Arbeitskampf bei Netto

Widerstand lohnt sich
von am 22. Juni 2012 veröffentlicht in Soziale Bewegungen

Seit Monaten kämpfen Netto-Angestellte aus Göttingen für bessere Arbeitsbedingungen – mit ersten Erfolgen. Doch der Konzern schießt zurück: Am 2. Juni hat er ohne Ankündigung zwei Göttinger Filialen geschlossen, den MitarbeiterInnen wurden teils schlechtere Arbeitsverträge vorgelegt. Am Samstag halten die Netto-Beschäftigten deswegen eine Kundgebung in der Innenstadt ab. Wir haben vorab mit Verdi-Gewerkschaftssekretärin Katharina Wesenick über den Arbeitskampf gesprochen.

Netto hat Anfang Juni überraschend zwei Filialen in Göttingen geschlossen und den MitarbeiterInnen ihre teils langjährigen Arbeitsverträge gekündigt. War das möglicher Weise ein Versuch, die Angestellten einzuschüchtern, die sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen wehren?

Falls es einer war, müssen wir dem Management zeigen, dass wir wissen, wie wir auf solche feindliche Angriffe zu reagieren haben.

Was bedeutet eine solche Aktion für die Angestellten?

Die Kolleginnen waren total überrumpelt. Netto kam abends mit einem Trupp von Vorgesetzten in die Filialen gerauscht und hat sie vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie mussten ihren eigenen Laden leeräumen. Dann wurden ihnen teilweise schlechtere Arbeitsverträge zur Unterschrift vorgelegt.

Die Göttinger Netto-Angestellten wehren sich bereits seit Monaten gegen die Zumutungen bei dem Discounter. Hat das zu Erfolgen geführt?

Ja. Viele Kolleginnen, die Netto eigentlich durch günstigere Arbeitskräfte ersetzen will, sind immer noch da. Einige verdienen wesentlich mehr als vorher, da die Vertrauensleute tarifliche Unterbezahlung aufdecken. In den Filialen, in denen Widerstand wächst, werden Überstunden eher bezahlt als dort, wo die Angst noch groß ist.


Verdi-Sekretärin Katharina Wesenick (Mitte) mit Discounter-Angestellten am 1. Mai 2011 in Göttingen

In der Öffentlichkeit steht das Engagement insbesondere durch Kundgebungen und Medienberichte. Aber wie sieht der alltägliche Kampf der Beschäftigten um ein halbwegs würdiges Arbeitsklima aus?

Seit dem Frühjahr haben wir in Südniedersachsen die ersten Vertrauensleute überhaupt in dieser Branche gewählt. Das ist ein großer Erfolg unserer Kampagne. Die Vertrauensleute sind in den Filialen präsent und Ansprechbar für die Mitarbeiterinnen. Sie klären über Arbeitsrechte und tarifliche Leistungen auf, ermutigen ihre Kolleginnen, den schwierigen aber befreienden schritt zu gehen und sich gegen die Arbeitsbedingungen zu wehren.

Ist es gefährlich für die Netto-Angestellten, sich an den Verdi-Aktionen zu beteiligen? Im vergangenen Herbst hat Netto bei einem Flashmob in der Filiale in der Güterbahnhofstraße Hausverbote an die Beteiligten ausgesprochen, die Polizei hat mit Anzeigen gedroht. Jetzt folgte das „Überfallkommando“, wie sie sagen, dass die beiden Filialen geschlossen hat.

Es erfordert viel Mut, sich zu wehren und es gibt natürlich Gegenwind von Netto. Deshalb reagieren wir auf jeden Versuch, uns zu schwächen. Unterm Strich zeigt sich jedoch, dass es für die Jobsicherheit, die Höhe des Gehalts und für die persönliche Würde der Kolleginnen sicherer ist, sich zusammen zu schließen. Schon Einstein hat gesagt: Gegen organisierte Macht hilft nur organisierte Macht!

Solidarität zeigen:
Am Samstag, den 23. Juni hat Verdi von 11 bis 13 Uhr eine Protestkundgebung vor der Netto-Filiale in der Prinzenstraße angekündigt. Mehr Infos bei Facebook.

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2 Kommentare auf "Widerstand lohnt sich"

  1. Bolschewik sagt:

    Vllt. neue Infos dazu:
    /// Soli-Aktion für Netto Beschäftigte Montag 14-16h ///

    Liebe Freund_innen, Unterstützer_innen und Kolleg_innen,

    am Samstag, den 30. Juni, sollen wieder überfallartig zwei weitere Netto-Filialen in Göttingen geschlossen werden:
    die Filiale in der Hauptstraße in Geismar und die Filiale in der Reinhäuser Landstr. 78.

    Wir werten dies als einen weiteren Angriff des Netto-Managements auf die sich organisierenden Beschäftigten und laden ein zu einer Solidaritäts- und Protestkundgebung am

    Montag, den 2. Juli, vor der Filiale Reinhäuser Landstr. 78.

    Kommt zahlreich und bringt eure Freund_innen mit!

    Und ganz frisch dazu, die Reinhäuser Filiale wird heute abend geschlossen. Es macht vllt. Sinn heute abend dort aufzutauchen und Solidarität mit den Kolleginnen zeigen.

  2. retmarut sagt:

    Es wurden am Samstag 30.06. sowohl die Filiale Reinhäuser Landstr. als auch die Hauptstr. geschlossen. Damit wurden innerhalb eines Monats 4 von 7 Netto Filialen im Stadtgebiet Göttingen dichtgemacht. Die ungefähr 40 Kolleginnen und Kollegen, deren Filialen geschlossen wurden, wurden auf die verbleibenden drei Filialen aufgeteilt. Das bedeutet, dass diese jetzt einen „Mitarbeiterüberschuss“ von ca. 13 Personen pro Filiale haben. Es ist klar, dass diese Filialen nicht so viele Mitarbeiter benötigen (erst recht nicht beim üblichen Netto-Betriebsablauf, wo mit möglichst geringer Personaldecke und unbezahlter Mehrarbeit die Lohnkosten besonders niedrig gehalten werden – das ist das bisherige Netto-Konzept, um die Führungsposition unter den Discountern zu entern). Also drohen weitere Versetzungen ins Umland (mit den damit verbundenen Verschlechterungen für die Kollegen) bzw. Kürzungen der vertraglichen Wochenarbeitsstunden (also Lohnverlust und damit Fälle fürs Hartz4-Aufstocken) oder gar Entlassungen.

    Offiziell wurden alle vier Schließungen (die jeweils erst am Tag derselben den Mitarbeitern und den Kunden verkündet wurden) seitens der Netto Geschäftsführung mit nicht näher ausgeführten „wirtschaftlichen Gründen“ begründet. Wohl eher eine vorgeschobene Erklärung, denn die Filialen liefen offensichtlich rentabel und hatten gute Umsatzzahlen. Viel eher ist anzunehmen, dass hier gezielt versucht wird, die (bundesweit erste) Vertrauensleutestruktur von ver.di innerhalb Netto (und überhaupt in einem Discounter) abzusägen, koste es, was es wolle. (Das kennt mensch analog von anderen Betrieben, die z.B. auf dem Wege der Filialschließungen überall dort, wo Kollegen Betriebsräte aufbauen wollten, ihr Unternehmen betriebsratsfrei halten.)

    Dies also als Aufruf, am Montag zur Kundgebung zu kommen und damit gegen diese Nacht-und-Nebel-Schließungen zu protestieren. Wer keine Zeit hat (liegt ja in der sog. „Normalarbeitszeit“) kann den Protest auf anderem Wege unterstützen: Ruft die bundesweite, kostenlose Service Hotline des Netto Markendiscounts an und beschwert euch über die Schließungen und das selbstherrliche Vorgehen des Konzerns! Erfahrungen von vergangenen Aktionen zeigen, dass diese Anrufe auch in der Geschäftsführung wahrgenommen werden und den Druck auf den Konzern erhöhen. Die Servicehotline lautet: 0800 – 200 00 15 und ist, wie gesagt, vom Festnetz aus kostenlos.

    Der Fall der Filialschließungen bei Netto zeigt wieder deutlich vor Augen: In der bourgeoisen Klassengesellschaft hört Demokratie hinterm Werkstor (bzw. am Eingang der Netto-Filiale) auf. Die sog. „unternehmerische Freiheit“ einer kleinen Minderheit steht vor den Interessen und Notwendigkeiten der breiten Mehrheit. Privateigentum an Produktionsmitteln zählt im Kapitalismus systemimmanent mehr als das Gemeinwohl. – Gerade deswegen ist es wichtig, dem Klassengegner in den alltäglichen Auseinandersetzungen (und der Netto Fall zeigt ja, dass so etwas halt auch mal „über Nacht“ existentielle Formen für Kollegen annehmen kann) gewerkschaftlich organisiert entgegenzutreten und stets für die Interessen der eigenen Klasse zu kämpfen.

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