Redical [M] in ihrem Debattenbeitrag aus dem Jahr 2012 nahelegt. Vielmehr sollten symbolisches Gedenken und die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Shoah ebenso großer Teil antifaschistischer Politik sein wie der Kampf gegen Antisemitismus oder Rassismus.

    

OLAfA (Offene Linke – Alles für Alle), November 2013

    Literatur:
    Bruns-Wüstefeld, Alex. 1997. Lohnende Geschäfte: die „Entjudung“ der
    Wirtschaft am Beispiel Göttingens. Hannover: Fackelträger-Verl.
    Jäckel, Eberhard et al. 1998. Q – Z. 2. Aufl. 1998.
    http://monstersofgoe.de/2012/11/04/fr-09-11-redical-rhythm-im-stilbrvch/

    Nachtrag: Wir hätten einen Gastbeitrag als Form für diese Veröffentlichung für angemessener gehalten und daher bevorzugt. MoG war jedoch nicht bereit, uns die Möglichkeit zu geben, einen klar gekennzeichneten Gastbeitrag auf ihrer Seite zu veröffentlichen. Daher wählen wir diese Form, unsere Gedanken zum 09. November darzulegen.

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