Prozess gegen Antifaschisten

Freispruch für Schünemann-Gegner
von am 20. September 2012 veröffentlicht in Polizei & Justiz, Titelstory

Ein erstes gerichtliches Nachspiel hatten jetzt die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrierenden im vergangenen Januar im Zentralen Hörsaalgebäude. Ein Antifaschist, der sich an der Blockade eines Hörsaals beteiligt hatte, war wegen Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt. Das Ergebnis der Verhandlung vor dem Amtsgericht am Donnerstag: Freispruch.

„Haut ab! Haut ab!“ schallt es durch den Saal des B12 des Göttinger Amtsgerichts. „Alle Bullen raus aus der Uni!“ Menschen schreien schmerzerfüllt, Polizisten brüllen Kommandos. Die Geräusche kommen aus den Lautsprechern eines Notebooks. Der Angeklagte L., seine Verteidigerin Marlene Jendral, Richter und Staatsanwältin sehen sich Videoaufzeichnungen aus dem Zentralen Hörsaalgebäude der Universität an. Am Rande einer RCDS-Wahlkampfveranstaltung mit Innenminister Uwe Schünemann (CDU) und Göttingens Polizeipräsidenten Robert Kruse kam es am 10. Januar 2012 zu einem brutalen Polizeieinsatz gegen eine Hörsaalblockade. Der Angeklagte hatte daran teilgenommen und soll dabei einem Polizisten in den Schritt getreten haben. So jedenfalls der Vorwurf.

„Schünemann-Veranstaltung“ des RCDS
„Unfreiwillige Wahlkampfhelfer“ – das war die bezeichnende Einordnung vom früheren Niedersachsen-Vorsitzenden des RCDS für die Personen vor dem Hörsaal, den der RCDS frühzeitig abschotten ließ. Dafür, dass sie sich für den Wahlkampf einer hochschulpolitischen Gruppe einspannen ließen, ernteten Minister Schünemann und Polizeichef Kruse auch später Kritik. Aber auch ohne die Wahlwerbeaktion stehen beide im Fokus von allerlei Kritik. Der oft als „Abschiebeminister“ bezeichnete Schünemann präsentiert sich ebenso gern wie Polizeichef Kruse als beinharter Verfechter von „Law and Order“. So war es am Ende auch nicht verwunderlich, dass im Gemenge vor dem Hörsaal auch die Polizei rabiat zuging. Das juristische Nachspiel beginnt jetzt erst, denn auch gegen Polizist_innen sind Anzeigen gestellt worden. Wir haben zum Thema bereits ausführlich berichtet:

L. hatte zu Beginn der Verhandlung eine politische, autobiografische Erklärung zu den Vorwürfen verlesen: eine persönliche Geschichte lebenslanger politischer Repression, die der syrischstämmige Angeklagte und seine Familie erleben mussten. Aufs Korn nimmt er dabei auch Innenminister Schünemann und Polizeichef Kruse – stellvertretend für ihre Politik und die hinter ihnen stehenden Strukturen. Dafür bekam er von den Zuschauer_innen Zustimmung in Form von Beifall – was auf Mißbilligung durch Amtsrichter Hoefer fiel.

Von Schlägen und Tritten gegen seine Schutzausrüstung berichtet anschließend der Polizist Daniel B. Er sei von Aktivist_innen an die Wand gedrückt worden. Dann plötzlich: ein Schmerz im Schritt. Der Angeklagte habe ihn mit dem Knie in den ungeschützten Bereich getreten. Nur: Woher wusste der Polizist, wer genau ihn getreten hat?

„Bei einer späteren Veranstaltung wurde der Angeklagte identifiziert“, sagt der Polizist aus – aber nicht von ihm selbst. Als ihm später ein Foto vorgelegt wurde, habe er den Angeklagten wiedererkannt. Der Richter fragt nach: „Sind sie sich sicher?“ Jedenfalls sei der Angeklagte derjenige gewesen, der einige Minuten vor ihm gestanden habe, schränkt der Zeuge seine Aussage ein.

Die beiden Videos bringen Licht ins Dunkle. Hierauf ist zu sehen, wie sich der Angeklagte und der Zeuge gegenüber standen. Einzig ein Kniestoß ist nicht zu erkennen. Wie groß denn Zeuge und der Angeklagte seien, will der Richter wissen. Und stellt dann seine Zweifel daran heraus, dass der sechs Zentimeter kleinere Angeklagte wirklich in dieser Situation so einen Kniestoß hätte ausführen können. Verteidigerin Jendral lobt daraufhin den Richter: „Sie haben so schön gefragt“, sagt sie.

Staatsanwaltschaft macht Rückzieher

Selbst die Staatsanwaltschaft stellt daraufhin fest: Eine Situation wie die angeklagte „können wir auf den Videos nicht sehen.“ Und es sei eben nicht auszuschließen, dass eine ganz andere Person getreten habe. Auch für Widerstandshandlungen sei kein Vorsatz erkennbar – schließlich wurde von allen Seiten geschoben und gedrückt. Der Verteidigung bleibt nicht viel hinzuzufügen, und für das Urteil braucht der Richter dann auch keine Minute: Freispruch für den Angeklagten.


Die Hörsaalblockade, bevor es zur Auseinandersetzung mit der Polizei kam

„Und erneut steht ein Kommunist vor einem deutschen Gericht. Das hat Tradition in Deutschland“, so hatte der nun Freigesprochene zu Prozessbeginn erklärt. In diesem Fall war das wohl aber am Ende sein Glück. Wäre es nach der Staatsanwaltschaft gegangen, wäre er längst bestraft gewesen. Denn ohne die Kenntnis des zufällig genau vor Prozessbeginn aufgetauchten Polizeivideos reichte der Behörde bereits die Zeugenaussage des Polizisten B., um ihm einen Strafbefehl zu schicken. 700 Euro Strafe hatte er bezahlen sollen. Die Kosten für den Widerspruch dagegen und das folgende Verfahren, das mit der Verhandlung nun seinen Abschluss fand, bekommt er nun aus der Staatskasse erstattet.

Breite Solidarität mit dem Angeklagten

Bereits eine Stunde vor der Verhandlung sammelten sich vor dem Bahnhof und um das Amtsgericht herum einige Mannschaftswagen der Polizei. Vermutlich, weil schon im Vorfeld zahlreiche Göttinger Politgruppen sich mit dem Angeklagten solidarisiert hatten. So trafen sich zahlreiche Sympathisant_innen vor dem Haupteingang des Amtgerichts – von denen aber wegen Platzmangels nur etwa die Hälfte Zugang zu den Plätzen für Zuschauer_innen im Gerichtssaal bekamen. Zuvor mussten sie rigide Einlasskontrollen über sich ergehen lassen – ein übliches Bild bei solchen Prozessen in Göttingen.

Text: Fee Mina, Harvey, Rakete

Artikel teilen

Ein Kommentar auf "Freispruch für Schünemann-Gegner"

  1. 007 sagt:

    würde man die leute in der stadt vorab selektieren, kann man sich den ganzen polizeikram sparen. verursacht nur zusatzkosten, die einen unistandort zusätzlich belasten.

Schreibe einen Kommentar

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar zu schreiben. Anmelden | Registrieren

Bitte lese dazu unsere Regeln und Hinweise zum Kommentieren.